Coraline
Die kleine Coraline betritt über eine geheimnisvolle Tür in der Wand ihrer neuen Wohnung eine seltsame Parallelwelt, in der sie sich sofort wohl fühlt und die sie am liebsten nie wieder verlassen würde. Leider könnte dieser Wunsch nur zu schnell Realität werden ...
Originaltitel: Coraline
Herstellungsland: USA
Erscheinungsjahr: 2009
Regie: Henry Selick
Sprecher: Dakota Fanning, Teri Hatcher, Jennifer Saunders, Dawn French, Keith David, John Hodgman, Robert Bailey Jr., Ian McShane u.a.
Neil Gaimans Comic Coraline, den er mit dem Zeichner Dave McKean, auf den Weg brachte, berichtete von der gleichnamigen Heldin der Geschichte, die mit ihren Eltern, berufstätig und beständig beschäftigt, eine neue Wohnung bezieht. Diese gleicht Tage nach dem Einzug immer noch einem Schlachtfeld, da die Eltern Termine einzuhalten haben und sich weder um die Wohnung noch um Coraline kümmern können. Das sich nicht beachtet fühlende Mädchen beginnt daraufhin seine Umgebung zu erkunden und findet dabei eine kleine, in eine Hauswand eingelassene Tür. Dahinter befindet sich nichts weiter als eine Mauer. Dennoch ist Coralines Neugier geweckt. Als sie am gleichen Abend gerade eingeschlafen ist, wird sie von einer Springmaus geweckt, die sie geradewegs zu der geheimnisvollen Tür führt. Doch diesmal ist da keine Mauer hinter der Tür, diesmal ist da ein Tunnel. Dieser führt in ein spiegelgleiches Abbild des neuen Zuhauses der Familie, nur dass hier das Leben pulsiert, die Eltern Coraline gegenüber aufmerksam sind und sogar das Essen schmeckt! Coraline ist ganz angetan von dieser Parallelwelt und erliegt immer mehr den Verlockungen der „anderen Familie“, die Coraline quasi adoptieren möchte. Fast zu spät merkt Coraline, in welch großer Gefahr sie sich befindet ... dabei hätte sie die Tatsache, dass alle Lebewesen in der Parallelwelt Knöpfe statt Augen haben, schon deutlich früher beunruhigen sollen ...
Die Gruselstory hinter Coraline war von Beginn an als Gruselstoff für Kinder und junggebliebene Erwachsene angelegt, was Filmemacher Henry Selick auf sie aufmerksam machte. Der Weggefährte Tim Burtons, der schon bei Walt Disney mit Burton in der Animationsabteilung zusammenarbeitete, brachte dank der Hilfe des verschrobenen Filmgenies vor Jahren den Nightmare before Christmas im Stop Motion Animationsverfahren auf den Weg. Das auf wundervolle Weise gealterte Animationsverfahren übertrug Selick dabei auf Puppen, die er Bild um Bild minimal veränderte, um in der schnellen Abfolge dieser Bilder bewegte, singende und tanzende Kreaturen zu erschaffen, die deutlich die Handschrift des Produzenten Burton trugen. Danach kapselte sich Selick ein wenig von seinem Freund ab und brachte im Alleingang James und der Riesenpfirsisch und den verschrobenen Monkeybone auf den Weg, die beide bewiesen, dass auch Selick ein offenkundiges Faible für verschrobene Bilder, Charaktere und Storys hatte. Dieses Faible schien sich traumhaft mit dem Gruselstoff Gaimans zu ergänzen und man brachte den Film auf den Weg.
Dass Coraline eventuell zu gruselig für Kinder sein könnte, federte Selick selbst schon im Vorfeld der Diskussionen um den Film ab, als er vollkommen korrekterweise feststellte, dass schon die alten Disneyklassiker immer gruselige Motive beförderten (man denke an die Stiefmutter in Schneewittchen oder den garstigen Drachen in Dornröschen!) und dies erst in der Phase der Disneymusicals weitgehend komplett wegrationalisiert wurde. Seiner Meinung nach wünschen sich Kinder derartige Stoffe ... ob sie sich allerdings einen Film wie Coraline gewünscht haben, steht auf einem vollkommen anderen Blatt.
Denn dafür ist Coraline letztlich zu gruselig und vor allem schräg! Schräg, was die sich nur langsam entfaltende Story angeht, die jedes Kind unter 8 Jahren mühelos langweilen/überfordern wird. Schräg, was die ungewöhnlichen, extrem exaltierten Figuren angeht. Schräg, was den angeschlagenen, sehr subtilen Humor betrifft. Genauso sind die präsentierten Bildperspektiven ungewohnt schräg, ja sogar Coralines Nase ist schräg! Doch am Meisten wird wohl das schräge Missverhältnis aus sperrigem und fast schon phlegmatischen Einstieg und Spannungsüberfluss im letzten Drittel die lieben Kleinen überfordern. Zwar gibt es kinderfilmtaugliche Botschaften um den Wert der Familie, die transportiert werden, doch ob jene sich dem jungen Publikum erschließen? Kurzum: Ein Kinderfilm sieht ganz anders aus.
Doch was des einen Leid ist des anderen Freud, denn sobald etwas kindgerechtes nicht mehr gar so kindgerecht anmutet, werden die Älteren zumeist aufmerksam. Und denen wird genau das gefallen, was es den Kleinsten wohl schwer macht, mit Coraline warm zu werden. Denn, Himmel, Coraline ist herrlich schräg! Und Coraline biedert sich auch nicht einem jungen Publikum an! Der Humor bleibt immer zurückhaltend, die Story ist frei von Hektik, die Figuren sind charmant und skurril und die Spannung im Film steigert sich im zunehmenden Maße und gipfelt in einem erstaunlich genial getimten Showdown.
Des Weiteren werden die Erwachsenen auch die Arbeit hinter Coraline mit ganz anderen Augen sehen. Und aufs Auge gibt es in Coraline einiges! Die tolle Stop Motion Animation ist wundervoll flüssig und wirkt im Zeitalter der 3D Animation auf wundervolle Weise antiquiert, ohne veraltet anzumuten. Die Bilder bersten vor Details, die Ausstattung ist liebevoll und die Kamera – offensichtlich computergestützt – bestreitet teils irre Fahrten durch die real aufgebauten Sets. Auch Freund Computer wurde in Coraline ausgiebig bemüht und erschuf einige Bilderflutwunderwerke wie die Verwandlung der Parallelwelt in ein weißes Nichts oder die wirklich geniale und meines Wissens allererste Stop-Motion-Morphing-Sequenz bei der Verwandlung der anderen Mutter in ihr wahres Ich. Dazu kommt ein erstaunlicher, weil so selten gehörter Soundtrack, der nur unterstreicht, wie eigentümlich das ganze Unternehmen Coraline letztlich anmutet.
Coraline ist nämlich ein Streifen, der den mutigsten unter den kleinen Kinogängern vermutlich einen vergnüglichen ersten Kontakt mit dem Genre des Horrorfilmes bescheren wird und den eher unbedarften Kindern diverse Alltagsgegenstände wie Scheren, Knöpfe, Nadel und Faden auf ewig vermiesen könnte! Der open minded Erwachsene wird diese Fähigkeit Selicks mit Wonne registrieren und auch sonst mit einem einzigartigen Gesamtkunstwerk belohnt. Dieses ist allerdings beileibe nicht rundum perfekt. So ist Coraline schlicht ein paar Minuten zu lang und dennoch wollen manche Charaktere nie so recht im Film ankommen. Erstaunlicherweise, denn gerade Vorlagenpuristen werden monieren, dass mit der Figur des Wybie und seiner Großmutter zwei komplett neue Charaktere erfunden wurden, die offenkundig eine erklärende Funktion haben und das sogar ein Stück zu gut erledigen – sprich: Coraline ein wenig entzaubern. Auch wird manchem Kenner der Vorlage nicht entgangen sein, dass die Zeichnungen von Dave McKean eher weniger im Film wieder zu erkennen sind und der Look doch deutlich Selickscher geraten ist, als man hätte annehmen sollen. Doch das ist nur Makulatur. Coraline unterhält auf interessante Weise und kommt obendrein im raumgreifenden und niemals aufdringlichen 3D daher, was per se schon neugierig auf den Film macht. Denn hier steht endlich einmal die Geschichte im Vordergrund, nicht das Marktschreierische der „neuen“ Technik!
In diesem Sinne:
freeman