Vorwort:
Der britische Künstler, Schriftsteller, Drehbuchautor, Playwriter und Regisseur Philip Ridley hat bislang erst zwei Abend-füllende Spielfilme inszeniert, welche mir beide aufgrund ihrer düster-poetischen Bildersprache und Erzählweise (ähnlich der von David Lynch) sehr gefallen. Seit Ewigkeiten suche ich seine Werke nun schon auf DVD, wobei die englische Originalversion natürlich Pflicht ist, weshalb die vor einiger Zeit veröffentlichten deutschsprachigen (billig-) Editionen für mich nicht in Frage kamen.
Während mir, abgesehen von der japanischen Veröffentlichung, bislang noch immer keine annehmbare Version von Ridleys Erstlingswerk („the Reflecting Skin“) bekannt ist, habe ich kürzlich immerhin eine russische RC5 DVD dessen Nachfolgers entdecken können…
“the Passion of Darkly Noon”
Technische Daten:
Regionalcode: … 5
Vertrieb: … Twister Digital Video
Laufzeit: … 96 Minuten (Pal)
Bildformat: … 4:3 (Vollbild)
Sprachen: … Englisch (2.0 Surround), Russisch (Voice-Over, 2.0 Surround)
Untertitel: … Russisch
Freigabe: … keine Angabe
Regie: Philip Ridley
Darsteller:
Brendan Fraser
Ashley Judd
Viggo Mortensen
Grace Zabriskie
Loren Dean
Film-Kritik:
Für diejenigen, die ihn noch nicht kennen – ich möchte Euch Philip Ridley vorstellen: Im East End Londons geboren, studierte er an der „St. Martin´s School of Art“ und gelangte als Maler mit Ausstellungen in ganz Europa schon früh zu Bekanntheit, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. Vor allem seine Kinderbücher verkauften sich sehr gut und brachten ihm zahlreiche Kritikerpreise ein. Darüber hinaus schrieb er Stücke fürs „BBC“-Radio und Theater, ua „the Pitchfork Disney“ und „the fastest Clock in the Universe“, für welche er ebenfalls diverse Preise gewann. Nach zwei Kurzfilmen sowie dem Drehbuch zu „the Krays“ (´90), gab er schließlich mit „the Reflecting Skin“ (auf Basis eines eigenen Skripts) sein Spielfilmdebüt, welches ein knappes Dutzend internationale Auszeichnungen erhielt, von der „LA Times“ unter die 10 besten Filme des Jahres (´90) gewählt wurde und ihn selbst als visionären Regisseur im Stile eines David Lynch präsentierte, was er mit seinem Nachfolgewerk „the Passion of Darkly Noon“ (´95) erneut unter Beweis stellte…
Der 17-jährige Darkly Noon (Brendan Fraser) musste gerade miterleben, wie die religiöse Gemeinschaft, in der er mit seiner Familie lebte, von „aufgebrachten Stadtbewohnern“ nach langer Belagerungszeit letztendlich gestürmt wurde. Bei diesem Angriff wurden seine Eltern getötet, doch ihm gelang im ganzen Chaos die Flucht – seitdem stolpert er ziellos durch scheinbar endlose Wälder, bis er schließlich vor Erschöpfung an einem Wegesrand zusammenbricht. Dort entdeckt ihn der Auslieferer Jude (Loren Dean), der ihn zu einer abgelegenen Farm bringt, auf welcher die junge Callie (Ashley Judd) wohnt. Während jene auf die Rückkehr ihres Lebensgefährten, den stummen Tischler Clay (Viggo Mortensen), wartet, nimmt sie ihn fürsorglich bei sich auf und lädt ihn später angesichts seiner Lage ein, bei ihnen zu bleiben und so eine Art Familie zu bilden.
Nach und nach beginnt Darkly jedoch Gefühle für die (auf natürliche Art) aufreizende Callie zu entwickeln, verbunden mit einer ansteigenden Eifersucht gegenüber Clay, der inzwischen zurückgekehrt ist. Verwirrt und verärgert über seine Gefühle, welche man ihm eigentlich zu unterdrücken beibrachte, sowie über die Tatsache, dass das Paar unverheiratet „in Sünde“ zusammen lebt, beginnt er sich mit Stacheldraht selbst zu geißeln und flüchtet auf langen Spaziergängen in die Einsamkeit der Wälder, wo er eines Tages der in einem Wohnwagen lebenden Roxie (Grace Zabriskie) begegnet. Sie erzählt ihm, dass ihre Familie Callie damals bei sich aufgenommen hatte, doch diese habe ihren Mann mit einer Art Liebeszauber belegt, an dem er schließlich gar gestorben sei – im Anschluss habe sie dann ihren Sohn (Clay) auf gleiche Weise in ihren Bann gezogen. Als er Callie darauf anspricht, entgegnet diese, der Mann habe einen Herzinfarkt erlitten, als er sie zu vergewaltigen versuchte, Clay und sie hätten sich später ineinander verliebt. Je mehr Zeit Darkly im Folgenden mit Roxie verbringt, desto glaubwürdiger erscheint ihm deren Erklärung, Callie wäre eine Hexe – schließlich würde das seine eigenen, nicht zuordbaren Gefühle erklären. Die Situation zwischen allen Beteiligten spannt sich zunehmend an, und als dann auch noch Roxie stirbt, beginnt Darklys Wahn immer stärker die Oberhand zu gewinnen…
“the Passion of Darkly Noon” ist im Endeffekt ein modernes Märchen für Erwachsene, das Elemente aus Dornröschen, Schneewittchen und Aschenputtel mit Auswirkungen von religiösem Wahn (das Schicksal der Gemeinschaft erinnert unweigerlich an die Ereignisse in Waco) sowie sexueller Obsessionen verbindet – und das alles vor der Kulisse des prächtigen „Zauberwaldes“, in welchem alle Antworten verborgen liegen. Man kann sich Callie in diesem Sinne als die schöne Prinzessin vorstellen, die ein reines, gutes Herz besitzt und ihr Äußeres nie zur Erfüllung eines Zwecks einsetzt, sondern ganz natürlich und ohne Hintergedanken agiert. Clay ist der ergebene, tapfere, starke, aber doch irgendwie einfach gestrickte Ritter, während Darkly das Biest schlummernd in sich trägt.
Der gesamte Ort erscheint zeitlos. Irgendwie hat man beim Betrachten unweigerlich das Gefühl, die Handlung könnte auch in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts spielen – wenn nicht die modernen Fahrzeuge, Umgangsweisen oder Berichte über Hubschrauber wären. Gerade solche Aspekte tragen mit zur surrealen Atmosphäre bei, denn hinter dem auf den ersten Blick idyllischen Leben im Wald verbergen sich menschliche Abgründe, während die Zustände in den Städten als weitaus schlimmer beschrieben werden (der Bestatter spricht bei einem Besuch von Chaos, Dürren und Hungersnöte, welche sein Geschäft florieren lassen). Selbst uralte Malereien in einer Höhle im Herzen des Waldes liefern düstere Prophezeiungen…
Der komplette Film ist ein visueller Genuss voll von wunderschönen Bildkompositionen: Angefangen bei der Farm, welche nur aus einem Haus und einer Scheune auf einer kleinen Lichtung (umringt von majestätischen Tannen) besteht, über die gesamte Umgebung mit ihren Wäldern, Bergen und Flüssen (gedreht wurde übrigens in der sächsischen Schweiz!) bis hin zu der Art, wie Regisseur Ridley alles eingefangen hat (interessante Ausleuchtungen, Kameraperspektiven etc) – alles verbindet sich harmonisch zu einer dichten, surrealen und vor allem äußert interessanten Atmosphäre, welche zeitweise gar verstört. Diese wird zudem von ausgewählten Musikstücken (PJ Harvey/Gavin Friday) sowie Nick Bacats fantastischen Score unterstützt – letzteren hat man besonders effektiv eingesetzt, denn während die Musik anfangs nur leise im Hintergrund zu hören ist, steigert sich ihre Intensität und Lautstärke parallel zu Darklys Wahn. Zwischendurch gibt es immer wieder wunderbare Momente, wie etwa als ein übergroßer silberner Schuh mit einer darauf sitzenden Krähe im Fluss vorbei treibt – und trotzdem ist es so, dass selbst solche Elemente am Ende schlüssig aufgelöst werden.
Es gibt eine Vielzahl Gemeinsamkeiten zwischen diesem und Ridleys Erstlingswerk: Neben der religiösen Symbolik oder eindeutig von seiner Malerei inspirierten Umgebung (damals waren es weite Weizenfelder, hier ist es der Wald) mit jeweils einem isolierten Haus als zentraler Schauplatz, wird die Handlung in beiden Fällen aus der Sicht einer verwirrten, traumatisierten sowie unreifen Person erzählt, welche sich mit einer für ihn fremdartigen und somit bedrohlichen Sexualität konfrontiert sieht. Die landschaftliche Idylle steht dabei in starkem Kontrast zur psychischen Verfassung der Hauptfigur, welche scheinbar unaufhaltsam dem Abgrund entgegensteuert. Darkly, der übrigens den Namen von seinen Eltern per Zufallsprinzip aus dem Buch der Korinther erhielt, ist Opfer seiner streng religiösen Erziehung. Ihm wurde beigebracht, die Bibel wörtlich aufzufassen, weshalb er seine bislang unterdrückten pubertären Gefühle für sündig erachtet. Zuerst versucht er das Chaos seiner inneren Konflikte mit schmerzhaften Selbstgeißelungen unter Kontrolle zu halten, bis Roxies Geschichte der Hexe eine Erklärung aufzeigt, der er anfangs nicht glauben will – doch als seine Psyche ihm noch seine toten Eltern projiziert, die ihn in Gesprächen immer stärker zu einer „reinigenden Tat“ drängen, entlädt sich alles in einem mit Symbolen wie Feuer oder roter Farbe überfrachteten, furiosen finalen Gewaltakt…
Die Besetzung kann auf jeden Fall durchweg überzeugen: Brendan Fraser („the Mummy“) meistert die schwierige Titelrolle mit Bravour sowie der nötigen Mischung aus Intensität und jugendlicher Naivität. Ashley Judd („Kiss the Girls“) läuft ständig in knapper, vornehmlich weißer, semi-durchsichtiger Kleidung herum und stellt allein so eine Versuchung dar, was von ihrer Natürlich- und Herzlichkeit noch weiter verstärkt wird – außerdem stimmt die gefühlvolle Chemie mit Viggo Mortensen („Lord of the Rings“), der auch schon bei „the Reflecting Skin“ mitwirkte und hier die symbolische Figur eines Tischlers (!) spielt, der sich auf Särge spezialisiert hat. Ferner tauchen noch Loren Dean („Billy Bathgate“) sowie die wie gewohnt etwas merkwürdige Grace Zabriskie („Twin Peaks“) in Nebenrollen auf.
Ich muss aber, trotz meines überwiegenden Lobes, gestehen, dass Ridleys Vorgängerfilm geringfügig besser ist, denn in diesem Fall sind die Charaktere leider nicht ganz so tiefgehend ausgearbeitet worden, wie man es sich wünschen würde – vor allem angesichts der Tatsache, dass der Film hohe Ansprüche auf fast allen anderen Ebenen erfüllt. Bei einigen Szenen wird die Symbolik zudem etwas übertrieben – hauptsächlich bei der Darstellung von Callies sexueller Ausstrahlung, denn Szenen wie das Dekolletee-Kühlen mit einem Eiswürfel sind im Vergleich zu der ansonsten subtileren Herangehensweise (zB in Sachen Spannungsaufbau) doch zu offensiv geraten. Der auf den ersten Blick sehr einfach wirkende Plot eröffnet sich einem erst bei rückwirkender Betrachtung völlig – doch bis dato dient er als Grundlage für ein aus der breiten Masse herausragendes Werk in bester David Lynch Tradition.
Screenshots:
Bild & Ton:
Leider nur Vollbild, welches zudem teilweise ein wenig unruhig wirkt sowie einen etwas stärkeren Kontrast und einen Tick mehr Schärfe hätte gebrauchen können. Vom Ton her nur 2.0 Surround – was eigentlich okay ist, da es ohnehin eher ein Film der „leiseren Töne“ ist. Trotzdem: Beide Bereiche hätten besser sein können!
Menüs:
Einfach gehaltene Gestaltung – mit Musik aus dem Film unterlegt, aber keine Bewegtmenüs. Sprache: Russisch.
Extras:
Werbung für die DVD-Firma, Ankündigungen kommender Filme, Informationen zur Besetzung (Bio- und Filmographien) … alles in Form von russischen Texttafeln. Ach ja: Ganz am Anfang erscheint noch ein Werbeclip für eine PC-Firma…
Fazit:
Film: „the Passion of Darkly Noon“ ist ein ungewöhnlicher, hintergründiger, faszinierender Film über die Auswirkungen sexueller Obsessionen und religiöser Irrleitungen, der von Philip Ridley in wunderschöne Bilder verpackt wurde und all jenen Zuschauern gefallen dürfte, die gerne mal einen Blick über den Tellerrand gängiger (Mainstream-) Unterhaltung hinaus riskieren …
DVD: Der Film hätte auf jeden Fall eine bessere Veröffentlichung verdient, denn diese ist wahrlich etwas Mager ausgefallen – wenn auch nicht unbedingt mißlungen, denn Bild und Ton sind zumindest annehmbar und „Cast Infos“ als Bonusmaterial vorhanden.
Film:
DVD: