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Ratatouille
Originaltitel: Ratatouille
Herstellungsland: USA
Produktionsjahr: 2007
Regie: Brad Bird
Sprecher: Patton Oswalt, Ian Holm, Lou Romano, Brian Dennehy, Peter Sohn, Peter O'Toole, Janeane Garofalo, James Remar u.a.
Bei der Betrachtung der Erfolgsgeschichte von Pixar bin ich im Rahmen des Reviews zu Cars soweit gekommen, dass Pixarchef John Lasseter zum Chef der Disneyanimationsabteilung ernannt wurde und Pixar von dem Walt Disney Imperium mit Mann und Maus aufgekauft wurde. Viel hatte man sich von diesen Schritten erwartet, doch letztendlich sind die Ergebnisse eher ernüchternd. Die eilig aus dem Boden gestampfte, disneyeigene Animationsabteilung, die mit Himmel und Huhn und Triff die Robinsons hektisch überdrehte aber charmante Trickfilmbeiträge geliefert hatte, hat seit der Pixarübernahme Pause und seltsamerweise hat der selbsternannte Zeichentrickfan Lasseter noch kein einziges Prestigezeichentricklangfilmprojekt auf den Weg gebracht. Eine Entwicklung, die dem Trickfilmfan in mir sehr weh tut und mich ein wenig enttäuscht zurücklässt, doch wie das eben so ist: Veränderungen haben nicht immer nur positive Folgen. Also viel Getöse um gar nichts? Nunja, zumindest hat man ein eigenes Pixarprojekt auf den Weg gebracht, dessen Entstehungsgeschichte auch alles andere als ohne war. Der eigentlich eingeplante Regisseur Jan Pinkava hatte sich vollkommen in dem Konzept verrannt und erste Zeichnungen und Blaupausen ließen einen Film erahnen, der den Pixarmächtigen nicht wirklich zusagte. Man suchte Ersatz und meinte ihn in dem grandiosen Geschichtenerzähler Brad Bird (Die Unglaublichen, Der Gigant aus dem All) gefunden zu haben. Doch dieser hatte noch ein anderes Angebot auf dem Tisch liegen. Er sollte eine Serie, die er als Autor einst mit erfolgreich gemacht hatte, auf die große Leinwand hieven. Doch glücklicherweise schlug er das Angebot von Matt Groening aus. Glücklicherweise? Ja, denn so kommen wir in diesem Jahr in den Geschmack zweier gar formidabler Animationsfilme, die verschiedener nicht sein könnten.
Bird verwarf alle Arbeiten seines Vorgängers und ging das Ratatouille Projekt ganz neu an. Insbesondere die Vermenschlichung der tierischen Hauptfiguren wurde deutlich zurückgeschraubt. Und so erzählt uns Bird von einer Ratte, namens Remy, die mit ihrer gigantischen Familie irgendwo in der französischen Provinz lebt. Hier kann Remys Familie gar formidabel von menschlichen Abfällen und diversen Naturprodukten existieren. Doch Remy fühlt, dass es da noch etwas anderes geben muss. Er will keine Abfälle fressen. Er will Dinge erschaffen. Dinge, die schmecken. Also schleicht er sich häufiger in das Haus einer alten Dame und schaut heimlich die Kochsendungen des Starkoches Gusteau. Dessen Credo, jeder könne kochen, ermutigt Remy, sich mit Gewürzen, Gerüchen und Geschmäckern auseinander zu setzen. Eines Tages schlägt dann Remys Stunde. Durch einen unvorhersehbaren Zwischenfall wird er von seiner Familie getrennt und verschwindet in der französischen Kanalisation. Am Ende seiner Reise durch Frankreichs "Unterwelt" landet er vor dem Restaurant seines Lieblingskochs Gusteau und er beginnt, die ihm fremde Welt zu erforschen. Hier wird er von der Küchenhilfe Linguini dabei erwischt, wie er eine ungenießbare Suppe mit gezielten Pfotengriffen rettet. Der vollkommen talentlose Linguini und Remy schließen einen Pakt: Remy darf seine Kreationen erschaffen und in der Küche dank kreativer Tarnung wirken und Linguini wird so für seine Arbeitgeber unkündbar. Gemeinsam macht man sich ans Werk, die Haute Cuisine Frankreichs zu revolutionieren ... Bis erste Neider auf den Plan treten ...
Ratatouille ist einer dieser filmischen Glückstreffer, die inzwischen selten geworden sind. Dank der verantwortlichen Namen hinter Ratatouille wusste ich, dass mich bei diesem Streifen Großes erwarten würde, das Endergebnis blies mich dann aber vollends aus dem Sessel. Ratatouille ist das Charmebombardement des aktuellen Kinojahres, das den Zuschauer an die Hand nimmt und in eine fantastische Parallelwelt entführt, in der kleine Abfallnager mehr vom guten Geschmack verstehen, als jeder Mensch. Eine Welt, die den Zuschauer schmunzeln lässt, ihn zum ungläubigen Beobachter macht, ihn verzaubert, gefangen nimmt und mit einem seltsamen Gefühl totaler Entrücktheit im Kinosessel zurücklässt. Denn wie nach einem großartigen 5 Sterne Menü erlebt man auch nach Ratatouille ein seltsames Wechselbad aus Glücksgefühlen, weil das gerade Erlebte so großartig war, und Wehmut, weil dieses Gefühl des Glückes irgendwie schon wieder beendet zu sein scheint. Und süchtig verlangt man nach mehr. Nach mehr von dieser kleinen Ratte, die, mit possierlichen Eigenschaften angefüllt, jede Niedlichkeitsskala wegsprengt und einzig und allein deshalb nicht auf allen vier Pfoten rennt, weil diese sonst dreckig werden, was den Geschmack der heißgeliebten Speisen verfälschen könnte. Eine Ratte, die sich vor dem Kochen die Pfoten wäscht und mit dem Anlegen ihrer Ohren mehr schauspielerisches Potential offenbart als so mancher Method Actor. Remy ist ein echter Glücksgriff für das Animationsgenre. Ein Held, der in jeder Sekunde den Zuschauer für sich einzunehmen vermag und so ein grandioses Charakterdesign aufbieten kann, wie man es derzeit wohl wirklich nur bei Pixar hinbekommt. Und dennoch darf Remy auch Ratte bleiben. Ist er unter Seinesgleichen, läuft er wieder auf allen Vieren und macht sich auch dreckig. Doch unter Menschen passt er sich an, an eine Welt, die ihn nicht will, die er aber um jeden Preis für sich gewinnen will.
Natürlich ist die dahinterstehende Geschichte nicht neu. Ein Charakter (hier dank Linguini gleich zwei) versucht seinen Platz in der Welt zu finden und macht dabei einiges durch. Doch diese universelle Story funktioniert und vor allem nutzt sie Erzählgenie Brad Bird gar formidabel, um eine Vielzahl an wichtigen Botschaften aufzufahren, die er so tres charmant und immer passend in seinem Film unterbringt, dass sie sich niemals auch nur ansatzweise aufdrängen oder in Zeigefingergefuchtel enden. Wir sollen uns selbst treu bleiben. Wir können alles schaffen, wenn wir es nur wollen. Wir sollten unsere Freunde ebenso achten, wie wir unsere Familie lieben sollten. Und, und, und. Dazu kommt eine Detailversessenheit im Abbrennen der Geschichte, die einfach nur Staunen macht. Alle Figuren wirken glaubwürdig und greifbar und sogar eindeutig negativ belegte Antipoden des Heldenduos offenbaren durchaus respektable Züge, die sie niemals zu reinen Comicfiguren verkommen lassen. Und dann gibt es da diesen einen Moment voll reiner Kinopoesie. In jenem weilt ein sehr harscher Kritiker im Gusteaus und Remy beschließt, jenem ein Ratatouille zu kredenzen. Ein simples Gemüsegericht, das den Kritiker unversehens in seine Kindheit zurückbefördert. Dieser Moment ist so grandios und tränenzieherisch umgesetzt, dass es einem wohlig den Rücken hinunterläuft. Flankiert wird diese Szene von dem herrlichem Humor des Streifens, der immer einmal in Slapstickgefilde abdriftet, aber die meiste Zeit über ungeheuer fein und intelligent daherkommt. Alles was dann aus dieser einen winzigen Szene heraus passieren wird, inklusive einer hervorragenden Reflektion über den Beruf des Kritikers an sich, zeigt, was Pixar ausmacht: Pixar kann Geschichten erzählen und Pixar erschafft großartige Charaktere, die sogar im Falle eines eher negativ belegten Kritikers jede andere Trickfilmproduktion und so manchen Realfilm locker aushebeln. Das zeigt auch und vor allem die Figur des Linguini, die einem, obwohl eindeutig dem guten Lager zuzuordnen, aufgrund ihrer Anlage zunächst durchaus unsympathisch erscheint und mit der man wirklich erst wachsen muss, um sie zu verstehen und zu mögen!
Das Ergebnis ist in pastellfarbenen Bildern transportierte Filmmagie, die den Zuschauer aus seiner Realität herausreißt und ganz nebenbei einen weiteren unglaublichen Fortschritt in Sachen Animation darstellt. Denn Ratatouille setzt in fast allen Belangen neue Maßstäbe. Seien es grandiose Kamerafahrten aus Remys Blickwinkel, die Detailverliebtheit bei dem Äußeren des tierischen Helden oder der pure Wille, wirklich jede Ratte aus der gigantischen Familie von Remy mit individuellen Eigenschaften auszustatten. Der Aufwand hinter Ratatouille mutet herkulisch an und macht ein ums andere Mal Staunen. Dabei legt man es, wie bei Pixar gewohnt, nur in den Randbedingungen auf Realität an. So sind die Bewegungsabläufe der Nager 1:1 aus der Natur importiert und wirken vor allem animierte Wassermassen, die Ansichten von Paris, Flora und Fauna, die Straßen und darauf herumfahrende Autos absolut fotorealistisch. Doch bei allen Hauptcharakteren wird stilisiert. Die Ratten haben - wie erwähnt - alle individuelle Merkmale. Die Menschen sind in ihren Bewegungsabläufen ebenfalls brillant, ansonsten aber mit ihren zu großen Nasen, seltsamen Körperrundungen und -formen eher Comicfiguren, denn echte Abbilder der Wirklichkeit, was für diese sehr fantasievolle Geschichte aber auch dringend nötig war und hier eben gerade deshalb hervorragend funktioniert. Ein Traum aber sind die dargestellten Speisen, die mehr als nur fotorealistisch wirken. Fast meine man, man könne sie förmlich riechen und auch schmecken. Also bloß nicht mit leerem Magen in Ratatouille gehen!
Ratatouille ist ein 5 Sterne Menü in Sachen Film. Ein kleines Filmwunder, das wohl auch den herzlosesten Miesepeter um den kleinen Finger wickeln kann und sowohl einem jungem Publikum als auch Erwachsenen ein Feuerwerk an Details, Ideen und sympathischen Figuren offeriert, die noch lange nachwirken werden. Will man wirklich etwas Negatives an Ratatouille benennen, wäre dies sicher die etwas zu lange Laufzeit und die etwas sehr schwermütigen Minuten vor dem großen "Kochshowdown". Doch gerade derartige anspruchsvollere Momente erschließen Pixar neue, erwachsenere Publikumsschichten und fügen sich hervorragend in den Film ein. Ein weiteres großes Lob geht an die großartige deutsche Synchronisation, die wie die Originalversion auf erstaunlich wenig Starauftrieb setzt und das Feld für erfahrene Stimmen bereitet. Abgerundet wird dieses kleine Meisterwerk durch einen brüllkomischen Vorfilm, der ein paar Aliens präsentiert, die doch ziemliche Probleme beim Entführen eines Menschen aus seinem Schlafzimmer haben. Kürzen wir es ab: Perfekt!
In diesem Sinne:
freeman