bzw.
Entstehungsdaten:
USA 2006
Regie:
Robert John Degus
Darsteller:
Gabrielle Anwar
Henry Ian Cusick
Dave Ortiz
Trailer:
Die Ereignisse des 11. September 2001 lösten einen Schock aus, der die Welt erschütterte, veränderte sowie zu einer reflexartigen Reaktion animierte. Seither befinden „wir“ uns, wie es immer so schön heißt, im Krieg: Nicht etwa gegen ein spezielles Land oder Regime, sondern den „Terror“ an sich, also keinen greifbaren Kontrahenten, vielmehr eine Bewegung, Gesinnung und/oder Taktik – ungleich komplizierter zu bekämpfen, da man den Feind nicht auf einen Blick zu identifizieren vermag, er also aus dem Verborgenen heraus mit rational durchdachtem Kalkül provoziert, taktiert und agiert. Eine Situation wurde heraufbeschworen, die sich nicht gewinnen lässt – was wiederum die allgegenwärtige, mehr oder minder intensiv ausgeprägte (individuelle wie kollektive) Angst nährt, die von einem subtil mulmigen Gefühl in ganz bestimmten Situationen bis hin zu einer krankhaften Paranoia reichen kann. Dieser brisant-aktuellen Ausgangslage bedient sich „9/Tenths“, eine amerikanische Independent-Produktion aus dem Jahre 2006, welche das eben beschriebene Szenario noch einige Schritte weiter spinnt, um im Kontext einer sich auflösenden Gesellschaftsordnung eine auf drei zentrale Protagonisten fokussierte existenzielle Geschichte zu erzählen…
In einer keinesfalls fern einzuordnenden Zukunft werden die USA von immer weiter eskalierenden Terroranschlägen heimgesucht – die Metropolen des Landes stellen dabei die Hauptziele der Gewaltakte dar. Um sich vor der akuten Gefahr zu schützen, hat der Geschäftsmann William (Henry Ian Cusick) für sich und seine Frau Jessica (Gabrielle Anwar) eine kleine Ranch erworben, welche hunderte Meilen von der nächsten Großstadt entfernt liegt, also quasi mitten im ländlichen Nirgendwo. Bei ihrer Ankunft müssen sie jedoch feststellen, dass jemand bereits in dem einsamen Farmhouse wohnt: Seit seiner Jugend schon kümmert sich Elias (Dave Baez) dort im Auftrag des Vorbesitzers um alles Anfallende (Reparaturen, Pflege des Viehs etc) – und jener hatte ihm im Gegenzug ein Wohnrecht eingeräumt, weil er für seine Dienste nie direkt bezahlt wurde. Da William nichts von einer solchen Vereinbarung weiß, versucht er den „Eindringling“ infolge dessen von „seinem“ Grundstück zu verbannen – nur beharrt jener ebenso beharrlich auf sein Recht. Rasch spitzt sich die Lage zu und nimmt gar erste bedrohliche Züge an…
Nach einigen Tagen des widerwilligen Zusammenlebens erfahren sie dann per Radio davon, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind: Verschiedene gravierende Angriffe, u.a. gegen Einrichtungen der Stromversorgung gerichtet, haben dazu geführt, dass die öffentliche Ordnung in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen ist. Fortan ist die Lage umso stärker von Verunsicherung und Anspannung geprägt – letzte Meldungen vor dem endgültigen Abbruch der Kommunikation zur Außenwelt berichten über anarchistische Zustände auf den Straßen sowie sich ausbreitende Seuchen und Krankheiten. Als die mitgebrachten Lagerbestände der zwei Städter aufgebraucht sind, verschieben sich die Machtverhältnisse auf der Ranch immer deutlicher zugunsten des ruhig abwartenden Elias, der es seit jeher gewohnt ist, in allen Lebensbereichen für sich selbst zu sorgen. Er hält inzwischen eine allen Beteiligten zunehmend bewusster werdende primäre Position inne: Das Haus könnte er nun spielerisch übernehmen, bloß interessiert ihn vorerst vielmehr die Beobachtung des von ihm weitestgehend unbeeinflussten Laufs der Dinge – die Zeit befindet sich schließlich auf seiner Seite…
„9/Tenths“ ist ein unaufdringliches 3-Personen-Drama – im Prinzip ein reserviertes Kammerspiel, das man auch problemlos auf einer Theaterbühne präsentieren bzw aufführen könnte. Wie würden wir unter diesen Umständen reagieren? Könnten wir uns selbst ernähren, wenn wir ganz auf uns allein gestellt wären? Als es plötzlich ums praktische Überleben geht, nützt William all sein theoretisches (vornehmlich Business-) Wissen herzlich wenig: Anfangs kann er sich noch Informationen aus dem Internet ziehen, die ihm aber ebenfalls nur eingeschränkt weiterhelfen – nach dem Wegfall dieser Möglichkeit ist er im Prinzip aufgeschmissen. Die auf ihre Technik gestützte Zivilisation bricht zusammen, traditionelle Werte (wie handwerkliche oder ökologisch ausgerichtete Kenntnisse) sichern fortan die Selbsterhaltung. Die Zuschauer werden zum Nachdenken angeregt – über soziale Normen, Geschlechterrollen, Macht sowie die Art der Ausübung dieser. Irgendwann lässt William Jessica widerwillig allein, um eigenständig zu versuchen, Vorräte zu beschaffen – doch als er nach längerer Zeit nicht zurückkommt, sucht sie aus der Not heraus den näheren Kontakt zu Elias. Gemeinsam arrangieren sie sich, es bildet sich eine Zweckgemeinschaft, die keineswegs auf Sexualität basiert, wie manche vielleicht denken könnten. Zuvor hatte sich bereits abgezeichnet, dass sie die strikt ablehnende Haltung ihres Gatten nicht teilt, sondern durchaus auch den anderen Standpunkt verstehen kann – bei der Rückkehr ihres Angetrauten schlägt sie sich allerdings, angesichts seiner Reaktion auf die vorgefundene Konstellation, umgehend wieder auf seine Seite, worauf der Dritte im Bunde endgültig genug hat und beide fortan unter Waffengewalt vom Anwesen fern hält. Bis dato hatte er ein (mehr oder minder ausgeprägtes) Miteinander zugelassen, nur bietet ihm ihr Verhalten nunmehr keine andere Wahl. Von da an nimmt der Film stetig an Intensität zu: Für das Paar werden die Zustände draußen immer unerträglicher. Sie haben nirgends mehr, wohin sie ausweichen bzw gehen könnten, also halten sie sich notgedrungen in der Nähe des Hauses auf – unter freiem Himmel. Ohne Waschgelegenheit, (u.a.) dazu verdammt, aus Pfützen zu trinken sowie gar rohes Fleisch eines verendeten Tieres hinunterzuwürgen, sind sie am Boden angelangt. Sie, die erfolgreichen, einigermaßen vermögenden Großstadtbewohner, sind binnen weniger Wochen in gewisser Weise zu Flüchtlingen geworden, quasi zu Aussätzigen im Sinne der einteilenden Ordnung ihrer ehemaligen Existenz. Die betreffenden Sequenzen sind schwer mit anzusehen – unweigerlich fragt man sich, wie es so weit kommen konnte. William´s Stolz und ignorante Beharrlichkeit haben sie in diese Lage gebracht – und als ihm bewusst wird, dass Jessica im Grunde ihre einzige Chance markiert, verlangt er von ihr, sich Elias hinzugeben, um dafür im Gegenzug wenigstens einige Lebensmittel zu erhalten. Seine immer stärker in den Vordergrund rückenden Einstellungen und Handlungsweisen schrecken sie entsprechend zunehmend ab – eine vertrackte Lage, die noch etliche andere Ausprägungen hervorbringen wird und im Zuge dessen zwangsläufig vollends einen Keil zwischen sie treibt.
Gabrielle Anwar („the Marsh“/„Scent of a Woman“) überzeugt restlos in der Hauptrolle. Nie sah sie besser aus als in manch einer Einstellung hier – aber in erster Linie geht es natürlich um ihre kraftvolle Performance, die eine weite Palette an Emotionen mit einschließt. Einerseits ist Jessica ein Spielball der zwei Männer um sie herum (ihre Ehe ist ihr wichtig, nichtsdestotrotz ist sie auf Elias angewiesen, da William nicht (mehr) im nötigen Maße für sie sorgen kann) – auf der anderen zugleich eine starke Persönlichkeit, die ihren eigenen Weg zu gehen versucht. Im Prinzip erinnert die Konstellation an jene, die ich zuletzt in dem Thriller „Three“ (mit Kelly Brook und Billy Zane) gesehen habe – nur dass die Frau innerhalb dieses Konflikts ihren Körper nicht aktiv als Waffe einzusetzen gedenkt. Als ihr, stark geschwächt von den verzehrenden Bedingungen draußen, (anscheinend) nur noch dieses eine Mittel übrig bleibt und sie es widerwillig als Option anbietet, geht Elias im Gegenzug allerdings nicht darauf ein, denn er verabscheut „Huren“ bzw in diese Richtung tendierende Verhaltensweisen – statt die Situation auf der sexuellen Ebene auszunutzen, macht er ihr die nun umgekehrte Fallhöhe spürbar, etwa indem er sie in ihrem schönsten Kleid den Boden schrubben, sie also für ihr Essen arbeiten lässt. Henry Ian Cusick (TV´s „Lost“/„Hitman“) gefiel mir anfangs nicht so gut, was gewiss zum Teil mit der Konzeption seiner Rolle während jener Phase im Zusammenhang stand – nach seiner Rückkehr änderte sich mein Eindruck jedoch stetig hin zur Zufriedenheit mit seiner Darbietung. William muss für seine falsch getroffenen Entscheidungen erst einmal in vielerlei Belangen büßen, bevor in ihm der Prozess des Umdenkens einsetzt: Die Prägung seiner bisherigen Lebensumgebung hat ihn zu dem gemacht, was er ist – und nun gilt es, sich der neuen Situation anzupassen bzw unterzuordnen, welche ja nahezu vollständig außerhalb seines Einflusses liegt. Als (Pseudo-) Antagonist vermag Dave Baez („the Crow: Wicked Prayer“) zwar keine wirklich nachhaltige Impression zu hinterlassen, wird seinem Part aber dennoch absolut gerecht.
Bei solch einem minimalen Setting geht es zwangsläufig fast ausschließlich um die Charaktere, welche vorliegend einen zutiefst menschlichen Eindruck erwecken – selbst wenn einige Entscheidungen eher befremdlich anmuten, wie William´s Zurücklassen seiner Frau in Elias´ Nähe, was angesichts seiner unschönen Erlebnisse in der Stadt, von denen er nach seiner Wiederkehr berichtet, im Nachhinein aber auf jeden Fall die richtige Wahl war. Die Figuren sind nicht strikt nach schwarz und weiß getrennt, sondern variieren in ihren Ausprägungen, was sich zwangsläufig ebenfalls auf die Gunst des Publikums auswirkt – in einzelnen Augenblicken erhält jeder mal (u.a.) Mitleid, Verachtung oder Sympathie zugesprochen. Im Zuschauer keimt automatisch die Frage auf, wie man selbst wohl in einer vergleichbaren Lage reagieren würde – nur ist es natürlich unmöglich, eine Antwort darauf zu geben, welche über das Beinhalten reiner Spekulationen hinausreicht.
Zweifellos weist „9/Tenths“ eine bedrückende Grundstimmung auf, nur war mir diese persönlich insgesamt nicht durchgängig intensiv genug – die Folgen der Verbannung sowie Monate ohne Strom werden zu punktuell erscheinend aufgegriffen, was in einzelnen einprägsamen Szenen resultiert, nur leider in keiner permanent dichten Atmosphäre. Da das gesamte in Santa Clarita (Kalifornien) gedrehte Werk nur auf diesem einen Grundstück spielt, verliert man bei Zeiten den Hintergrund ein wenig aus den Augen, nämlich die eskalierende Anarchie, welche diese idyllische, fast wie eine einsame Insel anmutende Location umgibt. Nach dem Abreißen der Informationsversorgung liefern nur William´s Aussagen Hinweise auf das Gesamtbild. Große, weltweite Konflikte werden auf diesen kleinen, aus drei Individuen bestehenden Rahmen übertragen – das Gebäude wird zu mehr als nur einer Summe überdachter Wände, nimmt einen symbolischen Wert ein, was mich an die Grundsätzlichkeit der Handlungen in „the House of Sand and Fog“ (2003) erinnerte. Ich bin der Meinung, dass mehr Erfahrung hinter der Kamera der Produktion besser getan hätte, denn nahezu alle Mitwirkende sind relative Newcomer auf ihrem jeweiligen Gebiet: Zum Beispiel fungierte Nathan Wilson hier erstmals als „Director of Photography“, Regisseur Robert John Degus inszenierte zuvor bloß den Short „Another Round“ (1992) und war bislang hauptsächlich als Produzent tätig, was ebenso für Drehbuchautor Michele McGuire gilt. Die den Eindruck eines besseren TV-Dramas hinterlassende Optik und ruhige Umsetzung sind der Thematik und Ausrichtung angepasst zurückhaltend – nur zum Finale hin wird etwas Action mit eingeflochten, als zwei bewaffnete Fremde die Bildfläche betreten. Brian Rolston´s Musikuntermalung spricht jeder Figur ein spezifisches Instrument zu – die restlichen Klänge stammen (in Form von Samples) aus dem Computer, um das ohnehin nur knapp 1 Million Dollar betragende Budget nicht weiter zu belasten. Der Qualität schadete dieses Vorgehen allerdings nicht – u.a. erhielt der Score auf dem „Park City Film Music Festival“ eine besondere Auszeichnung.
Mit einem ausgeprägteren Fingerspitzengefühl wäre es gewiss möglich gewesen, eine kleine Indie-Perle zu erschaffen – nur findet das Werk in manchen entscheidenden Momenten einfach nicht die notwendige Ideallinie. Das Ende verdeutlicht diese Einschätzung (zumindest in meinen Augen) treffend: An einem bestimmten Punkt, welcher eine (leichte) aus der Situation heraus resultierende Annäherung markiert, nach der die Dinge vielleicht einen veränderten Lauf nehmen, setzen plötzlich und unerwartet die Credits ein – ganz ohne dass Lösungen für etliche der zentralen Konflikte gefunden wurden. Das Publikum wird hängen gelassen und zugleich in die Pflicht genommen, sich eigenständig mit den noch offenen Fragen zu beschäftigen – ein zweischneidiges Schwert, denn die gute Idee dahinter kann den unbefriedigenden Eindruck des Moments nur sehr bedingt kaschieren. Wer sich übrigens wundert, was der Titel zu bedeuten hat: Wenn sich jemand im Besitz einer bestimmten Sache befindet, wird ihm beim Auftreten widersprüchlicher Behauptungen von rechtlicher Seite aus automatisch ein gewisser Anspruch (auf diese) zugestanden – es liegt dann an der anderen (fordernden) Partei, ihrerseits zweifelsfrei zu belegen, dass jener nicht legitim ist…
Fazit: „9/Tenths“ ist eine hintergründige, unaufdringliche, zum Nachdenken anregende kleine Produktion, welche eine existenzielle Geschichte anhand der Verhaltensweisen dreier Protagonisten im Angesicht einer ihre Leben zwangsweise vollkommen verändernden Extremsituation erzählt. Leider entwickelt die Story jedoch alles in allem nicht genügend Momentum, um, unabhängig einer Reihe starker Einzelsequenzen, umfassend überzeugen zu können…