Oben
Einfach dem Stress entkommen und abheben? Carl Fredricksen, Hauptfigur des zehnten Pixarstreifens Oben, macht vor, wie es geht und hängt sein Haus an tausende Luftballons, um gen Südamerika zu fliegen ...
Originaltitel: Up
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2009
Regie: Pete Docter / Bob Peterson
Sprecher: Edward Asner, Christopher Plummer, Jordan Nagai, Bob Peterson, Delroy Lindo, Jerome Ranft, John Ratzenberger, David Kaye, Elie Docter u.a.
Carl Fredricksen ist seit dem Tod seiner geliebten Ellie zu einem einsamen, eigenbrötlerischen, zurückgezogen lebenden Grummelkopf verkommen, der, in festen Alltagsritualen gefangen, sein Leben fernab jedweder Abenteuerlichkeit lebt und vor sich hin trauert. Über diese Trauer hat er alles vergessen, was ihn einstmals ausmachte und was Ellie an ihm gefallen hat, doch das bemerkt er selber gar nicht mehr. Was er bemerkt, ist, dass ihm ein Bauunternehmen sein Haus abkaufen will, um es dem Erdboden gleichzumachen und einen modernen Gebäudekomplex an Ort und Stelle hochzuziehen. Doch das kann er nicht zulassen, ist sein Haus doch das letzte verbliebene Refugium in Sachen Ellie, zu dem er sogar spricht, als sei es von Ellies Geist beseelt. Eines Tages kommt es zu einem tragischen Zwischenfall und Carl rastet einem der Bauherren gegenüber aus. Infolgedessen soll er als unzurechnungsfähig in ein Seniorenheim abgeschoben werden. Doch bevor ihn die Pfleger des Heimes abholen können, keimt in ihm ein mutiger und verzweifelter letzter Plan: Er möchte den Traum seiner geliebten Ellie wahr werden lassen. Diese wollte immer an den Paradise Falls Wasserfällen leben. Also befestigt Carl sein Haus an einer riesigen Traube Heliumluftballons und hebt einfach ab. Gen letzter Ruhestätte für sein Haus, seine Ellie und sich. Dummerweise tritt er die Reise nicht so allein an, wie er gehofft hat, denn ein dicklicher kleiner Pfadfinder, namens Russell, hatte sich unter der Hausveranda versteckt und begleitet Carl nun notgedrungen auf seiner abenteuerlichen Reise ...
Die letzte Pixar Produktion Wall-E wucherte mit Innovationen und spielte mit dem Medium Film, indem die Mär um den liebestollen Roboter einfach einmal als mutiger Faststummfilm daherkam, der eine erwachsene Liebesgeschichte zwischen zwei Blechdosen erzählte, nebenbei milde Zivilisationskritik übte und vor allem vom unvergleichlichen Charme der Hauptfigur zehrte. Von diesem innovativen Geist ist Oben nun eher weniger beseelt. Vielmehr ist Oben, der zehnte Langfilm der Pixarstudios, ein konsequenter Schritt der Trickfilmschmiede auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Ein gestandener, grummeliger und von der Welt zurückgezogener Opa, seine ewige Liebe zu seiner verstorbener Ehefrau, ein trockener, altersweiser Humor und die ersten Blutflecken in einem Familienfilm Pixars verkünden: Das Studio hat seine kindliche Unschuld verloren. Allerdings auf eine sehr sympathische Art und Weise, die obendrein niemandem weh tut, also außer im Lachmuskelbereich. Und so präsentiert sich Oben als wohl generationenübergreifendster Film der Pixelzauberer, die hier fernab jeder Zielpublikumskategorisierung arbeiten und von den Allerjüngsten bis zu den Ältesten der Alten jeden anzusprechen verstehen.
Dementsprechend geraten dieses Mal die transportierten Botschaften deutlich universeller. Es geht um die Kraft der Freundschaft. Es geht um das Alter und darum, wie wenig wir uns davon unser Leben diktieren lassen sollten. Es geht um Trauer und deren Überwindung. Es geht um ewige Liebe, die alle Hindernisse überwindet, aber nicht zum alles bestimmenden Dogma werden darf. Und es geht darum, sich in seinem Leben auf keinen Fall von der Außenwelt abzuschotten, wobei es immer das Wichtigste ist, vorwärts zu schauen und niemals in der Vergangenheit zu verharren.
Die Geschichte, die diese Botschaften transportiert, beginnt dabei mit einem ganz großen Moment des aktuellen Kinojahres. In knapp zehn Minuten erleben wir in allen Einzelheiten die Liebe zwischen Carl und Ellie. Wie sie sich als Kinder kennen lernten, als Teenager verliebten, als junge Erwachsene heirateten und immer gemeinsam durch dick und dünn gingen. Doch dann kam der Tag, als Ellie krank wurde und ab dem sich Carl rührend um sie kümmerte, ohne verhindern zu können, dass sie ihm unter den Händen verstarb. Alleine in diesen ersten zehn Minuten gehen kleine und große Szenen grandios Hand in Hand und selbst vor Kitsch hat Pixar offensichtlich keine Angst. Dabei reichen schon kleine Szenen aus, um pure Melancholie zu generieren. Etwa wenn die jungen Verliebten gemeinsam einen Berg hochklettern, Ellie als erstes oben ankommt und ihrem keuchenden und schnaufenden Carl erst antreiben muss, auch auf die Spitze zu gelangen. Jahre später besteigen sie wieder gemeinsam diesen Berg. Während Carl bereits oben angekommen ist und gerade seine Ellie anfeuern will, ihm zu folgen, sehen wir als Zuschauer schon, dass sie hinter ihm zusammengebrochen ist und ohne Hilfe weder auf den Berg hinauf noch von dem Berg herunter kann.
In diesen zehn Minuten purer Kinomagie etabliert Pixar eine Grundstimmung, die den ganzen Film beherrscht. Wir verstehen alleine anhand dieses Einstiegs, warum Carl macht, was er macht und wieso diese ganze Aktion so wichtig für ihn ist, auch wenn sie uns im ersten Moment sehr verrückt erscheint. Aber man würde nie auf die Idee kommen, diese Entscheidung zu hinterfragen. Dazu ist der Charakter des Carls schon viel zu plastisch entworfen wurden und dazu wissen wir schon zu genau, was ihn antreibt und wieso er tun muss, was er da tut. Und überhaupt ist der Charakter des Carl ein grandioser Pluspunkt für den gesamten Film, denn so kantig, abweisend und schroff er auch zu Beginn herüberkommen mag, man kann ihm nie böse sein. Und auch sein junger Begleiter, erstaunlicherweise wieder ein sehr dickliches Kind - wie schon in Wall E kommt damit der aktuelle American Way of Life nicht sooo gut weg! -, wird aufgrund einer hervorragenden und plastischen Charakterentwicklung vom anfangs eher nervigen Klotz am Bein zum wahrhaftigen Charakter mit Ecken und Kanten und trauriger Backgroundgeschichte. Um Oben nicht zu verkopft oder melancholisch werden zu lassen, etablierte Pixar noch weitere Figuren, die mit viel Slapstick für Aufheiterung sorgen. Und obwohl sie zumeist tierischer Herkunft sind, wissen auch diese Charaktere vollauf zu überzeugen, bleiben doch auch sie niemals nur auf das Spaßbringerelement beschränkt.
An einem Charakter zeigt sich dann ganz offensichtlich, dass Pixar erwachsen geworden ist: Am Bösewicht Charles Muntz. Im Übrigen pflegt das Disney Imperium zu dem tatsächlich gelebt habenden Produzenten Charles B. M
intz eine wahre Hasslieb, nahm er doch einst Walt Disney dessen erste, wirklich erfolgreiche Figur - Oswald der lustige Hase - weg, was Disney zur Erfindung von Mickey Mouse bewegte, die Oswald dann doch sehr ähnlich sah und den Erfolg des Imperiums begründete. Dennoch hallte der Verrat Mintz noch lange in Disney nach. Die Umsetzung dieser Animositäten auf einen nur im Detail leicht anders heißenden Charakter ist auch mal eine wahrlich elegante Art, so richtig nachzutreten 😉. Die daraus resultierende Figur des Muntz ist ein nervös zwischen Genie und Wahnsinn lavierender Charakter, der zu Beginn so gar nicht zu greifen zu sein scheint und dann erstaunlicherweise zum konsequentesten Bösewicht Pixars heranreift, dabei sogar über Leichen gehen würde und seinerseits ein erstaunlich heftiges Ende findet.
Und neben der Zeichnung des Bösewichts gibt es noch eine weitere Überraschung in Oben. Während man aufgrund der Trailer und Kurzbeschreibungen des Filmes immer annehmen musste, dass es vor allem um die Reise von Carl und Russell zu den Wasserfällen und die Abenteuer in dem fliegenden Haus gehen würde, ist dieses Handlungselement gar nicht lange Thema im Film. Vielmehr ist man nach dem herrlich melancholischen Einstieg und der witzigen Zeichnung von Carls Alltag fast sofort am Zielort und es geht vielmehr um die Abenteuer, die man hier in südamerikanischen Gefilden erlebt. In diesem Abschnitt hat Oben dann durchaus auch ein paar zähe Momente zu verzeichnen und gerät erstaunlicherweise auch ein deutliches Quäntchen zu lang, wobei vor allem die stete Trial and Error Routine in der Herangehensweise der Figuren an die Abenteuer irgendwann recht redundant wirkt, wodurch Oben dramaturgisch etwas auf der Stelle zu treten scheint.
Doch zum Glück fängt sich der Film allerspätestens mit dem Einläuten des Showdowns wieder und lanciert die von Pixar gewohnte, vor Kreativität sprühende Detailverliebtheit. Da werden Luftschiffe von fliegenden Häusern geentert, gibt es Wasserschlauchbungeejumping, definiert man den Begriff der Dogfights (=Als Dogfight wird umgangssprachlich der Kurvenkampf in einem Luftgefecht zwischen zwei Flugzeugen bezeichnet) über doppeldeckerfliegende Hunde, die mittels Beißknochen die Maschinengewehre der Flugzeuge bedienen, vollkommen neu, setzt es ein wahnwitzig witziges Schwertduell und steigert sich das Tempo von Sekunde zu Sekunde.
Hier greift dann auch die erneut hervorragende Pixartechnik hinter Oben. Optisch ist der Film dementsprechend wieder ein absoluter Augenschmaus. Seien es die weichgezeichneten, knallbunten Bilder zu Beginn des Filmes, der farblich geerdete Ausschnitt aus Carls routiniertem, tristem Leben oder die Kamerakapriolen im hochtourigen Showdown, Pixar zeigt mal wieder allen Konkurrenten, wo der Animationsbauer seinen Most holt. Das reicht von kleinsten Details wie Altersflecken auf Carls Haut oder seinem stetig wachsenden Dreitagebart über das vor Farbigkeit förmlich explodierende Gefieder des Kevin genannten Riesenvogels hin zur perfekt animierte Flora und Fauna am Zielort und endet noch lange nicht in den Abertausenden, in allen Farben des Regenbogens erstrahlenden Luftballons, die das Haus transportieren.
Als etwas unschön empfand ich persönlich die Herangehensweise Pixars an die Hundefiguren im Film. Denn während die Hauptfiguren, also alle Menschen, Kevin und der die Helden begleitende Hund Dug allesamt Comiceigenschaften in ihrem Charakterdesign aufweisen, lehnt sich Pixar bei den Hunden von Oberbösewicht Muntz doch zu sehr an die Natur an und versucht ein realitätsgetreues Abbild zu erschaffen. Das Paradoxon der Animation macht sie aber in der Filmrealität sogleich zu den unglaubwürdigsten Figuren, die durchweg viel zu künstlich wirken, auch wenn sie in Einzelwerten - wie die animierten Haare ihres Felles - sicherlich ganz großes Kino darstellen.
In technischer Hinsicht ist natürlich auch interessant, dass dies Pixars erster in 3D produzierter Film ist. Dabei setzt Pixar auf die in letzter Zeit immer intensiver genutzte Variante, dass die Story im Vordergrund steht und der 3D Effekt nur genutzt wird, um den Bildern eine einzigartige Räumlichkeit zu verleihen. Dementsprechend ragt in Oben nichts in den Zuschauerraum, fliegt nichts des reinen Selbstzweckes wegen vor unserer Nase herum usw. Dennoch muss ich zugeben, dass ich mir gerade von Superstudio Pixar den einen oder anderen schlitzohrigen 3D Effekt definitiv erwartet habe und so ein wenig enttäuscht aus dem Kino ging, was den Wert des 3D Effektes für diesen Film anging.
Ellie und Carl, wobei der Rezensent während der Filmvorstellung sehr oft mit dem kleinen Carl verglichen wurde ... warum auch immer!
Doch das ist letztlich nur ein kleiner subjektiver Makel, von denen Oben diesmal aber definitiv ein paar mehr hat, als man es von Pixar gewöhnt sein mag. Doch diese werden von Oben definitiv wieder aufgewogen. Seien es die sehr ansprechende Geschichte, die mutige Entscheidung, schwere Themen wie den Verlust innig geliebter Menschen oder Scheidung anzusprechen, die gewohnt hochtourige Action, die knuffigen Figuren, das kauzigste Buddy Gespann seit Erfindung des Animationsfilmes oder die perfekte Technik inklusive sehr gelungener Synchronisation, Oben macht erneut auf sehr hohem Niveau Spaß und man darf ganz sicher gespannt sein, wie es nach dieser Ode an das Abenteuer „Älterwerden“ im Kreativpool von Pixar weitergehen wird.
Im Übrigen wurde ich von der Kartenabreißerin aufgrund meiner nacho- und popcornvernichtenden Kinobegleitung und deren Anhang zum Papa erklärt, der, ganz offensichtlich Herr der großen Rasselbande und Kind im Geiste, natürlich auf das Fazit der kleinen Racker gespannt war, zumal es im Laufe der Kinovorstellung selbst sehr ruhig aus deren Richtung war. Erstaunlicherweise weiß ich dennoch folgendes von der Kinderfront zu berichten: „Der Film war genauso cool wie Ice Age 3D“ ... dem ist nichts hinzuzufügen 😉
In diesem Sinne:
freeman