Szenen einer Ehe (Kinofassung / Ingmar Bergman Edition)
Originaltitel: Scener ur ett äktenskap
Herstellungsland: Schweden
Erscheinungsjahr: 1973
Regie: Ingmar Bergman
Darsteller: Liv Ullmann, Erland Josephson, Bibi Andersson, Jan Malmsjö, Gunnel Lindblom, Anita Wall, Barbro Hiort af Ornäs, Lena Bergman, Wenche Foss, Rosanna Mariano, Bertil Norström
Film
“Szenen einer Ehe” - ein überwältigendes, in seiner besonderen Epik einzigartiges Kammerspiel über das Wesen der Ehe. Das Mammutwerk überschwappt für den Moment seines Bestehens alles andere, was in dieser Welt von Bedeutung sein könnte, und stellt mit seinen bis ins Detail ausgefeilten Dialogen so etwas wie einen Gegenentwurf zu “Das Schweigen” vom selben Regisseur dar. Die gleiche Isolation, der identische Ausschluss von allem, was die im Fokus stehende zwischenmenschliche Beziehung konterkarieren könnte - aber den erneut gnadenlos entlarvend eingefangenen Gesichtern der sich emotional komplett entblößenden Schauspieler Liv Ullmann und Erland Josephson wird diesmal eine Flut von Wahrheiten in Wortform entgegengeworfen. Analytische, hochbrillante Dialoge, mit denen die Ehe derart präzise seziert wird, dass kein Detail mehr unentdeckt bleibt.
Sechs Stadien sind bei dieser Anatomie einer Beziehung zu entdecken, eines ausgefeilter als das andere. Besprochen wird an dieser Stelle die Kinofassung; die gut 100 Minuten länger laufende TV-Version dürfte an den gleichen Stellen weiter bohren, tiefer bohren, um das Publikum noch stärker in den Sog zu ziehen, der sich dynamisch in der Ab- und Anziehung von Frau und Mann weidet. Der Erfolg gibt Ingmar Bergman Recht: Der Sechsteiler war bei Ausstrahlung in der Heimat ein Straßenfeger. Wohl nicht ohne Grund, denn selten wurde die monogame Ehe treffender beschrieben und offener dargestellt. Es folgte schließlich der Golden Globe für den besten ausländischen Film.
Dabei ist die Art und Weise, wie das Eheleben seziert und anschließend wieder zusammengesetzt wird, aufgrund seiner Rollenverteilung ebenso problematisch wie es faszinierend ist. Da nämlich alle anderen Menschen ausgegrenzt werden - auch die Studentin Paula, Grund für den Ehebruch, wird nicht gezeigt, ja nicht einmal das Foto von ihr, das der gestehende Johan seiner Frau Marianne zeigt - wird die Analyse der Ehe nicht auf Außenstehende übertragen; nein, Johan und Marianne sind es, die ihre eigene Situation scheinbar unbeirrt zu deskribieren und interpretieren imstande sind, wenngleich sie immer wieder von irrationalen Verhaltensweisen geschüttelt werden und sich eben benehmen wie... Menschen.
Der Scharfsinn der Figuren bei der Beurteilung ihrer eigenen Situation ist dennoch ein schwerer Makel im Gesamtbild. Aufgrund fehlender Alternativen sieht sich Bergman gezwungen, seine Figuren als Medium zu missbrauchen, um objektive Beobachtungen an den Zuschauer weiterzugeben. Und doch sind die Protagonisten gleichzeitig die Botschaft selbst; sie müssen menschlich sein auf der einen Seite, auf der anderen Seite jedoch allgemeingültige Postulate weitergeben, die über die Beziehung der hier portraitierten beiden Menschen hinausgehen. Zwei Strömungen, die sich nicht einfach so miteinander in ein und derselben Figur bündeln lassen.
Zu Beginn ist die psychologische Ausarbeitung zu allem Überfluss sogar noch eher das Werk eines Taschenspielers, beinahe unreif und simplifizierend. Es wird der Prämisse “Gegensätze ziehen sich an” und deren Negation gefolgt: Johan und Marianne, zwei Menschen, die absolut ausgeglichen und zufrieden wirken und gerade deswegen im Innersten unzufrieden sein müssen. Der Krebs frisst unter der Oberfläche schon längst das intakte Verhältnis auf, das ist überdeutlich. Der Beweis dessen wird spätestens dann erbracht, als der Gatte später seiner Frau beichtet, wie lange er sich schon von ihr weggezogen fühlt. Ihre besten Freunde hingegen sind zwei gerupfte Hühner, die konsequent als Gegenexempel präsentiert werden, als sie sich offen gegenseitig bekriegen. Man erfährt nicht mehr, was aus ihnen wurde; möglicherweise haben sie sich noch am gleichen Tag wieder versöhnt. Das wäre zumindest ein logischer Schluss aus der einfachen Antithese, die da aufgestellt wird.
Doch Schauspielleistungen und Dialogkonstruktionen sind schon zu diesem frühen Zeitpunkt derart hochwertig, dass man wie gebannt weiterschaut und jenes psychologische Taschenspiel wohlwollend hinnimmt. Immerhin bessert es sich schnell und schon im zweiten Kapitel ist Bergmans Arbeit inhaltlich auf derart hohem Niveau angelangt, verbunden mit einer Massenkompatibilität, die rundläuft wie geölt, dass man die hochdekorierten Auszeichnungen nur wohlwollend abnicken kann.
Und doch bleibt die eingangs erwähnte Fähigkeit des Paars zur totalen Selbstanalyse als Spielverderber zurück. Die abmildernde Tatsache, dass das Paar aus gebildetem Hause stammt und Marianne zu alledem noch Scheidungsberaterin von Beruf ist, kann dieses Missverhältnis, das noch viel tiefer liegt, nur bedingt aus dem Weg räumen.
Erschwerend fehlt dem Werk die abgesteckte Dramaturgie; ein Zustand der Maßlosigkeit, den man aufgrund des Fehlens künstlicher Barrieren zugegeben auch positiv auslegen kann. Jedoch sorgt er dafür, dass etwaige Szenen innerhalb der jeweiligen Kapitel beliebig weit ausgedehnt werden können, man sich exponentiell der Nulllinie nähert, die für die absolute Erkenntnis über das Wesen der Ehe steht, ohne diese Nulllinie jemals zu erreichen. Ob Kino- oder TV-Fassung, ob 100 Minuten mehr oder 200; es bleibt anzunehmen, dass diese Frage irrelevant ist. Der thematische Kern liegt in der Kapitelaufteilung, die sinnvoll komprimiert auch in jeweils zehn Minuten abgehandelt werden könnte - ohne relevanten Informationsverlust. Alles weitere dient der Verstärkung der Intensität und der Empathie.
Ob man den Preis der ansteigenden Laufzeit dafür in Kauf nehmen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Im Sinne der Unterhaltung dient “Szenen einer Ehe” als weitreichender Kinofilm sowie als Mehrteiler definitiv zum Eintauchen in einen Spiegel, der viele Wahrheiten kennt und diese mitreißend dramatisch verpackt. Da Bergman jedoch die kammerspielartige Intensität der hochkomplexen Zweierbeziehung allem anderen vorzieht, bezahlt er mit Kompromissen. Ein hoher Preis für Einzigartigkeit und Unerreichbarkeit.