Die Simpsons - Season 4
Technische Daten
Vertrieb: 20th Century Fox Home Entertainment
Regionalcode: 2
Laufzeit: ca. 530 Min.
Regie: Wesley Archer,
Carlos Baeza,
Jeffrey Lynch,
Jim Reardon,
David Silverman
Darsteller: Dan Castellaneta,
Julie Kavner,
Nancy Cartwright,
Yeardley Smith,
Hank Azaria,
Harry Shearer,
Marcia Wallace,
Phil Hartman,
Tress MacNeille,
Pamela Hayden
Bildformat: 1,33:1 (4:3)
Sprachen: DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch, Englisch
Freigabe: FSK 12
Film
DIE SIMPSONS - SEASON 4
Die Separation Homers von seinem Gehirn - Boom in der Glorifizierung der Dummheit?
Zwei Fakten seien der Besprechung der vierten Simpsons-Staffel vorangestellt.
Erstens: Viele Fans bezeichnen die vierte Staffel als den Höhepunkt der kompletten Serie. Wenngleich man in dieser Sache unterschiedlicher Meinung sein kann (Matt Groening ist nicht ganz der Ansicht, ich persönlich sehe ebenfalls noch etwa ein, zwei Staffeln lang eine kleine Steigerung), so ist es doch unbestritten, dass das vierte Jahr, wenn es schon nicht der qualitative Klimax ist, doch direkt an einen solchen angrenzt. Die Staffeln vier bis sechs sind relativ unbestritten als der Take-Off der konjunkturellen Entwicklung der Serie anzusehen, und die vorliegende vierte Staffel bildet damit den Auftakt der ultimativen Entsprechung der Genialität von Matt Groenings revolutionärer Kultursatire, die aufgrund dieser Entwicklung die amerikanische Popkultur nachhaltig beeinflusst hat. Ein Beispiel nur ist die Aufnahme der Castellanetaschen Wortkreation “D’Oh” ins Oxford English Dictionary im Jahre 2001, mehrere Jahre nach dem Höhepunkt, Jahre, die allesamt von diesem Höhepunkt profitiert haben und die es noch heute tun.
Zweitens: Mit der Entwicklung zur Spitze geht eine deutlich merkbare Verdummung Homers einher. Denn der prägnanteste, neuerdings inflationär und möglicherweise überhaupt erstmalig gebrauchte Running Gag ist in der vierten Staffel die Kommunikation von Homer mit seinem Gehirn und damit seine Separation von diesem. Das Hirn wird zur zweiten Person gemacht, interagiert mit seinem Besitzer wie ein eigens abgetrenntes Individuum. Damit verbunden sein könnte natürlich reine zeichnerische Bequemlichkeit - Eine Nahaufnahme von Homers Gesicht mit einem ständigen Schwenk zwischen Gesichtsfeld und Schädel zur Darstellung der inneren Kommunikation erfordert nicht viel Arbeit und verschafft den Zeichnern und Autoren etwas Luft nach der stressigen dritten Staffel mit ihren 24 vollwertigen Episoden.
Diese Art der Darstellung hat aber eben auch Einfluss auf die Charakterzeichnung der Hauptfigur. Homer wird schlicht dümmer, und das gefällt den Leuten. Doch wie kann eine derart intelligent konzipierte Serie wie die Simpsons von Dummheit profitieren? Versteckt sich da nicht ein Paradoxon?
Nein, denn es ist zu unterscheiden zwischen dummer Darstellung und Darstellung der Dummheit. Nur letztere wird glücklicherweise von den Machern der Simpsons bedient. Das profane Leben unterdurchschnittlich intelligenter US-Mittelständler ist schließlich das Metier der Serie. Die “Simpsons” stehen eben auch für “simple”, Springfield ist anno 1989 der meistgebrauchte Name für eine US-amerikanische Stadt und damit der Querschnitt der kompletten Vereinigten Staaten.
Das Geheimnis liegt in der Aufbereitung. Ein Zwiegespräch zwischen Homer und seinem Gehirn ist nicht nur eine Hilfestellung für die überarbeiteten Zeichner, kein simpler reaktionärer Gag auf Kosten des Niveaus. Es ist eine Reise in die Psyche des Protagonisten, die auf eine für eine Zeichentrickserie beachtlich komplexe Art und Weise auseinandergenommen wird. Doch bei der Psychologie bleibt es nicht: Die Stadt Springfield schließt sich zu einem sozialen Netzwerk zusammen, wandert auf einem schmalen Grat zwischen Massenpsychologie und Soziologie, zwischen gesamtgesellschaftlichen Topoi und Individualismus. Willkommen zu den ersten 22 der mutmaßlich besten Simpsons-Episoden aller Zeiten.
EPISODE 1
KRISE IM KAMP KRUSTY (Kamp Krusty)
Deutsche Erstausstrahlung: 14.04.1994
US-Erstausstrahlung: 24.09.1992
Inhalt: Endlich Sommerferien! Als eingefleischte Krusty-Fans kennen Bart und Lisa nur ein Ziel: Im Ferienlager des lustigen Fernsehclowns eine tolle Zeit zu verbringen. Doch vor Ort erwartet die beiden eine böse Überraschung: Gangster haben das Kommando im “Kamp Krusty” übernommen! Bart und Lisa sind wild entschlossen, den Fieslingen das Handwerk zu legen. (Booklet-Text)
Es scheint zunächst alles beim Alten zu bleiben: der vielleicht nicht originellste, aber doch wichtigste Sofa-Gag begrüßt uns zu Beginn der ersten Folge der vierten Staffel und knüpft da an, wo man aufgehört hatte: bei der Huldigung der großen Vorbilder. Die Simpsons eilen nach Hause und treffen auf ihrem Sofa auf das Zeichentrickpendant aus dem Hanna Barbera-Paralleluniversum: Die Flintstones halten die Couch besetzt, und Fred winkt schelmisch Homer zu. Es ist so, als wolle man sagen: “Wenn ihr den Thron wollt, nehmt ihn euch. Wir fügen uns der Rangordnung in der Nahrungskette.” Dafür fordern die Simpsons aber auch ihren eigenen Platz ein, den sie festigen und sich zugleich die Möglichkeit einräumen wollen, noch weiter aufzusteigen.
“Kamp Krusty” sollte ursprünglich zu einem Kinofilm verarbeitet werden, der ja erst jetzt, über ein Jahrzehnt später, wieder etwas stärker ins Gespräch gekommen ist. Dass es tatsächlich sogar Probleme gab, den gewöhnlichen Zwanzigminüter zu füllen, macht das Ganze natürlich irgendwie zu einer kuriosen, undurchdachten und sogar sympathischen Angelegenheit.
Ein wenig hat die Story natürlich cineastische Züge, wird das traute Heim doch einmal mehr verlassen, die Familie gesplittet und die Kinder in ein klassisches Abenteuer geschickt, wobei nicht nur Dialogsequenzen, sondern auch die ein oder andere Actionsequenz stattfindet.
Die Idee, auf dem verdorbenen Charakter des Entertainmentclowns Krusty eine Story um ein Camp aufzubauen, beinhaltet offenkundig einmal mehr medienkritische Ambitionen, die in dem “Abenteuerurlaub” der Kinder hervorragend zur Geltung kommen. Eingeleitet wird die Folge mit einem Traum Barts, in dem der Sommerferienbeginn zelebriert und die Schule demoliert wird, unterlegt von “School’s Out For Summer”. Grenzenlose Euphorie wird hier freigelegt, so dass die Medien bereits lauern, sich schon lange saisonal auf jene Ferien eingestellt haben und entsprechende Angebote bereitlegen. Die Energie wird dabei in die Werbung gesteckt, nicht jedoch in das eigentliche Produkt, wofür das “Kamp Krusty” der beste Beweis ist; eine schäbige Organisation ohne eigentliche Beteiligung des Namensgebers, der nicht zum letzten Mal seinen Namen für ein mangelhaftes Produkt hergeben würde.
Wie es in einer Satire Brauch ist, werden derartige Machenschaften natürlich gnadenlos überzeichnet, wozu man sich bei Filmzitaten bedient, die ursprünglich in einem viel ernsteren Zusammenhang standen; so wird etwa “Ben Hur” bei der Synchronarbeit der sklavenartig gehaltenen Kinder zitiert und später “Die Geliebte des französischen Leutnants”, als Lisa im wehenden Mantel an der Grenze des Camps steht und einem Boten einen Brief mit auf den Weg gibt, als gäbe es keinen Ausweg mehr aus diesem “Gefängnis”.
Das Highlight ist eine Parallelsequenz, die von einem Kinderchorgesang gerahmt wird, der natürlich den Gästen des Camps hier aufgezwungen wird, während derartige Gesangseinlagen in Familienfilmen gewöhnlich auf freiwilliger Basis verlaufen und sich spontan ergeben; hier wird das Ganze von den Schulrowdys um Jimbo & Co. forciert. Während nun der Gesang ertönt (dessen Text überdies eine herrliche Parodie auf Produktmarketing ist), gibt es eine Montage von Dingen, die man in einem solchen Camp anknüpfend an das “School’s Out”-Gefühl mit Freuden machen würde, die aber hier zur Qual werden: Scheinen die Kinder ausgelassen den Berg hinunterzulaufen, so flüchten sie in Wahrheit nur vor einem Steinschlag. Weiterhin gibt es eine extrem überzeichnete “Rassentrennung”, indem die dicken Kinder durch Zäune von den anderen Kindern getrennt werden und sich separat einer ungewollten Abspeckkur unterziehen müssen - da wird man unweigerlich an die Rassenuntergliederung Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Zugleich gibt es eine interessante Substory um das Aufblühen der Ehe von Marge und Homer ohne die nervigen Kinder - paradoxerweise fühlt sich das Ehepaar wieder wie frisch vermählt, während ihre Kinder cartoonlike übertrieben woanders Höllenqualen erleiden. Dieser Bezug wird herrlich klargemacht in dem Moment, wo Homer erfährt, dass sein Sohn durch Rebellion die Kontrolle über das Camp übernommen hat - im Sekundenbruchteil fallen auch seine letzten Haare aus und der Bauch schwillt wieder zu alter Form an. Die Familie Simpson ist demzufolge ein dynamisches Konstrukt aus einzelnen Energiepolen, die Reibung erzeugen, sobald sie sich alle an einer Stelle befinden. Storypotenzial ergibt sich durch das Zusammenwirken dieser Pole - ist dies, wie hier, nicht gewährleistet, so gibt es nur Friede, Freude, Eierkuchen. Ähnlich wie bei den Bundys wäre das Leben ohne die Kinder eine Wohltat - Al könnte Peggy ohne die Kinder durchaus ertragen, und Homer und Marge wären glücklich bis an ihr Lebensende.
Die vierte Staffel feiert mit “Kamp Krusty” also einen Einstand, der die Episode selbst beinahe zu einem Kultobjekt erhob und große Taten verlauten ließ für die kommenden 21 Folgen.
EPISODE 2
BÜHNE FREI FÜR MARGE (A Streetcar Named Marge)
Deutsche Erstausstrahlung: 16.02.1993
US-Erstausstrahlung: 01.10.1992
Inhalt: Einmal im Leben als Star auf der Bühne stehen - das ist Marge Simpsons großer Traum. Als in Springfield für eine Musical-Version von “Endstation Sehnsucht” geprobt wird, geht sie zum Vorsprechen - und wird prompt für die Hauptrolle der Blanche engagiert. Homer ist nicht gerade begeistert von ihrer Bühnen-Karriere und lässt nichts unversucht, um sie davon abzubringen..., doch Marge ist nicht mehr zu bremsen! (Booklet-Text)
“A Streetcar Named Marge” ist alleine durch die Referenz an Tennessee Williams’ dramatisches Theaterstück (später erfolgreich verfilmt von Elia Kazan und mit Marlon Brando) wohl eine der am fundiertesten durchdachten Simpsons-Folgen, die jemals zu sehen waren. Inzwischen hat sich das Äußern von Emotionen in Form von Tanz und Gesang bei den Simpsons als gebräuchliches Stilmittel eingebürgert, und ich muss zugeben, dass dies inzwischen eines meiner weniger gemochten Elemente in der Serie ist. Zumal ich eigentlich das Theaterstück als expressionistische Form überhaupt nicht ertragen kann - oft wirken die dargebotenen Metaphern, Symbole und schließlich die Botschaften einfach zu aufgedunsen, zu forciert und zu künstlich für jemanden, der durch den Film in aller Regel eher Dezenteres gewohnt ist.
Nun ist dieser noch relativ frühe Versuch, durch ein Theaterstück emotionale Spannungen zwischen Charakteren aus dem Simpsons-Universum zu schaffen, wirklich noch unverbraucht, und das Stück “Endstation Sehnsucht” entpuppt sich als perfekt abgestimmte Parallele zur Beziehung zwischen Homer und Marge.
Im Stück geht es um Blanche Dubois, die in der Episode durch die (wir wir spätestens seit “Marges Meisterwerk” wissen) künstlerisch ambitionierte Marge verkörpert wird. In dem Südstaatendrama ist Blanche eine Lehrerin aus feinen Kreisen, die ebenso gesittet wie affektiert agiert. Wegen der vollkommenen Auflösung von Familie und Hausbesitz steht Blanche plötzlich alleine da und zieht zu ihrer Schwester Stella, die wiederum mit dem Arbeiter Stanley Kowalski verheiratet ist. Aufgrund der verschiedenen Lebensansichten von Blanche und Stanley kommt es bald zu Streitigkeiten und schließlich zur Katastrophe - soweit die Kurzzusammenfassung des Stückes.
Homer ist natürlich der Arbeiter Stanley Kowalski, aber das Tolle an der Folge ist der Umstand, dass Homer gar nicht an dem Stück mitwirkt. Er ist nur indirekt das Pendant zu diesem Kowalski, und indem er nur als Zuschauer in den Reihen sitzt, wird ihm die Aufgabe gestellt, sich aus eigener Kraft auf das Stück einzulassen. Es geht also darum, Homer für die Bedürfnisse seiner Frau zu sensibilisieren, die ja nun schließlich immer ihn unterstützt hat und dafür ihre eigenen Träume, wie hier zu sehen vor allem der Ausdruck der eigenen Persönlichkeit im Rahmen der Kunst, zurückgesteckt hat. Da Homer also gar nicht selbst mitspielt (im Gegensatz zu halb Springfield), ist er vollkommen ausgeschlossen aus dem Kreis derer, die Marge als Persönlichkeit wahrnehmen und schätzen - natürlich nur bis zum Happy End.
Für den Witz sorgen speziell die erbärmlichen Versuche der Springfielder Schauspielamateure, sich im Theater zu beweisen. Während der Regisseur verzweifelt, laben wir uns an einer herrlich dilettantischen und durch und durch satirisch gemeinten Vorführung mit selbst kreierten Texten (die Rechte für die Originaltexte wurden nicht gewährt). Ein Kritiker aus New Orleans, dessen Stadt in einem Text aufs Übelste beschimpft wurde - aber eben immer im satirischen Rahmen - holte seinerzeit selbst zum Rundumschlag aus, als ihm der Text frei vom Kontext in die Hände fiel.
In einem Nebenplot wird Maggie in einen Babyhort gesteckt, wo sie mit einer gekonnten Anspielung auf “Gesprengte Ketten” einen spektakulären Fluchtversuch unternimmt. Unterlegt natürlich mit der Kritik an erzieherischen Aspekten (während Marge und Homer mit ehelichen Problemen kämpfen, ist für das Kleinkind kein Platz), begeistert hier vor allem die frische Inszenierung und nicht zuletzt die höchst effektive Anspielung an eine spezielle Szene aus “Aliens” und an ähnliche Szenarien, als Homer und Bart ganz vorsichtig durch die gigantische Kinderschar trapsen, um das “schlafende Biest” nicht zu wecken. Insgesamt wohl zu Recht eine Folge, die nicht selten zu den zehn besten der Simpsons gezählt wird.
EPISODE 3
EIN GOTTESLÄSTERLICHES LEBEN (Homer The Heretic)
Deutsche Erstausstrahlung: 21.04.1994
US-Erstausstrahlung: 08.10.1992
Inhalt: Jeden Sonntag früh aufstehen, um in die Kirche zu gehen? Homer hat das schon lange satt. Als ihm Gott höchstpersönlich im Traum erscheint und ihm erlaubt, im Bett zu bleiben, genießt Homer die neue Freiheit. Nur die Zigarette hätte er besser vorher ausmachen sollen... (Booklet-Text)
Einer meiner persönlichen Lieblinge ist sicherlich “Homer the Heretic”. Als Atheist fällt es mir zunächst einmal leicht, mich über den Glauben lustig zu machen, und zwar so, wie es Matt Groening & Co. tun: mit Respekt. Außerdem ist diese Folge sozusagen eine Verwirklichung eines Kindheitstraums: Einfach mal am Sonntagmorgen zu Hause bleiben können, während sich die Familie in der Kirche den Arsch abfriert, um frei dem “Carpe Diem”-Motto zu folgen.
Erwähnenswert ist für mich hier auch die schöne Animation der Folge. Optisch sind die Simpsons inzwischen fast schon zum Optimum gereift; was die Animation, also die Bewegung betrifft, hat sie für meine Begriffe hier tatsächlich den Klimax erreicht - Wenn Homer in seinen Bärentretern und seinem Bademantel im Haus herumtanzt und sich einen Supersnack macht, dann spürt man beinahe das Flair der Handanimation - jeder einzelne Schritt verstrahlt eine, man könnte fast sagen anti-digitale Individualität, während die neueren Folgen durch die Digitalisierung optisch wieder austauschbarer wirken.
Eine optische Kuriosität gibt es auch hinsichtlich des Highlights der Folge: Wenn Gott höchstpersönlich auftaucht, erkennen wir an seiner Hand fünf Finger. Die Springfielder besitzen derer bekanntlich nur vier pro Hand - der Bequemlichkeit der Zeichner wegen. Im Groeningschen Universum bedeutet die Fünffingrigkeit also einen Schritt hin zur Perfektion.
Ideell ist der glorreiche Gastauftritt Gotts eine ganz besondere Sache, denn so ganz klar, ob er wahrhaftig auf die Erde kommt oder nur eine Einbildung Homers ist, wird hier nicht. Es wird schlicht und einfach ein legerer Umgang mit der Präsentation christlicher Heiligtümer gepflegt, der bisweilen an Kevin Smiths “Dogma” erinnert. Die Aussage geht in eine ganz ähnliche Richtung und spricht sich dagegen aus, die Institution Kirche vor den Glauben zu setzen und dafür, den Glauben individuell auszulegen. Vor allem wird am Ende die konkurrenzhafte Konstellation verschiedener Glaubensrichtungen angeprangert, denn Homers Leben muss mal wieder gerettet werden, und das geschieht durch das gemeinsame Festhalten verschiedenster Menschen an den moralischen Grundwerten, die den Machern zufolge der Pfeiler einer jeden Religion sein sollten, So ist “Homer the Heretic” sicherlich am Ende nichts weiter als eine Fortführung der Idee aus “Homer vs. the 8th Commandment” - ohne diese allerdings unmotiviert zu wiederholen.
EPISODE 4
LISA, DIE SCHÖNHEITSKÖNIGIN (Lisa, The Beauty Queen)
Deutsche Erstausstrahlung: 28.04.1994
US-Erstausstrahlung: 15.10.1992
Inhalt: Mit ihrem Aussehen steht Lisa auf Kriegsfuß, denn sie findet sich potthässlich! Um ihr Selbstbewusstsein zu stärken, meldet Homer sie zur Miss-Wahl für 7- bis 9-Jährige an. Und oh Wunder: Auch ohne Wimpern-Implantat macht Lisa eine ziemlich gute Figur. Als die Wettbewerbssiegerin von einem Blitz getroffen wird, schlägt Lisas große Stunde. (Booklet-Text)
Die erste Lisa-fokussierte Folge der Staffel nimmt sich eines für sie noch ungewohnten Themas an, nämlich ihrer Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb und damit ihrer Auseinandersetzung mit Äußerlichkeiten. Man muss wohl nicht betonen, dass Lisa durch ihre überproportionale Intelligenz ein sehr in sich gekehrtes junges Mädchen ist, dem das Aussehen für sich betrachtet nicht besonders wichtig ist. Dem sozialen Druck kann aber auch sie sich nicht entziehen, so macht sie sich natürlich Sorgen darum, möglicherweise hässlich zu sein.
Das Witzige ist die Tatsache, dass man als Zuschauer und Nicht-Angehöriger des Simpson-Universums gar nicht mal richtig sagen kann, wie hübsch Lisa eigentlich wirklich ist. Sie ist nicht wie einige ihrer Kolleginnen beim Schönheitswettbewerb auf die Schönheit hin idealisiert - natürlich nicht, schließlich muss sie als Hauptdarstellerin Identifikationspotenzial bieten. Erst durch Barts widerwilliges Geständnis wissen wir wirklich, dass sie als hübsch durchgeht, wenngleich wir uns schon gedacht haben, dass sie nicht als hässlich einzustufen wäre (einen Indikator nach unten bieten die Zwillinge Terry und Sherry). Dennoch weist aber eben auch sie Überbiss auf, Glupschaugen und eben den kompletten schrulligen, entfremdeten Groening-Stil - das ist der Pfeffer der Show, wenn Schönheitsideale thematisiert werden.
Verbunden wird die neuerliche Identitätsfindung Lisas mit der Kritik an jener Wettbewerbssituation, wenn schon Kinder dazu angehalten werden, sich anhand ihres Aussehens zu messen. Die Zelebration der Schönheitskönigin wird natürlich dem Stil der Serie entsprechend fast Musical-like aufgezogen, um die Sache etwas satirisch überziehen mit Spotlights, Publikum und einem singenden Clown-Entertainer.
Frei nach dem Spider-Man-Motto “Mit großer Macht kommt auch große Verantwortung” wird nach Vertragsabschlüssen mit einem Zigarettenproduzenten die Vorbildfunktion einer Person verdeutlicht wie einst der Gewalteinfluss des Fernsehens in der “Itchy & Scratchy”-Episode - Maggie tauscht ihren Schnuller gegen eine Zigarette. Die Botschaft mag am Ende etwas aufgedunsen sein, doch wird sie geschickt von Witzen flankiert, so dass man nie ganz von der Moral erschlagen wird... obwohl hier mitunter schon die Gefahr bestand.
EPISODE 5
BÖSARTIGE SPIELE (Treehouse of Horror III)
Deutsche Erstausstrahlung: 12.05.1994
US-Erstausstrahlung: 29. 10.1992
Inhalt: Es ist wieder Halloween und bei den Simpsons herrscht das pure Chaos. Zur Feier des Tages schenkt Homer Bart eine Krusty-Puppe. Doch hinter dem lustigen Clowns-Gesicht lauert ein finsteres Geheimnis. Und dann ist da noch das Okkultismus-Buch, mit dessen Hilfe Bart die tote Katze Schneeball zum Leben erwecken will... (Booklet-Text)
Obwohl die alljährliche Tradition der Halloween-Show am Ende immer individuellere Züge annahm, entwickelten sich die beliebten Season-Highlights zu Beginn in einer recht gleichbleibenden Tradition. Handelte es sich im letzten Jahr in der Rahmenhandlung um Albträume, die durch Halloween-Süßigkeiten hervorgerufen wurden, macht nun ein Gruselstory-Spiel zu Halloween die Runde. Es wurde möglicherweise als Eckpfeiler betrachtet, stets das Halloween-Fest zur Grundlage der makaberen Geschichten zu machen. Inzwischen ist diese Notwendigkeit weggefallen, was immer absurdere Storyauswüchse annahm, die sich auch mit der Simpsons-Realität vermischten. Selbst in “normalen” Folgen passieren Homer inzwischen wahrhaft grauenvolle Dinge, die eigentlich in “Itchy & Scratchy”-Episoden besser aufgehoben wären - möglicherweise ein Resultat des Buhlens um neue Aufmerksamkeit durch Radikalität.
In der vierten Staffel jedenfalls herrscht noch die narrative Form des Phantastischen vor, d.h. die übernatürlichen Gruselstories sind noch durch die Erzählung einer fiktionalen Geschichte (hier auf einer Party, in Season 3 durch Albträume) von dem normalen Leben der Simpsons abgetrennt - die Abtrennung wurde in den letzten Staffeln zu Lasten der Qualität leider etwas schwammiger, auch wenn die neueren Halloween-Shows immer noch mit schier unglaublichem Einfallsreichtum glänzen, wo es die Standardfolgen nicht mehr immer tun.
Sehr präsent sind diesmal Referenzen an den Horrorfilm. Vor dem roten Umhang läuft diesmal Homer mitten in eine Hitchcock-Silhouette. Die darauf folgende Titelsequenz offenbart wieder berühmte Namen auf Grabsteinen, dann sieht man Bart verkleidet wie Malcolm McDowell in “Uhrwerk Orange”.
Story Nr. 1 befasst sich mit einer mordenden Killerpuppe und offenbart freilich schon vom reinen Konzept her Referenzen an “Chucky”. Auch “Twilight Zone”-Anleihen sind mal wieder mit von der Partie und der Laden, indem Homer die Killerpuppe kauft, ist “Gremlins” entlehnt. Bei der Puppe handelt es sich um Krusty-Merchandising, dessen schlechte Qualität schon immer ein Thema in diversen Episoden war, hier aber auf die Spitze getrieben, weil mit eigenem Willen versehen wird. Die Dekonstruktion des Horrors durch die im Endeffekt sehr simple Umpolung und folgende Ausschaltung des Horrors spricht für sich und damit für die Macher, die so auf herrliche Weise zeigen, wie man Parodie aufziehen kann.
Im weiteren Verlauf wird endlich ein Thema abgehakt, das wohl unumgänglich war: Man machte King Kong zum Aufhänger einer Halloween-Episode und verknüpfte das Ganze wie schon in der ersten Staffel (“Vorsicht, wilder Homer”) mit einer Analyse von Homers Natur aus soziologischem Blickwinkel... indem man einfach Homer zu King Kong machte. Das Resultat ist eine wahnwitzige Hybridkreation zu beiden Teilen Affe und Homer und damit schon rein optisch per se ein Knaller. Dass die Beziehung zwischen King Kong und der Menschenfrau Ann Darrow dann eine solch belustigende Parallelität mit der Beziehung von Homer und Marge aufweist, musste ganz einfach mal in Bilder umgewandelt werden - und es funktioniert absolut perfekt. Die Größe symbolisiert dabei Homers Tumbheit, und die Intelligenz, die für Kong als Affen beachtlich sein kann, muss für den Menschen Homer absolut niedrig einzustufen sein - damit geht dem Homer-Kong auch jegliche Würde des echten Kong ab. Umgekehrt spricht dann natürlich auch einiges dafür, dass Marge als Ann Darrow eine Verbindung zu diesem riesigen, dummen Wesen spürt, denn dies ist ja auch bei den Reallife-Simpsons der Fall.
Durch die Konstellation erlauben sich die Macher nun einige Späße, die auf dieser Parallelität basieren: Homer-Kong mampft zwischendurch mal ein paar Menschen wie Donuts und den riesigen Haarbusch von Marge betrachtet er als Spielzeug. Es ist wahrhaft elegant, wie dadurch zugleich die Natur des Originalfilms aufgegriffen wird, zu dessen Ehrung man die Episode auch gleich in schwarzweiß drehte, um das Maximum an Authentizität zu erreichen. Das macht nicht nur den Originalfilm, sondern auch dessen Parodie durch die Simpsons zu einem wahrhaftigen Klassiker.
Den Abschluss stellt wiederum eine Parodie auf einen Horrorklassiker, der einmal mehr hervorragend eingefangen wurde: “Night of the Living Dead”. Während die Art und Weise der Wiedererweckung der Toten eher die ersten Zombiefilme um “White Zombie” anspricht, spielt die abschließende Pointe (Die Simpsons vor dem Fernseher) natürlich ganz klar mit Romeros Sozialkritik. Das ganze Szenario ist aus Sicht der Animation eine Wonne, denn den wankenden Gang der Zombies, die menschenleeren Straßen, die Verwüstung und den allgegenwärtigen Nihilismus haben die Zeichner absolut drauf. Terrifying Entertainment Deluxe.
EPISODE 6
BART WIRD BESTRAFT (Itchy & Scratchy: The Movie)
Deutsche Erstausstrahlung: 05.05.1994
US-Erstausstrahlung: 03.11.1992
Inhalt: Der erste “Itchy & Scratchy”-Film läuft in Springfields Kinos an - für Bart ein absolutes Muss. Leider hat sich Homer soeben vorgenommen, seinen nichtsnutzigen Sohn von nun an konsequenter zu bestrafen. Als Bart mal wieder Mist baut, verhängt Homer ein “Itchy & Scratchy”-Filmverbot auf Lebenszeit. Ob das Bart auf den richtigen Weg bringen wird? (Booklet-Text)
Noch so ein Knaller ist die Folge rund um den Itchy & Scratchy-Kinofilm, der von der Substanz her überraschenderweise ein wenig an den “South Park”-Kinofilm und gar an dessen Handlung erinnert - im Prinzip nichts anderes als eine intelligente Ausdehnung des Serienkonzeptes, im “South Park”-Film durch das “Terrence & Phillip”-Kinoevent repräsentiert, das auf Trey Parker und Matt Stone ebenso referiert wie der Itchy & Scratchy-Film auf Matt Groening und Anhang - denn eine Simpsons-Kinoauswertung war ja auch schon seit Beginn der Staffel (“Kamp Krusty”) ein Thema. Ein wenig verwirrend, das Ganze... das passiert, wenn eine TV-Serie Intelligenz beweist und Meta-Ebenen der Darstellung bedient.
Von außergewöhnlichem Sehwert ist diesmal wieder die gelungene narrative Struktur, sprich die Art und Weise, wie das thematisierte Dilemma zwischen Kindererziehung und Konfrontation des Kindes mit den sozialen Normen der Umwelt dargestellt wird. Klasse ist die Idee, beim Elternabend Marge für Barts schwache Leistungen büßen zu lassen und Homer zum Vorbild aller Väter zu machen, als er darüber ausgefragt wird, wie er Lisa nur zu einer so guten Schülerin erzogen hat. In der Folge blüht auch Bart wieder auf... die Aktion mit dem Grandpa-Gebiss und dem Wohnzimmerventilator landet immer wieder in den Best Ofs.
Der Kinofilm, durch einen genialen Appetitanreger in Form einer “Steamboat Willy”-Parodie vorbereitet, dient vor allem als Indikator dafür, wie weit die Strafe für Ungehorsam gehen darf, um den schmalen Grat zwischen gesunden Regeln und ungesunder Einsperrung des kindlichen Wesens nicht zur falschen Richtung abzurutschen. Unglaublich erscheint es, dass Homer in Sachen Bestrafung plötzlich so willensstark ist, aber wenn er sich einmal was in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es eben durch.
Eine abschließende Zukunftsszene bietet viel Raum zur Interpretation: Homer hat sein Verbot bis ins hohe Alter durchgehalten, Bart ist Richter (er trägt eine Robe) und beide gehen wie Freunde zusammen die Straße entlang, als sie ein Kino für Filmklassiker passieren und das “Itchy & Scratchy”-Plakat erblicken. Nach dem Motto “What the hell” besuchen sie schließlich die Vorstellung - und lachen über einen Film, den vor ihnen schon jeder gesehen hat. Mag die Grundstimmung hier nun versöhnlich sein, so ist es doch ein Trauerspiel, den beiden alten Männern dabei zuzusehen, wie sie die Vergangenheit wieder aufholen, den eigentlichen Zeitpunkt aber lange verpasst haben und niemals wieder das Gefühl empfinden werden, wie es ist, Zeitzeuge gewesen zu sein bei einem besonderen Event. Die Aussage, die dahintersteckt, dürfte sich für 20th Century Fox rentieren, sollte es mal einen Simpsons-Kinofilm geben... denn dank dieser Episode werden Eltern sich wohl eine andere Bestrafung ausdenken als das Verbot, Homer & Co. beim 90-minütigen Unsinnstiften zuzusehen.
EPISODE 7
MARGE MUSS JOBBEN (Marge Gets A Job)
Deutsche Erstausstrahlung: 19.05.1994
US-Erstausstrahlung: 05.11.1992
Inhalt: Als ein Fernsehbeitrag das Haus der Simpsons mit dem schiefen Turm von Pisa vergleicht, dämmert es Homer: Es muss etwas geschehen. Um das Geld für die Renovierungsarbeiten zu beschaffen, nimmt Marge einen Job im Atomkraftwerk an. Dort trifft sie auf Mister Burns, der sofort sein Herz an die attraktive Blauhaarige verliert... (Booklet-Text)
Es kann ein Graus sein, das komplette - wirklich komplette - Leben mit seiner Frau zu verbringen. Das ist jetzt keine Blasphemie, sondern eine nüchterne Feststellung - es gibt Gruppen, die gar die Monogamie an sich als der menschlichen Natur widersprechend betrachten, aber selbst wenn man die Monogamie befürwortet, so bleibt doch nicht aus, dass der Mensch, so sozialbedürftig er ist, auch Platz braucht zur individuellen Entfaltung. Und “zwingt” man den Mann - wie hier aus monetären Beweggründen heraus - dazu, nicht nur das Privatleben, sondern auch die Arbeit mit seiner Partnerin zu verbringen, so wird er sich bedroht und eingeengt fühlen.
“Marge Gets A Job” zeigt unter anderem dies, als Homer plötzlich seine Frau auf der Arbeit wiederfindet... gar in einem höher qualifizierten Job, was sich verschlimmert, als sich auch noch Mr. Burns in die hübsche Blauhaarige verliebt und er sie befördert. Die Konsequenz dieser Konstellation: 1. Smithers wird eifersüchtig. 2. Burns, ein Mann, der sonst alles haben kann, stößt auf die Grenzen seiner Macht. 3. Homer fühlt sich um seine Manneskraft gebracht und hat sich am Ende in einem moralischen Dilemma zu beweisen. Die Situation, einmal mehr in einer optisch ansprechenden (weil gut kopierten) Citizen Kane-Hommage eingeleitet, entfaltet sein Potenzial in der Darstellung der Spannungen am Arbeitsplatz, wobei Marge selbst bis zum Ende der mehr oder weniger unwissende Spielball bleibt. Die Spannungen werden durch witzige kleine Gesten aufrechterhalten, wie Marges Naivität in dem Versuch, die Moral am Arbeitsplatz zu verbessern oder Burns’ Glatzenpolitur und sein hämisches Beobachten von Marge als abgewiesener Mann . Auch zum Schießen komische Tagträume tragen dazu bei: Smithers träumt vom durch das Fenster fliegenden Burns, während Burns sich vorstellt, wie Marge mit ihrem Mann - einer idealisierten Homer-Variante - dem Sonnenuntergang entgegenreist und sich dabei über den gutgläubigen Boss lustig macht - wobei auch wieder der Running Gag einspielt, dass Burns seinen Angestellten Homer schlichtweg nicht zuordnen kann. Im weiteren Verlauf tritt dann noch Tom Jones als Gaststar auf in dem von Burns beabsichtigten Zweck, Marge zu beeindrucken.
In einem Nebenplot wuselt sich derweil Bart an einem Test vorbei und stellt die Mechanismen der Moral auf den Kopf. Die Geschichte vom Jungen, der immer “Wolf” schrie, wird hier als Bildnis eingeworfen und der Wolf schließlich durch eine misslungene Krusty-Show sozusagen wahrhaftig zum Leben erweckt, um die Moral der Geschichte (Bart “Ich hab’s halb gelesen, ich schwör’s!”) mit dem Holzhammer voranzutreiben, wodurch jene Moral als Stilmittel einer Geschichte nebenbei quasi analysiert wird. Man könnte gar sagen, dieser Nebenstrang referiert konsequenterweise gar auf den Hauptstrang, in dessen Struktur die Moral sehr subtil bleibt.
EPISODE 8
LAURA, DIE NEUE NACHBARIN (The New Kid On The Block)
Deutsche Erstausstrahlung: 26.05.1994
US-Erstausstrahlung: 12.11.1992
Inhalt: Bart hat sich unsterblich in das neue Nachbarmädchen Laura verliebt. Zu seinem Schrecken muss er jedoch feststellen, dass sie dem Schul-Rowdy Jimbo Jones schöne Augen macht. Bart würde alles tun, um sie zu beeindrucken. In seiner Not schreckt er auch nicht davor zurück, Homer um Rat zu fragen. Das hätte er besser nicht gemacht... (Booklet-Text)
“The New Kid on the Block” bedeutete, ganz ähnlich wie später für Lisa das Zusammentreffen mit Nelson, einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung von Bart - er verliebt sich erstmals in ein Mädchen - ein Anzeichen der Pubertät. Solche Dinge müssen mit Bedacht ausgewählt werden in Anbetracht der Tatsache, dass Bart bis zum Ende der Serie ein Kind bleiben wird. Übergänge zu einer neuen Entwicklungsstufe dürfen daher nicht überreizt werden, und wenn sie auftreten, sollten sie entsprechend berührend wirken, damit sie ihrer Bedeutung gerecht werden.
Mit Laura wird dieser spezielle Moment im Leben einer Cartoonfigur sehr schön eingefangen, denn sie ist in ihrer Art gewissermaßen ein Spiegelbild von Barts Charakter - sie ist sehr jungenhaft, draufgängerisch und rebellisch, und da sie deutlich älter ist als Bart selbst, hat er einen Grund sie zu bewundern. Es ist witzig, dass Laura charakterlich fast schon eine Karikatur von Bart-Sprecherin Nancy Cartwright sein könnte.
Der Altersunterschied ist natürlich zugleich ein Anzeichen dafür, dass die ganze Sache nicht gut gehen kann - aufgrund fehlender Erfahrungen missversteht Bart Lauras Nuancen, indem er sie als Zeichen der Zuneigung interpretiert - ein fataler Fehler, wie sich herausstellt, als sie ihm ihren neuen Freund Jimbo vorstellt, ohne ein Anzeichen eines schlechten Gewissens zu zeigen. Die farblich extravagante Szene, in der Bart träumt, von Laura buchstäblich das Herz herausgerissen zu bekommen, sollte dann auch wieder in der Best-Of-Herzschmerz-Collage verwendet werden.
Während wir Laura später nicht oder höchstens noch sporadisch wiedersehen, wird durch ihre Mutter, die in dieser Folge in die Nachbarschaft der Simpsons zieht, dauerhaft eine neue Figur in die Simpsons-Welt integriert. Bei aller fehlenden Chronologie der Ereignisse halten einige Elemente Springfield doch ein wenig in Bewegung, denn manchmal sterben Figuren weg oder neue kommen dazu - hier ist letzteres der Fall.
Nebenbei führt Homer einen höchst amüsanten Gerichtskrieg gegen das All-you-can-Eat-Restaurant unseres allseits beliebten Käpt’ns, während sich Marge in Grund und Boden schämt - eine Geschäftsidee versöhnt dann aber alle Beteiligten. Wie das kundenverachtende Schild des Restaurants (der Mitarbeiter angelt den Fisch direkt vom Teich ins Maul des fetten Kunden, was zwar auf eine naive Art die Frische der Produkte demonstriert, nebenbei aber den Kunden demütigt) ist dies alles natürlich comichaft enorm überzeichnet; Homer mutiert zum Loch ohne Boden, und nicht umsonst werden Metapher wie die “Unendliche Geschichte” herangezogen.
EPISODE 9
EINMAL ALS SCHNEEKÖNIG! (Mr. Plow)
Deutsche Erstausstrahlung: 09.06.1994
US-Erstausstrahlung: 19.11.1992
Inhalt: Homer hat es mal wieder geschafft: Während eines Schneesturms fährt er beide Autos der Familie zu Schrott. Als er auf der Suche nach einem Ersatzwagen einen alten Schneepflug entdeckt, kommt ihm eine großartige Idee: Er wird Springfields Straßen vom Schnee befreien und damit das große Geld machen. Doch die Konkurrenz schläft nicht... (Booklet-Text)
Der Plot von “Mr. Plow” beruht im Grunde genommen auf einem Schnellschuss von Scriptwriter Jon Vitti, als die Macher in einer letzten Story-Vorbesprechung der Season 3 etwas in Eile waren und noch dringend nach einer Geschichte suchten. So erinnerte sich Vitti an Freunde, die in ungewöhnlichen Gegenden wohnten, wie sie in einem Cartoon oder einer Zeichentrickserie normalerweise nicht vorkommen - sprich Umgebungen mit charakteristischen Markenzeichen, die auf ein spezielles Areal hinweisen. Und da Vitti außerdem gerne mal eine Serie mit Schnee machen wollte, schlug er die Story um einen Konkurrenzkampf im Schneescheffeln zwischen Homer und seinem Saufkumpel Barney vor.
Tatsächlich kommen anormale Wetterbedingungen in Zeichentrickserien gewöhnlich nur dann vor, wenn sie eine symbolische Bedeutung für die Handlung haben - es regnet, wenn es Probleme gibt, Donner und Blitz schlagen zu, wenn Gefahr droht, und wenn die Sonne mit voller Kraft strahlt, ist das entweder ein Zeichen für pure Freude oder, gebraucht man es ironisch, für geheuchelte Glückseligkeit. Schnee gab es bislang lediglich zur Weihnachtszeit. “South Park” hat das später geändert, aber auch die Simpsons brachen schon mit den Konventionen und stellten hier schon eine Schnee-Episode, die nicht an Weihnachten stattfindet - und das, weil einer der Autoren eine Schnapsidee hatte. Revolutionen entwachsen der Not, möchte man sagen.
Jedenfalls ist die beabsichtigte Aussage der Folge der Wert von Freundschaft in Relation zum Kapitalismus, der aus zwei befreundeten Menschen auf dem umkämpften Arbeitsmarkt erbitterte Konkurrenz machen kann. Barney derart ambitioniert zu sehen, ist zunächst eine Umgewöhnung, allerdings sollte er im weiteren Verlauf der Serie noch sehr viele Facetten abbekommen (die künstlerische Ader), die ihn klar über die reine Karikatur des üblichen Säufers und Tunichtguts hinaushebt. Den Anfang dazu macht diese Folge. Wir erfahren, dass Homer derjenige ist, dem Barney seine Alkoholsucht zu verdanken hat, und dass in diesem weinerlichen Saufbold ein intelligenter Mensch mit vielen Stärken steckt. Die Verwandlung zum Säufer wird in einer mit Schatten versehenen Folge von Bildabblenden demonstriert, die ganz dezent an die alten Universal-Monsterfilme erinnert, in denen die Realtime-Verwandlung der Monster dargestellt wurde (“Der Wolfsmensch”, “Dr. Jekyll & Mr. Hyde”, etliche “Dracula”-Ableger). Dadurch, dass Homer für Barneys Zustand verantwortlich ist, bekommt die Konkurrenzsituation zusätzlichen Pfeffer und Barneys Attacke auf Homers Geschäftsidee erhält seine Berechtigung. Das Ende der Geschichte ist dann eine Art Wiedergutmachung für alles, wenngleich Barney sein Alkoholproblem natürlich nicht los wird.
Gespickt ist das Schneetreiben mit allerlei urkomischen Einfällen. Das geht von den Gaststars Linda Rhonstadt (die Barney durch ihre Unterstützung ein menschliches Gesicht verleiht) und Adam West (der sein ewiges Batman-Trash-Image gekonnt auf die Schippe nimmt) über den witzigen “Mr. Plow”-Werbespot (Grampa ist als personifiziertes Unwetter eine Wucht) bis zu der abartig schlechten Rap-Einlage von Homer. Und wenn Marge auf die Mr. Plow-Jacke abgeht, ist das Vergnügen komplett.
EPISODE 10
AM ANFANG WAR DAS WORT (Lisa’s First Word)
Deutsche Erstausstrahlung: 16.06.1994
US-Erstausstrahlung: 03.12.1992
Inhalt: Auch wenn die Familie alles versucht, um Maggie ihr erstes Wort zu entlocken: Der jüngste Simpsons-Sprössling nuckelt weiter nur stumm am Schnuller. Marge und Homer erinnern sich an die Zeit, als Bart und Lisa noch klein waren - und geben eine Menge überraschender Geschichten zum Besten. (Booklet-Text)
In der zweiten Staffel begrüßte uns mit “The Way We Was” die erste Flashbackepisode der Simpsons, und zwar im Seventies-Style; in der dritten Staffel folgte mit “I Married Marge” ein weiterer Vertreter. Nun sind wir in den Achtzigern angelangt, und langsam wird der Vorlauf zur Ausgangssituation von 1989 geschlossen.
Der Grundgedanke der Flashbackepisoden ist der, sich von der Gegenwartssatire zu lösen, um vergangene Jahrzehnte einer witzigen Nachbetrachtung zu unterziehen. Die Idee, derartige Projekte in Angriff zu nehmen, zeugt von dem auf Erwachsene ausgerichteten Serienkonzept: Nur Erwachsene werden Spaß daran finden, die Vergangenheit nochmals zu rekapitulieren; der Humor jener Folgen basiert darauf, bekannte Eckpfeiler von kultureller, wirtschaftlicher oder sonstiger Herkunft wieder ins Gedächtnis der Zeitzeugen zu befördern. Und das funktioniert ausgezeichnet. Alleine optisch distanzieren sich die Simpsons-Retrospektiven von den zeitgemäßen Stories und verleihen ihnen ein ganz eigenes Flair. Nicht auszudenken, hätte Matt Groening seinen ursprünglichen Plan durchgesetzt, die Simpsons als eine Art Parallelwelt in einer den 50ern/60ern ähnelnden Umgebung (inspiriert durch das Aufkommen von Sitcoms) zu konzipieren; derartige Spielereien wie hier wären nicht möglich gewesen.
“Lisa’s First Word” schafft im Gegensatz zu “I Married Marge” nun endlich wieder neue Kontraste. Hatte diese im Vergleich mit “The Way We Was” nämlich optisch nichts neues mehr vorzuweisen, glänzt die vorliegende Episode mit einem ganz neuen Produktionsdesign; die 80er Jahre sind mehr als spürbar. Einzig durch die Comedyausrichtung und den Look wird man unweigerlich an “Kuck mal, wer da spricht” erinnert, ohne dass es Story-Ähnlichkeiten geben würde. Veränderungen sind dezent, aber doch unzweifelhaft identifizierbar: Homer besitzt noch sein altes, grünes Auto und vor allem Haare (Günther Netzer-Gedächtnismatte); Marges Schopf ist wesentlich kürzer; auf dem TV Guide prangt David Hasselhoff mit seinem K.I.T.T.; die Möblierung ist minimal anders. Die Flanders sind neu in der Nachbarschaft, und wenn die Kamera durch die Evergreen Terrace wandert, so merkt man, dass sich in den 90er Jahren viel getan hat.
Die wichtigste Veränderung betrifft aber das erstmalige Auftauchen der Simpsons-Kinder, die in den Siebziger Jahren noch nicht geboren waren und damit in den vorhergehenden Flashback-Folgen fehlten. Die Anwesenheit zweier Kinder (Maggie ward noch nicht geboren, stattdessen war Lisa noch ein Baby) hat Auswirkungen auf das ganze Familienkonstrukt. Die Folge zeigt, wie die traute Zweisamkeit von Marge und Homer sich deutlich erweitert und sich alles hin zum altbekannten Simpsons-Konstrukt hin entwickelt, das wir wegen seiner Fehlbarkeit so lieben gelernt haben. Das Design von Bart und Lisa ist zu drollig: Barts Kopf ist mit weniger Stacheln und größeren Glupschaugen versehen, und Lisa sieht aus wie Maggie, was für den Plotkniff am Ende natürlich auch eine Bedeutung haben wird. Groenings Zeichner haben das Niedlichkeitsschema durchaus verstanden.
Vieles dreht sich hier nun um Lisa, das Neugeborene, dem alle Aufmerksamkeit zuteil wird und die deswegen für den Erstgeborenen Bart zur Konkurrenz wird. So mündet die neue Situation in einen erbitterten Kleinkrieg unter Geschwistern, der aber selbstverständlich friedfertig aufgelöst wird. Für Angst und Wut sorgen bei Bart auch äußere Umstände, wie eine Übernachtung bei den Gottesfanatikern von nebenan oder ein Horrorclownbett (nun wissen wir, weshalb Bart die Krusty Show so liebt...). Und die Wut und Angst führen letztendlich zum Zusammenhalt des Simpsons-Nachwuchs. Und um die Entwicklung und den immer währenden Lauf bis hin zur aktuellen Familiensituation darzustellen endet die Folge - wie schon der Titel verrät - mit einem einzigen Wort...
EPISODE 11
OH SCHMERZ, DAS HERZ! (Homer’s Triple Bypass)
Deutsche Erstausstrahlung: 03.07.1994
US-Erstausstrahlung: 17.12.1992
Inhalt: An ungesundem Essen kann Homer einfach nicht vorbeigehen, ohne sich den Bauch vollzuschlagen. Als er immer wieder von Herzanfällen heimgesucht wird, rät sein Arzt zu einer Operation - für schlappe 40.000 Dollar, die die Simpsons selbst bezahlen sollen. Gut, dass Fernseharzt Dr. Riviera für 129,95 Dollar jeden Eingriff erledigt! (Booklet-Text)
Die Freßsucht wurde Homer schon mal in der zweiten Staffel beinahe zum Verhängnis. Essen kann eine schöne Erfahrung sein, gerade wenn man sich an unterschiedlichen Kulturen versucht; wie man sieht, birgt sie aber auch Gefahren.
Der vergiftete Kugelfisch war damals nicht wirklich Homers Schuld, weshalb sich seinerzeit der Plot eher darauf beschränkte, die Sterblichkeit an sich zu thematisieren und nicht die Verschuldung des Menschen daran - schließlich ist der Tod eine unausweichliche Angelegenheit, für die der Mensch nichts kann. An ihm liegt es nur, sein Leben möglichst lange zu erhalten, und an diesen Ansatz knüpft “Homer’s Triple Bypass” an.
Fettleibigkeit und Herzkrankheiten sind in Amerika schon lange Todesursache Nr. 1. Es ist ein typisches Charakteristikum der Wohlstandsgesellschaft; die gesellschaftliche Ordnung brachte die Fast Food-Kultur an die Spitze, Millionenklagen sind von den entsprechenden Restaurants im Tagesgeschäft auszutragen, weil übergewichtige Menschen die Schuld bei denen suchen, die die Fettmacher verkaufen.
Diese Umstände führten über kurz oder lang zwangsläufig selbstverständlich auch zur Auswertung bei den Simpsons, obwohl sich derartige Themen weit schwieriger in satirische Form drücken lassen als etwa Medienparodien, bei denen es doch oft deutlich lockerer zu Werke geht. Homer allerdings bietet sich perfekt als Adaptionsobjekt an; schließlich gehört das Essen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, wie sein Marshmallowkörper eindrucksvoll beweist, und das richtige Alter für Folgen der Cholesterinsucht hat er auch. Bei der Gelegenheit ist darauf hinzuweisen, dass auch Bart die Anlagen zur Fettleibigkeit zeigt mit seinem runden Bäuchlein, was im Laufe der Serie auch immer wieder für kleinere Insider sorgte (“the little fat boy”).
Hervorzuheben ist die optische Attraktivität der Show, denn sowohl die Fressorgien (zu Beginn ist das ganze Bett vollgelegt mit Fressalien) als auch die resultierenden Anfälle sind ein Gottesgeschenk des animierten Slapstick. Homers Gesicht verzerrt sich zur extrem comichaften Fratze und macht aus der Herkunft seiner Existenz keinen Hehl - das ist in diesem Moment zweifellos eine abstrakte Zeichentrickfigur. Und doch bleibt das Identifikationspotenzial nicht auf der Strecke.
Regietechnische Einfälle würzen die optische Qualität: So wird im Splitscreen eine Innenaufnahme von Homers Herzen gezeigt, während sein Boss ihn für schwache Leistungen bei der Arbeit beschimpft - und dem Herzen folgen wir bis zum finalen Aussetzer in einem einzigen Auf und Ab.
Alles weitere ist dann eine Art witziges Melodram im Emergency Room-Style: Finanzielle Sorgen lassen die Simpsons mal wieder auf den Kurpfuscher Dr. Nick Riviera zurückgreifen, weil Hausarzt Dr. Hibbert zu viel Geld verlangt, und Lisa muss Riviera aus dem Zuschauersaal die richtigen Eingriffe zuschreien. Zwischenzeitlich gibt es Flashbacks (Baby-Homer nuckelt an einem Stück Pizza) und Diskussionen um die OP innerhalb der Familie, wobei sich Lisa mal wieder als Kind herausstellt, das sich um ihren Vater sorgt und das dennoch mit wissenschaftlichem Forscherdrang die ganze Sache angeht, während Marge eher auf den Glauben vertraut. Krusty macht einen auf “Patch Adams” und am Ende der erfolgreichen OP steht Stümper Riviera mit einem sprichwörtlichen Heiligenschein (der durch ein OP-Licht an der Decke aufgeworfen wird) da und feiert seinen Triumph. Dass Homer überlebt, ist selbstverständlich keine Überraschung - die Macher betonen, dass es deswegen besonders schwierig gewesen sei, den Plot mit Emotionen zu versetzen. Aber trotz der Überlebensversicherung geht die Folge durchaus ans Herz, weil die ganze Geschichte auch sehr gut auf die Realität übertragbar ist.
Zu Beginn erfreut uns übrigens eine recht lange “Cops”-Parodie, eine damals noch recht frische Show im US-Fernsehen, die so rein gar nichts mit der Haupthandlung um Homer zu tun hat - wie schon mal angemerkt, sind solche Einleitungen bei den Simpsons nicht unüblich. Groening & Co. vermerken, dass diese vom Hauptplot losgelösten Intros meist dann auftauchen, wenn die eigentliche Story zu kurz ist. Ein Nebeneffekt ist der Abwechslungsreichtum der Serie, denn so bleibt das Gefühl aus, dass sich jeweils eine Episode immer nur um genau ein Thema dreht - ein Umstand, der auch auf die Folgen mit zwei parallel zueinander ablaufenden Handlungssträngen übertragbar ist.
EPISODE 12
HOMER KOMMT IN FAHRT (Marge Vs. The Monorail)
Deutsche Erstausstrahlung: 10.07.1994
US-Erstausstrahlung: 14.01.1993
Inhalt: Durch eine Umweltsünde von Mister Burns kommt Springfield unverhofft zu 3 Millionen Dollar. Um die Summe gewinnbringend anzulegen, lässt sich die Stadt von einem mysteriösen Fremden eine Einschienenbahn andrehen - und engagiert Homer als Zugführer! Marge glaubt, dass da etwas oberfaul ist... (Booklet-Text)
Schon wieder eine perfide Flintstones-Hommage, diesmal in der Eröffnungssequenz nach den Opening Credits... da kann man nicht meckern. Kurz danach eine “Das Schweigen der Lämmer”-Anspielung, dann zwei Tagträume von Lisa und Bart mit historischen Figuren (Dschinghis Khan) und Splatter (eine mechanische Riesenameise zerteilt Skinner mit ihren Greifern). Geht gut los.
Und es wird noch besser, sofern man sich gerne darüber amüsiert, wie dumm eigentlich die Masse ist. Massenpsychologie ist eine Sache, die viele Wissenschaftler speziell der Nachkriegszeit beschäftigt hat - hier war es ebenfalls immer ein Thema. Zwar wird die Dummheit bei den Simpsons auch an Individuen zelebriert - ich sage nur Homer - doch die Springfielder sind als zusammenhängende Schar grundsätzlich ein Ausbund an Dummheit, die ins Bodenlose geht. Vielleicht ist dies mit der Hypothese zu erklären, dass die Gruppe immer nur so gut ist wie ihr schwächstes Glied - und das ist schließlich Homer...
Aus wirtschaftlichem Antrieb heraus wird mit dem Monorail-Mann nun eine neue Figur eingeführt, was deswegen notwendig war, weil der “Verführer” nicht aus dem internen Kreis kommen durfte. Es musste ein Fremder sein, um die Masse nicht zu brechen und sie gemeinschaftlich einer Paralyse zu unterziehen. Das ist ein ganz ähnliches Schema, wie es in Goscinnys und Uderzos Asterix-Episode “Der Seher” verwendet wurde.
Die “Monorail-Bahn” ist dabei für den Zuschauer direkt als Finte zu entlarven, weil sie in höchstem Maße ökonomisch ineffizient und nutzlos ist für die Bedürfnisse der Stadt.
Das Highlight der Folge ist sicherlich die rhetorisch erstklassig inszenierte Debatte im Rathaus, wo der Fremde sich den Fragen der Masse stellt und alle Bedenken der Bevölkerung mit kessen Gegenfragen kontert - ein kleines Meisterstück der Rhetorik. Weiterhin werden bei Rundblicken durch den Saal die sozialen Gruppierungen deutlich. So wuseln im Hintergrund die Senioren herum und fordern Unsinnigkeiten, während ganz vorne die ökonomisch relevantesten Personengruppen sitzen, sprich Männer im besten Arbeitsalter. Im Verlaufe der Folge gibt es auch wieder einiges von den beliebten Seniorenwitzen zu sehen.
Derweil stellt sich auch wieder Marges Immunität gegen die Massenmeinung heraus, da sie als einzige wieder zu ihren Prinzipien steht, auch wenn sie dafür von der reaktionären Masse verurteilt wird. Deswegen heißt die Folge im Original auch “Marge vs. The Monorail”. Homer wird dann gegen Ende der rasant eingefangene Actionpart zuteil, der auch sogleich im Großen erfolgt, sprich über ganz Springfield hinweg auf der Monorail in einem “Speed” nicht unähnlichen Szenario auf Leben und Tod. Und der Donut ist mal wieder die Rettung. Danke, o du köstliches Gebäck.
EPISODE 13
SELMA WILL EIN BABY (Selma’s Choice)
Deutsche Erstausstrahlung: 21.08.1994
US-Erstausstrahlung: 21.01.1993
Inhalt: Durch den Tod von Großtante Gladys bricht bei Marges Schwester Selma die Krise aus. Die ewige Junggesellin will unbedingt ein Baby, bevor es zu spät ist! Um den richtigen Erzeuger zu finden, lässt sie nichts unversucht. Nach einem Rendezvous mit Hans Maulwurf wagt sie den Härtetest: ein Nachmittag im Vergnügungspark mit Bart und Lisa. (Booklet-Text)
Selma, die dritte. Nach der Heirat mit Sideshow Bob und der Verlobung mit Skinner geht es wieder an Selmas Unzufriedenheit - kein Wunder, war doch David Stern wieder Autor, der Mann, der uns schon “Principal Charming” schrieb in seiner Faszination darüber, wie man solche Nebenfiguren bei den Simpsons so gut zu den Hauptdarstellern einer Episode machen kann.
Wie man dem deutschen Titel schon entnehmen kann, hat sich Selmas Verzweiflung ein Stück weit fortgepflanzt; es geht nicht mehr darum, den richtigen Mann zu finden, sondern einfach nur darum, dem Leben einen Sinn zu geben - schön verbildlicht durch die Beerdigung von Tante Gladys (Tante wer?) zu Beginn. Bei der Gelegenheit stellt sich die Frage, wieso es bei den Simpsons nicht öfter mal eine Beerdigung gibt - die sind stets urkomisch.
Es geht also ganz klar um Vergänglichkeit. Und an dieser Stelle sei durch ein Beispiel auch mal die regietechnische Leistung der Serie hervorgehoben: Wir sehen eine alte Standuhr in Nahaufnahme, die langsam tickt. Mit einer leichten Drehbewegung zieht sich das Stativ zurück und offenbart immer ein Stück mehr vom Hintergrund. Plötzlich wird die Bewegung ganz schnell, und der mythische Augenblick wird “zerstört”, als wir sehen, dass die Standuhr hier keine Metapher für die biologische Uhr Selmas sein soll, sondern dass sie einfach nur als Erbstück bei den Simpsons im Kofferraum liegt, als die von der Beerdigung nach Hause fahren. Das ist Humor, der weit über üblichen Slapstick hinausgeht... das ist fürwahr fast Humor mit einer cineastischen Grundfeste.
Allerdings funktioniert die Folge auch auf weit primitiverer Ebene. Die Selma-Moleman-Kinderkreuzungen in Selmas Vorstellung nach dem Date mit Hans Maulwurf sind zum Schießen, und kurz darauf folgt einer meiner persönlichen Lieblings-Gags, die sich über mehrere Szenen erstrecken: Homers Kampf mit dem Riesensandwich, das inzwischen verfault ist, weil er es nicht auf einmal aufessen konnte. Mit der Zeit entwickelt er fast eine persönliche Beziehung zu dem verfaulten Ding, und als er es, noch hellgrün vor Übelkeit im Gesicht, wieder aus dem Mülleimer holt und liebevoll sein Gesicht daran reibt, da möchte man sich auf dem Boden rollen.
Selmas Kinderwunsch wird derweil provisorisch dadurch befriedigt, dass sie für einen Ausflug in einen Vergnügungspark die Aufsicht über Bart und Lisa bekommt und sich in Sachen Verantwortung beweisen kann. Der surreale Trip durch den Duff Bier-Tunnel erinnert beizeiten daran, was später in “Futurama” in der Slurm-Fabrik wieder aufgegriffen wurde. Bei Lisas Visionen wird bereits mit Surrealismus experimentiert, der in der Chilischoten-Episode seine Vollendung erfahren würde, und zugleich macht man sich einen Spaß mit den Folgen von LSD. Als sich Bart dann auch noch in eine Achterbahn schmuggelt, ist eines klar: Selma ist nicht dafür geschaffen, Kinder zu haben. Aber ihr zum Dank konnten Homer und Marge zu Hause mal wieder etwas ihre Ehe aufleben lassen - mit billigen Erotikfilmchen im Herkules-Setting.