Lost Season 1
Technische Daten
Vertrieb: Buena Vista Home Entertaiment
Regionalcode: 2
Laufzeit: 1069 Minuten
Regie: u.a. J.J. Abrams, Jack Bender, Tucker Gates
Darsteller: Terry O'Quinn, Matthew Fox, Josh Holloway, Evangeline Lilly
Bildformat: 1,78:1
Sprachen: DD 5.1 (Deutsch, Englisch), DD 2.0 (Französisch)
Untertitel: Deutsch, Englisch, EfH, Französisch, Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Finnisch, Holländisch
Freigabe: FSK 16
Film:
Die Review enthält KEINE Spoiler
Bei manchen fällt es gleich auf, bei anderen käme man nie auf den Gedanken und doch ist es Fakt: der Mensch stammt vom Affen ab. Er gehört zur Unterordnung der Trockennasenaffen und dort zur Familie der Menschenaffen. Im Lauf der Evolution ging die Schere zwischen uns und unseren haarigen Verwandten allerdings immer weiter auseinander, sowohl in der biologischen Evolution, aber noch viel stärker in der kulturellen Evolution. Als Fans von Gruppenbildung entwickelten wir über die Jahre ein hochkomplexes Gesellschaftssystem, in dem unglaublich viele Faktoren eine Rolle spielen. Nach vielen tausend Jahren voller Tatendrang, Erfindungen und Entdeckungen bewegen wir uns mittlerweile mit einer Selbstverständlichkeit durch unsere hochtechnisierte Welt, dass wir es selbst fast nicht mehr merken. Wir lassen uns Wecken von Maschinen, bewegen uns mit Maschinen, arbeiten mit Maschinen, fahren wieder mit Maschinen nach hause und stellen abends wieder die Maschine ein, die uns am nächsten Tag wecken wird oder soll…denn unsere Maschinen funktionieren nicht immer, so auch das Passagierflugzeug des Fluges Oceanic 815, welches auf dem Weg von Sydney nach Los Angeles ist, als es plötzlich in ein Luftloch sackt und kurz darauf auseinander bricht. Wenig später finden sich 48 Überlebende neben unzähligen Wrackteilen an einem paradiesischen Strand einer großen tropischen Insel wieder…
Da steht das Homo Sapiens nun, an einem Ort, dessen Schönheit kaum in Worte zu fassen ist. Das Meer wirft rauschende Wellen an den klaren, unverschmutzten Sandstrand, die Palmen biegen sich sanft im Wind und die Sonne strahlt am kristallklaren Himmeln und mitten drin brennende Wrackteile, explodierende Turbinen und schreiende Menschen.
Der gewählte Anfang, der entgegen dem gängigen Katastrophenfilm-Schema nicht am Flughafen beginnt und so auch keine effektgeladene Absturzsequenz zu bieten hat, wirkt wie eine Geburt, Schmerz und Schönheit lagen selten näher zusammen als in den ersten Minuten von „Lost“. Der Absturz ist auch für alle Charaktere eine Art Geburt, eine Art Neuanfang, denn schon früh wird der Gruppe klar, dass die Maschine während des Unglücks schon lange nicht mehr auf dem geplanten Kurs unterwegs war und sämtliche Rettungstrupps an einer ganz anderen Stelle suchen werden. So stellt man sich langsam aber sicher darauf ein, dass man länger auf der Insel bleiben muss, als den meisten lieb ist. Der Absturz wirft die Insassen in der Evolution zurück und führt ihnen die einzige Aufgabe, die jedes Lebewesen auf unserem Planeten verfolgt, vor Augen: Überleben, ein simples Wort, welches in einer natürlichen Umgebung vollkommen anders funktioniert als in einer vernetzten Stadt mit Handys, Pizza-Service und beheizten Klobrillen…ein Wort, dessen Bedeutung wir scheinbar gar nicht mehr kennen…
48 unterschiedliche Persönlichkeiten versuchen sich fortan zusammenzuraufen, wobei die Serie sich zugunsten der Übersichtlichkeit nur auf ein gutes Duzend beschränkt. Sie alle haben eine Vergangenheit, welche immer wieder Stückchenweise in Form von Flashbacks beleuchtet wird. Auf den ersten Blick befinden sich durchaus zahlreiche klischeebelastete Reißbrettfiguren in der Gruppe, deren zunächst einfallslos anmutende Charakterzüge allerdings mit den zahlreichen Hintergrundgeschichten aufgebrochen werden. Jeder hat einen plausiblen Grund für sein Handeln. Durch diese Form der Charakterisierung entsteht eine ungewöhnlich feste Bindung zu allen Figuren und schon während der ersten Folge fesselt die Konstellation der unterschiedlichen Menschen. Warum verhalten sie sich so? Wie werden sie mit der neuen Situation zurechtkommen? Wie werden sie sich ernähren?
In wie fern die teilweise doch recht abenteuerlichen Vergangenheiten realistisch sind, kann natürlich in Frage gestellt werden, aber gerade dadurch entstehen recht vielschichtige Charaktere, ganz zu schweigen von dem Unterhaltungs-Faktor, den eine TV-Serie nun mal haben sollte.
Nach dem Robinson Crusoe-Prinzip beginnt man sich aber schon nach den ersten Tagen mehr oder weniger häuslich einzurichten, sich kennen zu lernen und sich somit den Gegebenheiten anzupassen.
Die Gefahr hierbei in langweilige Insel-Alltags-Gefilde abzudriften umschifft „Lost“ geschickt mit eingestreuten Mystery-Elementen, denn so einsam, wie man zunächst glaubt, scheint man auf der Insel gar nicht zu sein. Auch wenn die diversen Einlagen hier und da ein wenig selbstzweckhaft erscheinen und stellenweise wie Lückenfüller wirken, sorgen sie dafür, dass es so gut wie keinen einzigen Durchhänger gibt. In wie fern man es schafft, alle Geheimnisse befriedigend aufzuklären, kann zum Zeitpunkt der ersten Staffel noch niemand sagen, fest steht allerdings, dass eine finale, in sich geschlossene Auflösung alles andere als einfach sein wird. Die Folgen konzentrieren sich mal stärker auf die Vergangenheit der Charaktere und ihre Auswirkung auf die Gegenwart, mal werden die Geheimnisse der Insel in den Vordergrund gerückt. Die Aufklärung der selbigen raubt einem immer wieder den letzten Nerv, spannt man den Zuschauer doch mit gigantischen Cliffhanger-Attacken Folge für Folge auf die Folter. Hierbei läuft der Erzählfluss unheimlich langsam ab, so dass am Ende der ersten Staffel die Geheimnisse noch nicht mal ansatzweise ausgelotet sind. Daher ergibt sich aber auch ein gesundes Maß an Mystery. „Lost“ benötigt nicht jede Folge einen neuen spektakulären Aufhänger sondern tastet sich lieber nervenaufreibend vorsichtig an die Gegebenheiten heran.
Als Zuschauer bekommt davon so gut wie gar nichts zu sehen, was für zusätzliche Spannung sorgt. Mithilfe einer umwerfenden Soundkulisse, die herrlich bizarre, nie gehörte Klänge durch die Paradiesinsel peitscht und einer schwammigen Handkamera weiß man stets, dass irgendetwas im Dschungel ist, aber eben nicht was, woraus regelrecht nervenaufreibend spannende Szenen entstehen. Gebündelt mit der Bindung zu den Charakteren, resultieren in diesen Momenten beim Zuschauer Gefühle, wie man sie in der Kindheit beim heimlichen Schauen eines Horrorfilms hatte…man sorgt sich um die Figuren, möchte ihnen zurufen, nicht weiter in den Dschungel zu gehen und gleichzeitig bringt einen die Neugier, was denn dort im Gebüsch diese undefinierbaren Geräusche von sich gibt, beinahe um. Darüber hinaus schafft es „Lost“ den Zuschauer im Verlauf einer Staffel mehrfach gehörig zu erschrecken. Schockeffekte werden in Spannungsspitzen konsequent ausgelassen und stattdessen in ruhige Episoden in oft vollkommen harmonische Momente gesetzt, so dass auch beim versierten Horrorfilmkonsumenten mehrmals der Herzstillstand droht oder sich das Cola-Glas selbstständig macht und lautstark zerberstend auf dem Boden aufschlägt.
Obwohl die Serie prinzipiell ein klares Mainstream-Produkt ist, arbeitet sie doch mit ungewöhnlich feinfühligen Mitteln bei der Charakterisierung, verwendet immer wieder gut gewählte Metaphern und bietet dem Zuschauer mit zahlreichen ein geflochtenen Themenbereichen wie Religion, Schicksal uvm. zumindest die Möglichkeit auch in die Tiefe zu gehen. So werden häufig die Ereignisse einer Episode mit der Vergangenheit eines Charakters verbunden, so dass Entscheidungen oder Konflikte in der Gegenwart über das vorherige Leben der Figur erklärt werden. Daraus entsteht ein höchst interessanter Mikrokosmos einer Gesellschaft, der für den Zuschauer oft faszinierend transparent ist, aber ihm trotzdem nicht alles offenbart. Denn die Serie teilt dem Zuschauer nur das mit, was er unbedingt wissen muss, um den Kontext zu verstehen. Immer wieder lässt sich verschiedenen Perspektiven entnehmen, dass aber doch nicht alles so einfach und schnell ersichtlich ist und jede Person auch eine dunkle Seite in sich hat. Wann diese zum Vorschein tritt und in welcher Form bleibt dem Zuschauer vorenthalten, meistens aber geschieht es in den Schlüsselszenen für den Fortverlauf der Show, in denen sich aus vollkommen simplen Situationen psychologisch ungemein faszinierende Duelle anbahnen, in denen der Zuschauer ebenfalls auf die Probe gestellt wird, da er meist selbst nicht sicher ist, auf welche Seite er sich schlagen soll, bzw. wer Recht hat.
Die Darstellerriege besteht aus größtenteils unbekannten Gesichter, welche durch die Bank sehr ordentliche bis fantastische Leistungen abliefern. Matthew Fox agiert absolut überzeugend als inoffizieller Hauptdarsteller, welcher als Dr. Jack Shephard eher unfreiwillig die Rolle des Leitwolfs übernimmt und damit weit weniger gut klarkommt, als vermutet. Einen der faszinierendsten Charaktere verkörpert Terry O'Quinn als John Locke, der einerseits Sympathieträger, aber gleichzeitig seltsam undurchschaubar ist. Mit Dominic Monaghan, welcher mit seiner Rolle als Merry Pippin in der „Herr der Ringe“-Trilogie bekannt wurde, findet sich lediglich ein wirklich bekanntes Gesicht in den Reihen der Überlebenden. Im weiteren Verlauf der Show werden aber noch einige wenige dazukommen. Jedesmal, wenn es soweit ist, schlägt eine weitere Sternstunde von „Lost“, denn das Einführen neuer Charaktere wird mit interessanten Handlungs-technischen und vor allem ungewöhnlich innovativen Inszenierungsideen realisiert.
Letztere überzeugen auch beim Gesamtbild. Häufig werden Traum- und Halluzinationssequenzen verwendet, die immer wieder an „Six Feet Under“ erinnern. Wie in der Bestatterserie auch sind diese Szenen oft hintergründiger, als es zunächst den Anschein hat. So verbergen sich in den oft rätselhaften Erscheinungen Symbole und Metaphern der Vergangenheit eines Charakters, welche dann auch meist Einfluss auf die Gegenwart oder Zukunft nehmen.
Auf grandiose Weise schaffen die Macher von „Lost“ Folge für Folge die Illusion, dass die fantastische Pracht auf dem Bildschirm tatsächlich eine verlassene Insel irgendwo im Pazifik ist, obwohl alle Außenaufnahmen auf der dicht bevölkerten Hawaii-Insel Oahu gedreht wurden. Trotz hoher Bebauungsdichte erscheinen weiträumige Landschaftsaufnahmen voller idyllischer Natur, die an Schönheit kaum zu überbieten sind. Die Kamera passt ihre Arbeit immer an die jeweiligen Situationen an, so das „Lost“ auch optisch äußerst ausgereift daherkommt und nicht bloß auf reinen Bombast-Mainstream-Look ohne Substanz setzt.
Musikalisch hält sich „Lost“ meist sehr zurück und präsentiert über große Teile nur eine äußerst minimalistische Musikuntermalung. Meistens dominiert das äußerst eigenwillige, geniale Sounddesign, welches meist nur sehr dezent von Buschtrommel-artigen Musikstücken untermalt wird, welche wiederum von mysteriösen Piano-Läufen umgarnt werden. Hier und da setzt man am Ende einer Folge auf eine Art Abschlusssong, welcher die jeweilige Stimmung untermauern soll und dies in der Regel auf hervorragende Weise schafft. So entwickeln sich eher kleine Szenen zu wunderschönen Sequenzen, die dem Zuschauer in ihrer Stimmigkeit einen wohligen Schauer über den Rücken jagen.
Die erste Staffel von „Lost“ überzeugt überraschend auf ganzer Linie. Statt einem oberflächlichen Mainstream-Produkt legt uns J.J. Abrams eine durchdachte Arbeit vor, welche weder zum einfallslosen Mystery-Brei, noch zur vorhersehbaren Robinson Crusoe-Variante verkommt. Stattdessen liefert man ein nahezu perfekt funktionierendes Konstrukt ab, welches sich mit einfühlsamer Vorsicht an die unglaublichen Geheimnisse der Insel heran tastet und dabei die hochinteressante Figurenkonstellation intelligent ins jeweilige Geschehen einbaut. So stürmt „Lost“ mit Leichtigkeit zur Spitze der Mystery-Serien und lässt dabei bei Qualität, Innovation und Inszenierung so gut wie alle Konkurrenzformate weit hinter sich!
,5
Bild:
Das Bild der BVHE-Scheibe strahlt in knackigen Farben, bietet einen sehr guten Kontrast und eine gute Detailschärfe. Hier und da stört ein sehr dezentes Bildrauschen. Insgesamt aber ein sehr angenehmer Transfer.
Sound:
Soundtechnisch sorgt die „Lost“-Umsetzung für Serien-Verhältnisse für eine ungewohnt gute 5.1-Abmischung. Der Subwoofer wird immer wieder gefordert, es gibt zahlreiche Dschungeleffekte, die Musik ist angenehm räumlich und die Dialoge kommen klar und deutlich über den Center. Im Vergleich zu Referenz-DVDs ist die Abmischung eher zahm, kann aber im Vergleich zu Konkurrenzprodukten wie „24“ punkten.
Ausstattung:
Für Buena Vista-Verhältnisse bietet die DVD-Box überraschend viele Extras. Neben mehreren unveröffentlichen Lost-Rückblenden, gibt es recht ausführliches Making-Of, mehrere Audiokommentare mit Cast & Crew, eine Featurette zur Entstehungsgeschichte, 13 zusätzliche Szenen, eine Featurette zum Lost-Set, ein Beitrag zu den Darstellern beim Casting und noch weitere Kleinigkeiten, alles dt. untertitelt und in schön animierte Menüs verpackt. Die Box an sich kommt im Gegensatz zu Digi-Kollegen allerdings weit weniger hübsch daher, besteht sie doch nur aus einem dünnen Schuber, in welchem 7 Slim-Cases untergebracht sind.
Fazit:
Zum Low-Budget-Preis von mittlerweile ca. 25 Euro erhält der Käufer ein äußerst spannendes, grandios umgesetztes und gut durchdachtes Serienspektakel, welches auf technisch absolut zufriedenstellenden Discs untergebracht wurde. Zu bedenken sind hier allerdings die entstehenden Folgekosten, denn die Cliffhanger-lastige Serie wird wohl kaum jemand ruhig nach der ersten Staffel abbrechen können...