Hinweis: Ich habe mich bemüht diese Review so Spoilerfrei wie nur irgend möglich zu halten , was bei über 120 Folgen schon recht schwer ist. Aussagen über Handlungsdetails sind von mir so allgemein wie möglich gehalten um den Leute die die Serie noch nicht kennen nicht den Spaß zu nehmen. Auch Aussagen über die 6. Staffel , die hier in Deutschland noch nicht im Free TV lief sind von mir sehr allgemein gehalten , so das die Leute die Staffel 6 schon kennen wissen was gemeint ist , aber die die Staffel 6 noch nicht kennen nicht um den Spaß gebracht werden. Oder mit anderen Worten: Explizite Details der Handlung wie z.B. Todesfälle o.ä. werden 100%ig hier nicht verraten.
„Lost“ ist eine Serie die ihren Ruhm hauptsächlich durch das Internet verdankt. Nicht nur die Meldungen über das next-big-thing , die es immer wieder im Netz gibt , bei „Lost“ ging die Fanliebe noch weiter: Proxyserver überall auf der Welt liefen heiß weil die ganz harten Fans die Folgen Zeitnah übers Netz verfolgen wollten. In Fanforen & Blogs wurden über Handlungsdetails gesprochen wie über kleine Rauchwölkchen die nur in Zeitlupe zu sehen sind oder über bestimmte doppeldeutige Aussagen philosophiert. „Lost“ wurde durch seine andere , frische neue Erzählweise schon zu so was wie Kult (obwohl ich dieses Wort so gar nicht mag) , Leute die „Lost“ eher kritisch gegenüberstanden hatten bei den Die-Hard-Fans verdammt schlechte Karten.
Doch was ist „Lost“ nun ? Gekonnt inszinierter Hype oder berechtigter Frischzellenkur im US Serienbetrieb ? Wie so oft ist die Antwort nicht mit einem einfach Ja oder Nein zu geben. „Lost“ wirft jede Menge Fragen auf: Was hat denn nun das ganze zu bedeuten um den Absturz von Oceanic 815 auf einer Insel in der Südsee ? Ist das alles nur eine Art Truman Show ? Oder vielleicht eine Art Geistiger Todesfilm eines Sterbenden ? Oder ein Paralleluniversum ? Oder vielleicht sogar eine Art Vorhof zwischen Himmel & Hölle ?
Die Serie fängt verdammt stark an mit einem Pilotfilm der dem Zuschauer direkt mal kräftig packt & Lust auf mehr macht. Doch genau nach dem Pilotfilm schalten die Macher mal eben einige Gänge zurück & gehen vom Gas. Statt die Handlung voranzutreiben schauen wir den Protagonisten dabei zu wie sie es sich auf der Insel gemütlich machen , wie Freundschaften & Feindschaften entstehen (und so manche Liebschaft) & manchmal passiert sogar etwas Mysteriöses. Dazu gesellen sich jede Menge Rückblenden die von den einzelnen Personen & deren Leben vor dem Absturz handeln. Das ist zwar auf der einen Seite sehr schön weil die Figuren dadurch einiges an Tiefe bekommen & auch dadurch ihre Art des späteren Handelns erklärt wird , aber letztendlich haben es die Macher damit übertrieben weil dieses Rückblendengedöns ganze zwei Staffeln anhält & Streckenweise doch sehr langweilig ist.
Ab Staffel 3 kriegt die Serie dann endlich die Kurve & gibt dann mal Gas. Auf einmal passieren viele Dinge auf einmal & als Zuschauer verliert man schnell den Überblick bei den ganzen diversen Handlungsebenen. Das ist auch der Moment wo die Serie am meisten Spaß macht. Allerdings übertreiben es die Macher auch hier: Unglaublich viele Handlungsfäden werden ausgeworfen , vieles mehrmals in Frage gestellt so das es einem schon fast schwindlig werden kann.
Tatsächlich wird die Serie bis Staffel 5 ein riesiger Ballon voller unbeantworteter Fragen & selbst die Hardcorefans werden in diesem Moment zugeben müssen das es wohl unmöglich ist alles befriedigend zu beantworten.
Nachdem Staffel 5 mit einem Sprichwörtlichen großen Knall endete schalten die Macher wieder zurück & präsentieren den wohl langweiligsten Staffelauftakt einer Serie ever. Anstatt mit dem vorgelegten Tempo weiterzugehen wird die Handlung gespreizt: Der LA Handlungsstrang ist da besonders langweilig & ist wirklich besseres Soapniveau – und die Pointe auf die es letztendlich zuläuft ist schlichtweg eine Frechheit. Der zweite Handlungsstrang auf der Insel ist aber auch nicht viel besser. Hier schauen wir diversen Menschengruppen dabei zu wie diese von A nach B gehen (die einen sind am Tempel & gehen zum Strand , die anderen gehen vom Strand zu Leuchtturm etc pp). Auch hier zieht es sich wie Kaugummi. Erst gegen Ende nimmt das ganze dann Fahrt auf , nachdem die Wanderungen beendet sind.
Aber Antworten gibt es keine: Was hat es mit der Dharma Initiative auf sich ? Was bedeuten die Zahlenreihe die in den PC eingegeben werden mussten & was bewirkten diese genau ? Was hat es der Tempel für eine tiefere Bedeutung ? Warum können keine Babys auf der Insel überleben ? Das sind nur einige der vielen Handlungsfäden die komplett von den Macher auf halber Strecke liegengelassen wurden , obwohl diese vorher sehr breiten Raum in der Serie eingenommen haben. Nun kann man das ganze als „Mystery“ abtun , als den besonderen „Lost“-Touch - aber ganz ehrlich: Wenn ich einen Krimi anschaue will ich am Ende auch wissen wer der Mörder ist. „Lost“ versagt an dieser Stelle komplett – statt dem ganzen eine logische Erklärung zu geben gibt es zum Ende hin Scheinheiligen Religionsquatsch mit Himmel & Hölle , Tod & Teufel - mit einer Schlußepisode irgendwo zwischen „Hour of Power“ & Scientology Werbevideo.
Zumindestens haben die Macher Mut bewiesen: Nicht nur mit den X Handlungebenen , die so manchen Normalozuschauer etwas überfordert haben dürften sondern auch mit den Darstellern. „Lost“ hat nicht eine Hauptrolle sondern fast 20 Hauptpersonen die mehr oder weniger Gleichberechtigt agieren dürfen. Bei der Besetzung fanden sie zu jeder Rolle auch die perfekte Type , was mehr als positiv ist. Die Schauspielerischen Leistungen sind auf US Serien gewohnten guten Niveau , hier gibt es nix zu motzen.
Doch beim Fazit fällt es schwer: Sicher , „Lost“ hat in Sachen TV Serie Geschichte geschrieben & zusammen „24“ die TV Landschaft der ersten Jahre des neuen Jahrtausends geprägt. Die Serie hat sicherlich öfters ihre wirklich spannenden Momente & die Grundstory ist wirklich vielversprechend – aber leider ziehen die vielen Gummifolgen in allen Staffeln , die langweiligen ersten beiden Staffeln sowie der imo total unbefriedigende Schluß die Wertung nach unten. „Lost“ kommt bei mir als ganzes nicht über
hinaus.