Die Unzertrennlichen (1988)
OT: Dead Ringers
Technische Daten
Vertrieb: Power Station / Magic Video
Regionalcode: 2
Herstellungsland: Kanada / USA
Laufzeit: ca. 111 Min.
Regie: David Cronenberg
Darsteller: Jeremy Irons, Geneviève Bujold, Heidi von Palleske, Barbara Gordon, Shirley Douglas, Stephen Lack, Nick Nichols, Lynne Cormack, Damir Andrei, Miriam Newhouse, David Hughes, Richard W. Farrell
Bildformat: 1,85:1 (4:3 Letterbox)
Sprachen: DD 2.0 Deutsch
Untertitel: Keine
Freigabe: FSK 16
Film
Nicht genug mit Cronenbergs mutagenen Körperwelten in ihrem fiktionalen Raum-Zeit-Gefüge, sich windend und wandelnd in der Unruhe der Suche nach der eigenen Identität. Wenigstens 1988 musste auch noch das “Based on a real Event”-Element hinein. Der Regisseur, der eben noch einen Mann innerhalb von 90 Minuten in einen insektenhaften Brei verwandelt hatte, nimmt sich nun, zwei Jahre später, eines Vorfalls an, der sich 1975 in New York tatsächlich ereignete.
Die englische Bezeichnung “Dead Ringers” erfordert eigentlich immer mehr als ein einzelnes Objekt, da sie als jemand definiert ist, der jemand anderem zum Verwechseln ähnlich ist. In der Natur ist dieses Phänomen bei eineiigen Zwillingen bekannt, in der Gentechnik ist die ethische Verantwortung bei Fehlbildungen und Mutationen ein nicht zu verdrängendes Thema, weil der Mensch hier von außen aktiv schädigend auf den Geburtsprozess einwirken und im schlimmsten Fall Mutationen hervorbringen kann.
Siamesische Zwillinge nennt man zwei Föten, die in der Eizelle durch eine unvollständige Aufteilung in zwei Embryonalzellen miteinander verwachsen und deswegen als zwei Lebewesen auf die Welt kommen, die körperlich miteinander verbunden sind. Es existiert in diesem Fall eine physische Verbindung, die unsere kategoriale Definition von Identitäten, von somatisch abgegrenzten Individuen erschüttert. Zwar birgt ein an der Hüfte zusammengewachsenes Zwillingspaar unübersehbar zwei Identitäten, doch die körperliche Verbundenheit irritiert den Verstand. Sie lässt sich nicht direkt mit der Vorstellung vereinen, ein Individuum verfüge über ein abgegrenztes Feld zwischen Person und Umfeld, wie es der Psychologe Kurt Lewin mit seiner Feldtheorie gelehrt hat, in Anlehnung an die physikalische Feldtheorie. Und nicht immer ist der Fall so “simpel” wie bei einer Verwachsung im Brust- oder Hüftbereich. Die Dizephalie beschreibt beispielsweise einen Körper mit zwei Köpfen, die fetale Inklusion gar einen Fötus, der den anderen verinnerlicht hat; ein Mensch, der in den anderen eingewachsen ist, in unterschiedlichen Stadien ausdifferenziert.
Cronenbergs Zwillinge, die Jeremy Irons verkörpert, sind keine siamesischen Zwillinge, doch sie selbst greifen den Vergleich immer wieder auf. Die Urzwillinge Chang und Eng Bunker (1811 - 1874), denen der Terminus seine Herkunft verdankt, werden mitsamt ihrer Geschichte als Vergleichspunkt erwähnt. Beverly und Elliot Mantle (“Mantle” = Mantel für das Verdeckte, den Korpus, der die Sicht auf das Innere verhindert, aber auch für “Mental”, die geistige Verbindung, die den Platz der körperlichen Verbindung einnimmt) haben sich oberflächlich gesehen komplett gleich entwickelt. Sehen wir sie im Kindesalter zum ersten Mal dabei, wie sie völlig analytisch über den sexuellen Akt sprechen, teilen sie sich nun in der Gegenwart eine gynäkologische Praxis und sind gemeinsam zu den angesehensten Frauenärzten der Stadt geworden.
Cronenberg nimmt also weitgehend Abstand von ekelhaften Metamorphosen aus Schleim, Knochen, Blut und Fleisch, um sich der psychologischen Ebene zu widmen, dem Gedanken hinter der Zwangsneurose der Zwillinge, dem Denken in der kommunalen Kategorie, nur die Hälfte eines Ganzen zu sein. Es geht darum, die Psyche der Mantles zu entblättern und den absurden Ausgang der realen Geschichte von Stewart und Cyril Marcus kausal zu erklären. Und das ist ein höchst komplexes Unterfangen, dem sich Cronenberg aber auf recht einfache Weise annähert. Die Geschichte nimmt langsam ihren Lauf und gibt dramatische Priorität vor, eine Bevorzugung der Triade um die Mantle-Zwillinge und eine Patientin (Geneviève Bujold). Diese Patientin, eine berühmte Schauspielerin, fungiert dann aber als entscheidendes Bruchwerkzeug, das endlich auf die eigentliche Richtung hinweist. Es ist nicht so, wie es die Konstellation vorgibt. Unter der Oberfläche brodelt die Diskrepanz, und die symbiotische Beziehung der nicht zu unterscheidenden Brüder ist nichts weiter als Fassade. Sie wird durchstoßen durch ein altes Thema: Die Liebe.
“Dead Ringers” haftet von Anfang an eine unbehagliche Atmosphäre an, die kaum rational zu entschlüsseln ist. Dazu beitragen wird die sterile Praxisumgebung. Die Kamera ist sehr statisch, die Farben sind kühl und reserviert, oft auch latent surreal, wenn sie vom Usus abweichen; ein kaltblaues Wohnzimmer, knallrote Operationsbekleidung.
Aber es ist vor allem Jeremy Irons und seine Darstellungsweise, die das Unbehagen bereitstellt. Obwohl ich davon ausgehe, dass der ursprünglich angedachte William Hurt eine genauso überzeugende Leistung geliefert hätte, glänzt Irons mit zweckdienlicher mimischer Reduziertheit, die zunächst kaum behaviouristische Abweichungen verrät. Es ist anfangs ausgesprochen schwierig, Beverly und Elliot voneinander zu unterscheiden. Hinweise ergeben sich zwar in den unheilvollen Dialogen, doch das Auftreten ist geradezu identisch. Cronenbergs Wegbegleiter Peter Suschitzky (Kamera) und Ronald Sanders (Schnitt) sorgen für die zwielichtige Verdopplung des Jeremy Irons. Vorzeichenhafte Beleuchtung paart sich, trägt dazu bei, die Äquivalenz in ein Zerrbild des Klischees vom guten und bösen Zwilling zu ziehen. Es fühlt sich unwirklich, nicht richtig an, Irons mit sich selbst sprechen zu sehen, in einer Stimme wie aus einem Munde, voller Agonie, voller Wissen um ein unabwendbares Ereignis, das dem Zuschauer noch bevorsteht.
Als dann Geneviève Bujold hinzukommt, wirkt das wie eine Bestätigung der Befürchtung, dass etwas nicht ganz korrekt ist und der harmonische Fluss nichts weiter ist als eine bemühte Vorgabe der Zwillinge. Cronenberg streut alsbald einige groteske Momente in Traumform ein, diffuser Gore, der mehr suggeriert, als er zeigt. Aber auch die Wirklichkeit wird zunehmend grotesker, da sich die Psyche Beverlys, der langsam der Wahrheit auf die Schliche kommt, in seinen Taten manifestiert. Widerwärtige Instrumente, die von H.R. Giger stammen könnten, werden entwickelt und von der Gesellschaft bezeichnend als Kunst missverstanden. “Operationsinstrumente für mutierte Frauen”, so der Titel des Werkes, entfremdet von seinem praktischen Nutzen.
“Dead Ringers” ist zugleich ein zynisches Statement auf das politisch korrekte “Schätzen der inneren Werte”, als sich sämtliche Patientinnen irgendwann als Mutanten herausstellen, die nur äußerlich normal wirken, innerlich jedoch absurd verformt sind. Persönlichkeiten, die man in unserer Gesellschaft eigentlich vor dem Äußeren beachten soll, manifestiert in verdrehtem Fleisch, das man uns nicht zeigen muss, um es sich vorstellen zu können. Ein dunkler Witz in diesem pessimistischen Graben.
Das Ende ist verstörend, aber folgerichtig. Das Grauen leitet sich zwar auch hier aus dem Normalen ab. Zwillingsgeburten sind ein natürliches Phänomen; ein Faszinosum sind sie aufgrund ihrer geringen Wahrscheinlichkeit dennoch. Die Geschichte von Elliot und Beverly Mantle beruht auf Tatsachen, beginnt langsam und vermeidet Fiktionales, doch ihrer Geburt gehört ein unerklärbares Element an, das dem Verstand große Probleme bereitet. Ist es Soziologie? Wird den Zwillingen von der Gesellschaft unterstellt, sich gleich verhalten zu müssen und entsprechend ihres Äußeren identisch zu handeln? Oder ist es Psychologie, und das menschliche Gehirn kann die Tatsache nicht verkraften, ein Spiegelbild seiner selbst zu beobachten, ohne sich diesem Spiegelbild zugehörig zu fühlen, es gar zu absorbieren wie bei einer fetalen Inklusion? Was Cronenberg hier flechtet, ist ein psychosomatisches Gewinde aus Körper und Geist, Intention und Bewusstsein, Separation und Einheit. Überwältigend düster und beklemmend, minimalistisch und intensiv gespielt.
Bild
Teilweise stärkeres, auch störendes Rauschen, Schmutzpartikel und leichte Unschärfe sind die größten Mängel am Bild. Ansonsten kann man sicherlich noch ganz zufrieden sein. Cronenbergs Filme waren nie große Stilbomben; die blassen Töne sind beabsichtigt, die Farbkontraste gehen absolut in Ordnung.
,5
Ton
Der Sound hingegen ist eine Frechheit. Nicht nur, dass der Originalton fehlt, die deutsche Spur ist darüber hinaus dumpf, leise, unscharf, effektfrei und undifferenziert. Man muss schon laut aufdrehen, um überhaupt was zu verstehen, und dann handelt es sich um ein verrauschtes Etwas, das sich anhört, als habe jemand die Aufnahme mit dem Mikrofon mitgeschnitten.
Menüs
Ein Bild-im-Bild mit Filmausschnitten läuft ab, während sich harmonische Streicher über die Kanäle verteilen, die in ihrer Zwielichtigkeit leicht an David Lynchs “Twin Peaks” erinnern. Die Spur bricht leider sehr abrupt ab und beginnt von neuem nach etwa 15 Sekunden. Das Kapitelauswahlmenü zeigt auch immerhin je 6 animierte Fenster (ohne Ton).
,5
Extras
Ein Trailer in Originalsprache und Vollbild ist leider alles, was auf der Scheibe zu finden ist.
Fazit
Das Label Power Station / Magic Video vergewaltigt hier einen Cronenberg-Klassiker mit aller erdenklichen Gewalt. Die Alternativen sind dabei in Deutschland groß, aber allesamt nicht attraktiv. Für eine ordentliche Umsetzung muss man einmal mehr ins Ausland schielen. Wenigstens ist die Scheibe dann für einen Appel und ein Ei zu bekommen, und zum Antesten, wenn man den Film noch nicht kennt, lohnt sich die Ausgabe allemal.
,5
Testequipment
TV-Gerät: Tevion 4:3
DVD-Player: Pioneer XV-DV313 5.1 Komplettsystem