Flug 93
Technische Daten
Vertrieb: Universal
Regionalcode: 2
Laufzeit: 106 Min.
Regie: Paul Greengrass
Darsteller: Christian Clemenson, Khalid Abdalla, Opal Alladin, Lewis Alsamari, David Rasche
Bildformat: 2,35:1 (anamorph / 16:9)
Sprachen: DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Dänisch, Finnisch, Norwegisch, Schwedisch, Isländisch, Türkisch, Hebräisch, Arabisch
Freigabe: FSK 16
Film:
John Rambo, legendärer US-Actionheld, war es, der im dritten Teil der Bodycount-lastigen Baller-Trilogie im Jahre 1988 seinen ehemaligen Vorgesetzten Col. Sam Trautman aus den Händen der Russen in Afghanistan befreit. Zusammen mit den Einheimischen besiegt er die bösen Sowjets. Amerikaner & Afghanen Arm in Arm. Es war 1979, als die Sowjettruppen in das Land einmarschierten. Es folgte ein erbitterter 10 Jahre dauernder Krieg, in dem zwar nicht Rambo aber die amerikanische Regierung die islamischen Guerillas mit Waffen versorgte. Nach dem die Sowjets 1989 – sozusagen geschlagen von Rambo – erfolglos den Rückzug starteten, interessierte sich in Washington niemand mehr für den Staat in Zentralasien. Von Ruhe & Frieden war allerdings keine Spur, Bürgerkriege zermürbten das Land bis ins Jahr 1995, in dem dann die radikal-islamistische Taliban die Macht übernahmen. Das Bild des helfenden Amerikaners, dass uns der anfangs erwähnte US-Actionstreifen weiß machen wollte, entsprach natürlich keineswegs der Wahrheit. Afghanistan wurde wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, sobald die Russen raus waren. Was blieb war Krieg, Armut, Hunger…wenn’s den Menschen schlecht geht, suchen sie einen Schuldigen…
[Fiktiver Ausflug über den Atlantik...]
Jim steht morgens auf, die Klimaanlage läuft bereits auf Hochtouren. Er frühstückt erst mal, trinkt zu seinen warmen Donuts einen heißen Kaffee und genießt auf seiner Terrasse die Sonne. Selbige spiegelt sich in seinem Swimming Pool, der kostet Jim jedes Jahr mehrere tausend Dollar an Heiz- und Instandhaltungskosten…eigentlich schwimmt er kaum, aber naja, was soll’s. Nach dem ausgiebigen Frühstück geht Jim zur Garage und steigt in seinen Chevrolet Tahoe, ein mittelgroßer Geländewagen, wie ihn viele seiner Landsmänner fahren. Jim’s Nachbar hat sich gerade erst einen Hummer H2 gekauft. Auf das protzige gelbe Teil auf dem Nachbargrundstück blickend kann sich Jim ein Grinsen nicht verkneifen, 40 Liter Super schluckt der Koloss…Gott sei Dank ist sein Chevi da weit Sprit-sparender…der begnügt sich mit 20-25l/100km. Bevor’s zur Arbeit geht, noch beim Supermarkt vorbei, um noch eine Autozeitung zu kaufen…den Wagen lässt Jim laufen, schließlich sind’s schon 40°C und die Klimaanlage soll sein Cockpit angenehm kühl halten. Als er zurückkommt, berichtet ein aufgebrachter Radioreporter, dass 2 Flugzeuge ins World Trade Center in New York geflogen sind…
[Fiktiver Ausflug Ende]
An jenem sonnigen Tag waren morgens vier Flugzeuge abgehoben, die die Welt verändern würden. Der erste große Kinofilm, der sich mit der verheerenden Tragödie beschäftigt, legt sein Hauptaugenmerk auf den oft ein wenig in Vergessenheit geratenen Flug „United 93“, welcher verhältnismäßig unspektakulär abstürzte und nicht auf TV-Bildschirmen rund um die Welt aus allen erdenklichen Perspektiven in einem großen Feuerball verglühte…
In „Flug 93“ beginnt der 11. September wie jeder andere Tag. Menschen passieren die Sicherheits-Checks am Flughafen, warten im Gate, rufen ihre Mütter an, dass der Flug leichte Verspätung haben wird, lesen Zeitung. Ohne den auffälligen Einsatz irgendwelcher Stilmittel, läuft’s einem schon zu diesem Zeitpunkt eiskalt den Rücken herunter. Standart-Sätze wie „Bis später!“ hatten noch nie einen so bitteren Beigeschmack. Regisseur Paul Greengrass konzentriert sich nicht auf Einzelschicksale, kein Passagier wird im Laufe des Films die Kamera oder das Publikum an sich reißen. Um die Gewöhnlichkeit des Tages darzustellen, bekommt man Einblick in die Flug-Kontrollzentren in Bosten & New York. Hier herrscht für einen Außenstehenden Chaos, wie jeden Tag. Die Passagiere betreten die Maschine, darunter auch einige Männer, die man anhand der Hautfarbe irgendwo in den nahen Osten einordnen würde. Dann rollt die Maschine zur Startbahn, während man in den Kontrollzentren bemerkt, dass Flug 11 der American Airline nicht mehr antwortet. Auf Funksprüchen hört es sich so an, als seien unbefugte Personen im Cockpit. Man zieht also die Möglichkeit einer Flugzeugentführung in Betracht, scherzhaft überlegen die Fluglotsen, wann das zum letzten mal vorkam. Flugzeugentführer werden irgendwann Forderungen stellen, so war es noch immer. Beim Zuschauer stellt sich zu keinem Zeitpunkt wirkliche Ruhe ein, eine seltsame Anspannung bleibt gleichmäßig über den ganzen Film bestehen. Greengrass setzt primär auf eine recht unruhige Handkamera, die dem gesamten Geschehen einen regelrecht dokumentarischen Touch verleiht. Als Zuschauer ist man so näher am Geschehen, als einem lieb ist. Der Posten des stillen Beobachters, der mittendrin ist, aber nicht eingreifen kann, sorgt für eine äußerst bedrückende Stimmung. Als der Flug AA11 dann über New York verschwindet, geht man im Tower davon aus, dass die Flugzeugentführer das Radar unterfliegen wollen. Beiläufig fällt einem Fluglotsen auf, dass das World Trade Center brennt. Niemand stellt eine Verbindung her und niemand ahnt etwas, als ein weiteres Flugzeug nicht mehr auf die Anweisungen des Fluglotsen reagiert. Als auch dessen Punkt auf dem Radar bei New York verschwindet, sichtet man die Maschine über Manhattan. Selbst zu diesem Zeitpunkt, realisiert niemand, was für ein Ziel die Boeing 767 hatte. Ein Schnitt auf die Großleinwand, auf der CNN über den brennenden Nordturm des World Trade Centers berichtet, offenbart schließlich auch das Ziel der zweiten entführten Maschine. Im Tower schießen den Menschen die Tränen in die Augen, im Militär-Kontrollzentrum ebenso…allen ist klar, dass dieser zweite Crash kein Zufall gewesen sein kann. Als Zuschauer ergeht es einem nicht anders. Man sitzt mit dem selbigen ungläubigen Gesicht vor dem Bildschirm wie vor über 5 Jahren, man erinnert sich schlagartig zurück an alles, was man gerade in dem Moment tat, als es passierte. Ich für meinen Teil erlebte den 2. Einschlag „live“ im TV mit und stand genauso geschockt vor dem Fernseher, wie all die Leute im Kontrollzentrum. Mein Vater meinte sofort, dass sei ein Anschlag…ich konnte mir das mit meinen 15 Jahren überhaupt nicht vorstellen, dass jemand so was absichtlich macht, schon gar nicht im unbesiegbaren Amerika…
Nachdem das nun vollkommene Chaos in den Flugkontrollzentren noch eine Weile bebildert wird lenkt Paul Greengrass den Fokus auf den titelgebenden Flug 93, in dem die Terroristen kurz darauf die Kontrolle übernehmen. Von nun an bleibt die Kamera bei den Passagieren und ihrer vollkommener Unwissenheit. Nichts von New York wissend gehen auch sie von einer gewöhnlichen Flugzeugentführung aus.
Von diesem Zeitpunkt an steigert „Flug 93“ seine beunruhigende, verstörende Wirkung um ein vielfaches. Mit dem gleichen dokumentarischen Handkamera-Stil arbeitet Greengrass auch im Flugzeug weiter und bringt den Zuschauer somit in die schreckliche Lage an Bord von United 93 quasi live dabei zu sein bis zum bitteren Ende. Die zwischen den Sitzreihen hin und her hechtende Kamera erweckt den Eindruck, dass man selbst permanent im Gang unterwegs ist. Wenn der vom Fliegen offensichtlich nicht soviel Ahnung habende Terrorist im Cockpit mal eben die Flughöhe per Sturzflug korrigiert, drückt einen der Bass-Schub aus dem Subwoofer in den heimischen Wohnzimmer-Sessel, rundherum schreien die Passagiere, weinen, beten. Ein Schreckensszenario, welches im gut ausgestatteten Heimkino unglaublich beängstigend rüberkommt. Gegen Ende steigert der Film die Spannung schließlich ins Unermessliche, die Passagiere planen den Gegenangriff, nachdem sie erfahren haben, was mit den anderen entführten Flugzeugen passiert ist. Sie rufen ihre Angehörigen an, verabschieden sich für den Fall der Fälle, dass sie die Verteidigungsmaßname nicht überleben. Die Kamera schwebt hier von einer Sitzreihe zur nächsten, die Verzweiflung jedes einzelnen Menschen ist in jeder Sekunde spürbar…spätestens hier bleibt kein Auge mehr trocken. Eine Szene, die in jedem gewöhnlichen Hollywood-Film als kitschig und künstlich auf die Tränendrüse drückend abgetan werden würde, hat sich vor guten 5 Jahren genauso in der Realität abgespielt. Die Anrufe gab’s wirklich, Handys wurden im Flieger rumgereicht, an diejenigen, die keine Möglichkeit hatten anzurufen. Die Passagiere im Film orientieren sich anhand von Aussagen der Hinterbliebenen an den wirklichen Opfern, genauso wie die Anrufe. Aus dieser bedrückenden Realitätsnähe zieht „Flug 93“ zweifellos den Großteil seiner Wirkung. Während das Stone-9/11-Vehikel „World Trade Center“ das Geschehen mithilfe von Zeitlupen optisch aufwertet, religiöse Zwischenerscheinungen einbaut etc, konzentriert sich Greengrass in seinem Streifen nur auf die Geschehnisse, die ungeschönt eingefangen werden. Er verlässt sich nur auf die erschreckende Geschichte, die Potential für unzählige Filme bietet. Ob es dafür an der Zeit ist, ist eine aktuell oft auftauchende Frage, schließlich halten viele Menschen 5 Jahre danach noch für wesentlich zu früh.
Vielleicht aber ist es wirklich an der Zeit, geraten die Opfer des 11. September angesichts der Auswirkungen des Tages beinahe in Vergessenheit. Blickt man heute auf Afghanistan und den Irak muss man sich ernsthaft fragen, ob sich vor dem Einmarsch der Amerikaner überhaupt jemand Gedanken über die Auswirkung eines solchen Angriffs gemacht hat. Der islamische Terror hat seit dem Ausmaße ungeahnten Ausmaßes angenommen, George W. Bush ist einer der meistgehassten Menschen auf unserem Planeten zusammen mit dem Volk, was mehr oder weniger hinter ihm steht. Angesichts der massiv missratenen US-Außenpolitik vergessen viele, dass man diese Fehler genauso wenig auf ein ganzes Land projizieren kann, wie alle Moslems als Terroristen zu bezeichnen. Am 11. September sind Menschen gestorben, die nichts für die US-Politik konnten, darauf legt „Flug 93“ seinen Fokus. Politik kommt nur ganz am Rande vor, wenn das Militär den Präsidenten nicht erreichen kann, um sich die Erlaubnis zu holen, evt. entführte Flugzeuge abzuschießen. Was Mr. Bush in dem Moment so wichtiges zu tun hatte, wird in dem Film nicht näher angeschnitten oder verurteilt…dafür gibt’s schließlich Michael Moore, der das Thema in „Fahrenheit 9/11“ ja schon bis zum Erbrechen ausgeschlachtet hat.
United 93 stürzte um 10.03h in der Nähe von Pittsburgh ab, keine Überlebenden. Der Film endet Sekundenbruchteile vor dem Aufprall. Keine große Explosion, keine leinwand-füllenden Effekteinstellungen, nur noch einige Texttafeln zum Thema und dann der Abspann. Mit den Tränen im Auge muss man beinahe über sich selbst lachen, dass man bis zum Schluss die Hoffnung hatte, die Passagiere könnten das Flugzeug tatsächlich noch mal unter ihre Kontrolle bringen und mithilfe eines an Bord befindlichen Sport-Piloten die Maschine notlanden. So stirbt die Hoffnung zusammen mit den Passagieren und die Bilder, von weinenden Teenagern, die sich im Angesicht des drohenden Absturzes über ihre Beine beugen, wird man vielleicht sein Leben lang mit dem 11. September 2001 assoziieren.
Der gerade angesprochene Sport-Pilot wird übrigens von David Rasche gespielt, dem „Sledge Hammer“-Darsteller, der aufgrund seiner Paraderolle, die man stets im Hinterkopf hat, ein wenig unpassend in dem todernsten Geschehen wirkt. Der Rest des durchgehend guten Casts ist unbekannt, was zur Storyline passt, die sich keine Identifikationsfigur samt ausführlicher Charakterisierung rauspickt. Die Geschichte hat sozusagen die Hauptrolle, was es dem Film erlaubt von dem die erste Filmhälfte kontrollierenden Flugkontrollzentrum in der zweiten Filmhälfte den Fokus ins Flugzeug zu legen und sich um den Rest nicht mehr zu kümmern. Das sorgt dafür, dass der Film über die ganze Laufzeit geradezu unangenehm spannend ist, es gibt keine künstlich und unpassend wirkenden Lückenfüller, weil der Erzählfluss frei von irgendwelchen dominierenden Charakteren ist, zu denen man immer wieder zurückkommen müsste. Aufgrund der uns allen bekannten Ereignisse des 11. September passt das in „Flug 93“ hervorragend, während die fehlende Identifikation in einem fiktiven Szenario wahrscheinlich weit weniger gut funktionieren würde. Die Identifikation ergibt sich über die Geschichte, Geschichte, die wir selbst miterlebt haben, in die wir uns hineinversetzen können.
Wie auch Oliver Stone verzichtet Greengrass auf eine explizite Bebilderung der Katastrophe. Den Einschlag des 2. Flugzeuges erleben die Fluglotsen in Tower und Kontrollzentren über CNN. Dabei reicht der kurze Clip aus den Nachrichten zur Genüge, um den Anschlag wieder in unseren Gehirnen wach zu rufen. So arbeitet der Film quasi über seine gesamte Laufzeit ohne besondere Effekt- oder Hochglanzeinstellungen und verlässt sich fast vollständig auf die sich immer mitten im Geschehen befindliche Handkamera, deren dokumentarische Aufnahmen das Grauen des Tages vermutlich effektiver einfangen als die x-te Wiederholung einer Hochhausexplosion, die man damals schließlich aus allen erdenklichen Perspektiven miterleben musste.
Musikalisch legt sich der Score von John Powell meist sehr dezent über die Bilder, passt sich wie ein Chamäleon der Situation an und fällt beinahe gar nicht auf. Die subtile Musikuntermalung unterstützt die jeweilige Atmosphäre perfekt, ohne sich pompös aufzuspielen. In den dramatischen Momenten ist entgegen des Hollywood-typischen Soundtrack-Einsatzes meist vollkommene Ruhe, was den Szenen oft eine beinahe gespenstische Stimmung verleiht.
Paul Greengrass hat gleich mit dem ersten großen Kinofilm über den verheerenden Anschlag ein beängstigenden Meilenstein geschaffen, der die Ereignisse des Tages in Spielfilmform respektvoll aufbereitet, sich nicht in Nebensächlichkeiten, Pathos oder Kitsch verheddert, sondern das unglaubliche Schreckensszenario straff, ungeschönt, unpolitisch und vor allem akribisch an der Realität orientiert auf die große Leinwand bringt. Eine Geschichte, die von Anfang an unangenehm spannend ist und sich bis zu einem schrecklich intensiven Finale steigert, eine Geschichte, die den Blick des Zuschauers weg von US-außenpolitischen Fehlgriffen zurück auf die Katastrophe und vor allem die unschuldigen Opfer lenkt.
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Bild:
Der dokumentarische Look wirkt sich mehr oder weniger negativ auf die Bildqualität aus. Farben erscheinen oft unsauber, Details und Kontrast sind stellenweise nur sehr schwammig. In ruhigen Einstellungen ist Detailschärfe als auch der Kontrast aber absolut in Ordnung. Die Farbe Schwarz kommt darüber hinaus nicht sehr sauber rüber.
Sound:
Über große Teile des Films beschränkt sich der Sound auf die üblichen Dialoge aus dem Center, die im Vergleich zum Rest ein wenig zu leise ausgegeben werden. Die unheilvolle, meist sehr dezente Musikuntermalung legt sich sauber über alle Lautsprecher. In den Flugzeugszenen kommt ein donnernder Bassschub aus dem Subwoofer, der in Verbindung mit den Surround-Effekten eine äußerst beängstigende Soundkulisse im heimischen Wohnzimmer kreiert.
Ausstattung:
Die DVD kommt schlicht in einer Amaray ohne Booklet daher. Als Bonus-Material findet sich ein nicht untertitelter Audiokommentar von Regisseur Paul Greengrass auf der DVD, ebenso wie eine 60-minütige Dokumentation. Diese beschäftigt sich mit den Hinterbliebenen der Opfer von Flug 93 und liefert sozusagen die Charakterisierung für die Filmcharaktere direkt aus erster Hand. So kommt außerdem raus, wieso die Familien der Opfer das Filmprojekt unterstützen und wie sie schließlich auf die finale Fassung reagierten. Zu guter letzt finden sich Gedenktafeln auf der DVD, über die man 40 Textbiographien von den Passagieren und der Crew erreicht. Nicht die Welt, aber v.a. die äußerst informative und frei von Selbstbeweihräucherung sehr gute Dokumentation sorgt für eine ordentliche Wertung von…
Fazit:
Ein unglaublich intensives Filmerlebnis, frei von überzogenem Pathos & Patriotismus, welches sachlich das Grauen des 11. September dokumentiert. Die DVD ist guter Durchschnitt und kann ohne Bedenken gekauft werden.
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