Sigur Rós - Heima (Limited Special Edition)Originaltitel: Heima
Herstellungsland: Island
Erscheinungsjahr: 2007
Regie: Dean DeBlois
Darsteller: Jón Þór Birgisson, Georg Hólm, Orri Páll Dýrason, Kjartan Sveinsson
FilmWas den Künstler des Nachts nicht zur Ruhe kommen lässt, ist meist das fehlende Puzzlestück in seinem Werk. Der kleine, bisher noch nicht entdeckte Symbiont zu demjenigen, was sich auf der Leinwand bereits an Mustern zusammengesetzt hat. Wenn - wie beim Musiker - anstatt einer Leinwand vielleicht ein Notensystem im Mittelpunkt steht, das bereits mit Noten gefüllt ist, könnte es ja auch die Leinwand sein, die zur Komplettierung des Meisterwerkes fehlt. Die Symbiose vollzieht sich zwischen Bild und Ton, endlich wiedervereint, und die isländischen Postpop-Rocker von Sigur Rós können sich zufrieden niederlassen in ihrer alten Heimat... zumindest bis die Plattenfirma für das nächste Album anruft.
Heimat. Süße Heimat.
Sigur Rós lassen ihren Tondokumenten ein Filmdokument folgen, das dazu dienen soll, die Musik, ihre Wurzeln, spürbarer zu machen. Tatsächlich ist “Heima” dabei weniger eine Banddokumentation - zu spärlich die Informationen, die man über die Elegiker Sigur Rós und ihr Bandleben bekommt - sondern vielmehr ein waschechter Heimatfilm, ein Film aus der Genrekategorie, die heutzutage aufgrund ihres Traditionalismus teils belächelt, teils sogar verachtet wird und an der kaum mehr ein Bedürfnis nach Erforschung besteht. Schließlich ist die Welt als Gesamtes unser aller neue Heimat, ein gigantisches Netz aus Infrastrukturen, ein neues Zuhause von einer übergeordneten Kategorie. Wer regional denkt, denkt rückständig. Dass sich die Energie des kreativen Menschen manchmal aber eben aus der Schönheit des Details schält wie aus einer einsam wachsenden Eisrose, und dass manch inspirativ wirkende Ressource nur an speziellen Orten dieser Welt zu finden ist, soll “Heima” veranschaulichen. Die isländische Musikszene beweist das ohnehin jeden Tag aufs Neue, denn Künstler wie Sigur Rós, Björk oder die Sugarcubes könnten nicht die Musik machen, die sie machen, wenn sie nicht durch ihre Heimat beeinflusst worden wären. Sigur Rós bekennen sich hier und jetzt zu ihren Wurzeln und wenn Regisseur Dead DeBlois beginnt, Bilder von überwältigender Anmut sprechen zu lassen, weiß man, warum. Die Globalisierung verkehrt sich für 90 Minuten ins Gegenteil: Wir sind nun alle Isländer.
Nicht Fern-, sondern Heimweh packt uns, wenn rückwärts ablaufende Wasserfälle, Fußspuren, die im schwarzen Sand hinterlassen werden und verdünsten, Dünen, Wiesen- und Berglandschaften das Werk dominieren. Alles in völliger Ruhe eingefangen, als würde Zeit keine Bedeutung spielen. Die Band selbst ordnet sich der Erde unter, auf der sie ihre Konzerte spielten und das eigene Volk erfreuten. In der Unberührtheit der Natur erkennt selbst der New Yorker Manager von seinem Wolkenkratzer aus, worauf seine hohe Position gebettet ist. Deswegen ist “Heima” keineswegs ein Film nur für die Isländer; er richtet sich an die ganze Welt.
Überhaupt ist das Konzept ganz auf das Zusammenspiel von Regionalismus und Globalismus ausgerichtet. Beide Strömungen werden von ihrem radikalen Nischendenken gelöst und für die jeweils andere geöffnet. Sänger Jón Þór Birgisson erwähnt irgendwann, dass er durch den kommerziellen Erfolg seiner Band zwar die Welt da draußen, aber eben auch seine Heimat gleichermaßen besser zu schätzen gelernt habe. In gewisser Weise wird zwar dem Genre entsprechend die eigene Heimat gefeiert und vor allem durch die prachtvollen Naturpanoramen Werbung für den Tourismus betrieben, als zentrales Anliegen kann das jedoch nicht ausgelegt werden. Zu deutlich steht der künstlerische Anspruch im Vordergrund und zu ehrlich wirkt das Anliegen der Künstler.
In Sachen Filmscore sind die Isländer nicht unerfahren, aber selbstverständlich wurde die Musik nie schöner präsentiert als hier, ist sie doch erstmals zentrales Teilanliegen des Filmes, in dem sie ertönt. Die Tatsache, dass sie die isländische Umgebung unterstützt, schließt nicht aus, dass die Impressionen von Seen, Flüssen, Steinwürfen oder einfachen Bauernhäusern im Umkehrschluss nicht auch die Musik bereichern würden. Deutlich wird das auch anhand des Umstandes, dass das zeitgleich erschienene Doppelalbum “Hvarf / Heim”, auch konzeptionell mit “Heima” verwandt, erst im Paket mit der Dokumentation aufzublühen beginnt, da seine akustische Seite ansonsten zu spröde, seine neu interpretierte Seite zu ungewagt bleibt.
Dabei ist nichts an “Heima” wirklich überwältigend; die Band hat bereits 2005 mit dem Album “Takk” “Danke” gesagt, als wenn ein Abschied bevorstünde; nun gibt es eine Rückkehr nach Island, als wenn der Kreis einmal mehr geschlossen würde. Der Musik wird spätestens nach dem 2005er-Album von den schärferen Kritikern Stagnation nachgesagt und gerade jetzt nach “Hvarf/Heim” und “Heima” wird das Gefühl konkreter, dass Sigur Rós auf eine einzige, pathetische Abschiedstournee gehen, die aber paradoxerweise niemals endet, und man fragt sich: Muss man die Endzeitstimmung wirklich noch ernstnehmen?
Die Isländer haben ihr Kunstwerk vollendet, als sie den Film für die Komplementierung ihrer Musik fanden. Das nun “perfekte Kunstwerk” mag in seiner Perfektion nun wieder als langweilig aufgefasst werden. Die Frage bleibt, was mit dem nächsten richtigen Studioalbum noch bezweckt werden will. Aber manchmal ist es besser, einfach zuzuhören und den Moment zu genießen. Die Musik von Sigur Rós ist möglicherweise nicht mehr revolutionär, die Szene aufwühlend wie zu Zeiten von “Ágætis byrjun”, aber grundschön. Vertraut. Wie eben, und hier schließt sich der Kreis, die Heimat.
