Reservoir Dogs - Special Edition
Diese Kritik erschien auch bei www.ofdb.de
Technische Daten
Vertrieb: Universum Film
Regionalcode: 2
Laufzeit: 95:01 Min.
Regie: Quentin Tarantino
Darsteller: Harvey Keitel,
Tim Roth,
Steve Buscemi,
Michael Madsen,
Chris Penn,
Quentin Tarantino,
Lawrence Tierney,
Randy Brooks,
Kirk Baltz,
Edward Bunker,
Rich Turner,
David Steen,
Tony Cosmo,
Stevo Polyi,
Michael Sottile,
Robert Ruth,
Lawrence Bender,
Linda Kaye,
Suzanne Celeste,
Steven Wright,
Burr Steers
Bildformat: 2,35:1 (Anamorph)
Sprachen: DD 5.1 Deutsch, Englisch
Untertitel: Englisch, Deutsch für Hörgeschädigte
Freigabe: Keine Jugendfreigabe
Film
Inhalt: Sechs Gangster treffen sich in LA. Mit Decknamen ausgestattet, um ihre Anonymität zu gewähren, planen sie ein ganz großes Ding – einen Überfall auf einen angesehenen Juwelier. Kurz vor dem Punkt X sitzen sie in einem Restaurant, diskutieren über Kultur und Gesellschaft, bevor sie sich auf den Weg machen. Alles ist cool...
Irgendetwas ist schiefgelaufen! Der Überfall wurde von einem ganzen Haufen Cops gestört, die wie aus dem Nichts kamen. Brown ist tot, Blue ist verschwunden, Orange schwer verletzt. Die restlichen Gangster flüchten zum verabredeten Treffpunkt. Aber ist der Treffpunkt sicher? Es muss einen Maulwurf geben...
„Reservoir Dogs“ ist in vielerlei Hinsicht die Ursuppe, aus der Tarantinos bisheriges Schaffen gemacht ist. 1992 war das Jahr, in dem sich ein echter Filmnarr mit seinem Debüt ins Rampenlicht spielen durfte. Insofern eigentlich nichts Neues, basiert doch prinzipiell die gesamte Filmgeschichte auf der Reflexion und Wiederverwertung vergangener Erfolge, was gerade im jetzigen Zeitalter der Kumulation motivationsloser Remakes und Sequels deutlich wird. Aber beim ehemaligen Videothekenangestellten Tarantino war es anders: er nahm Fragmente aus Filmen und Serien verschiedenster Länder und Epochen, um damit etwas ganz Neues, in der Form nie Dagewesenes zu schaffen.
Der Erstling kann zwar in Sachen Komplexität nicht mit den Nachfolgewerken mithalten, ist für den Auftakt aber mehr als beachtlich. Noch nicht unbedingt genreprägend, aber verdammt nah dran.
Schon die Grundkonstellation zeigt Tarantinos Freude daran, die Konventionen der Filmindustrie auf den Kopf zu stellen. Es geht um einen misslungenen Raubüberfall einer Gruppe von Gangstern, die sich gegenüber dem Kopf des Zusammenschlusses alle einzeln bewährt haben, sich in den meisten Fällen aber untereinander gar nicht kennen. Um zu verhindern, dass der eine den anderen verrät, wenn jemand in die Hände der Polizisten fällt, kennen sich die Gangster untereinander nur mit Decknamen: Mr. Blue, Mr. Brown, Mr. White, Mr. Blonde, Mr. Orange und Mr. Pink (Stichwort: „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“). Tatsächlich werden sie während des Coups von der Polizei überrascht. Dafür gibt es nur eine Erklärung: unter ihnen befindet sich ein Verräter.
Der eigentliche Clou: das Handlungszentrum, nämlich der Überfall als solcher, wird nie gezeigt. Später stellt sich das als Kontrapunkt zum dritten Film „Jackie Brown“ heraus, in dem eine zentrale Geldübergabe durch drei aufeinander folgende unterschiedliche Kameraperspektiven gar „dreidimensionalisiert“ wird. Hier jedoch werden lediglich drei Ebenen eingeflochten, die sich um das eigentliche Event herum stricken: die bereits länger zurückliegende Planung und Rekrutierung der Mitglieder, die Situation unmittelbar vor dem Überfall und die Reaktion unmittelbar nach dessen Scheitern.
Die kürzeste Laufzeit betrifft die Situation vor dem Überfall, die lediglich Prologfunktion besitzt und in welcher die „Reservoir Dogs“ zum ersten und letzten Mal alle vereint zu sehen sind. Gegenstand dieser Szenerie, in der die Gangster in (abgesehen von Chris Penn) schwarzen Anzügen mit Krawatten sitzen (Stichwort: „A better tomorrow“) und Kaffee trinken, ist ein scheinbar belangloses Gespräch über Madonnas „Like a virgin“ und die Frage, wie der Text interpretiert werden kann. Sekundär ist dieses Gespräch sicherlich mit einem Kassandra-Effekt bezüglich des Scheiterns des Coups zu verstehen: eine unerwartete Überraschung ist selbst bei jahrelanger Routine immer möglich, was sowohl für Madonnas Sexualleben als auch für die Arbeit der Gangster gilt. Primär dürfte allerdings der semantisch eher seichte Alltagsunterton dieser Szenerie den Sinn geben, zumal der „Like a virgin“-Diskussion noch eine Debatte über Trinkgeld und gesellschaftliche Konventionen folgt, die nun wirklich nur schwer metaphorisch oder symbolisch ausgelegt werden können. Diese Alltagsgespräche, welche mit der simplen Genialität einhergehen, die sich gerade nach „Pulp Fiction“ entwickelt hat, wurde mit der Zeit zum unverwechselbaren Charaktermerkmal Tarantinos und gleichzeitig zu einem selbstreferentiellen Statement, das später bei der Besprechung von der Infiltration des Verräters noch näher besprochen wird.
Was dann folgt, ist ein Beweis für Tarantinos Gespür für Bildästhetik. Die „Reservoir Dogs“ gehen in Zeitlupe und von einem 70er-Jahre-Klassiker unterlegt nebeneinander her die Straße entlang, die unbeatable Coolness vor dem großen Ding steht ihnen ins von der Sonnenbrille verdeckte Gesicht geschrieben. Das hat Postkartenqualität und wurde nicht umsonst später noch in Film und Fernsehen referiert (man denke an die berühmte Szene aus „Armageddon“ oder die geniale Parodie der Pantoffelhelden aus „King of Queens“). Es findet eine trügerische Romantisierung des Gangster-Vorhabens statt, die von einem schwarzen Vorspann noch in die Länge gezogen wird, um schließlich doch durch das unmittelbare Resultat wieder entromantisiert zu werden: Mr. White und Mr. Orange, wie sie in einem Fluchtwagen der Polizei zu entkommen versuchen, einer von ihnen stark aus einer Schusswunde am Bauch blutend.
Der Vorspann ist übrigens bewusst schlicht gehalten: der Hintergrund schwarz, die einfache Schrift rollt einfach wie im Abspann von unten nach oben durch das Bild, was wiederum ein stilistisches Mittel zur Abnabelung vom Mainstream ist.
Was folgt, ist ein Zusammenschnitt aus gegenwärtigen Szenen, in denen die sechs Gangster in alle Richtungen zerstreut zum verabredeten Treffpunkt fliehen, und Rückblenden, die sich von der Organisation des Coups bis hin zur unmittelbaren Situation danach erstrecken. Auch diese Schnittfolge der Szenen stellte sich als stilistisch prägend heraus und fand vor allem in „Pulp Fiction“ wieder verstärkt Verwendung. Eine reversible Erzählweise wie in „Memento“ oder „Irreversible“ spielt oft und gerne mit dem Kausalprinzip und will meist auf nicht wieder rückgängig zu machende Geschehnisse hinaus; die von Tarantino verwendete Schnitttechnik intendiert vielmehr eine hermeneutische Betrachtung des Geschehens: man soll sich eine Szene ansehen, dann durch eine Rückblende über die Hintergründe aufgeklärt werden und die Szene schließlich wieder neu interpretieren. Dies geschieht hier in Bezug auf die Suche nach dem Verräter, der zunächst noch verdeckt bleibt, durch die Flashbacks jedoch recht schnell enttarnt, also nicht für einen Plottwist aufgehoben wird.
Dennoch lebt die Spannung von dem Mißtrauensverhältnis zwischen den Gangstern, wozu höchst unterschiedliche Charaktere erforderlich sind. Die bekommt man mit den zentralen Figuren Tim Roth (Mr. Orange), Harvey Keitel (Mr. White), Steve Buscemi (Mr. Pink) und Michael Madsen (Mr. Blonde) auch geboten. In dem Versteck, einer verlassenen Lagerhalle, kommt es dann zu einem ständigen Wenden der Stimmung. Ein nicht unerheblicher Bestandteil der Extremsituation geht von dem langsam verblutenden Mr. Orange aus, weil die restlichen Gangster vor dem Dilemma stehen, ihren Kollegen verbluten zu lassen oder in einem Krankenhaus abzusetzen und damit der Polizei auszuliefern. Kleine Kniffe verschärfen die Situation, wie Mr. Whites unüberlegte Herausgabe persönlicher Informationen aus einer Emotion heraus. Dem gegenüber steht ein höchst professioneller und rational denkender Mr. Pink, der die Situation aus der ökonomischen Perspektive heraus analysiert und damit in einen Konflikt mit dem emotional agierenden Mr. White gerät. Nebenbei hat dieser Konflikt erneut ein ästhetisch unglaublich ausgefeiltes Bild zur Folge: gemeint ist die Szene, in der Mr. Pink am Boden liegt, Mr. White über ihm steht und beide in geometrisch korrektem Winkel die Waffen aufeinander richten. Das ist einer dieser „Magic Moments“, wie sie zumindest früher immer in den Schaukästen eines Kinos zu sehen waren.
Mr. Blonde dagegen verhält sich der Situation gegenüber unangemessen locker und entpuppt sich später als Psychopath... all dies lässt die Situation zu einem höchst spannungsreichen Psychogramm werden. Die relativ abwechslungslose Kulisse gerät dadurch vollkommen in Vergessenheit und setzt sogar verstärkt den Fokus auf das Interagieren zwischen den Akteuren.
Bei Rückblenden sticht die Vorbereitung des Maulwurfes (der hier aus Spannungsgründen nicht verraten wird) qualitativ heraus. Während das Treffen von Chris Penn und Michael Madsen im Büro des Organisators (Lawrence Tierney) etwas langatmig geraten ist, strotzt die Episode um den Undercover-Polizisten und sein Training für das Einschleusen in die Gruppe vor lauter visueller und kameratechnischer Kniffe. Ich persönlich erachte exakt diese Ausbildungsszene als Grundpfeiler für Tarantinos noch junges Lebenswerk. Auf dem Dach eines Gebäudes wird unser Mr. X von seinem Ausbilder dazu instruiert, sich genau wie ein Gangster zu verhalten. Dazu seien die Kleinigkeiten und Gesten das Wichtigste; wenn man authentisch sein wolle, müsse man ein komplettes, detailverliebtes Szenario entwickeln und auf jede erdenkliche Frage eine Antwort kennen. Nicht so, wie ein computergeneriertes Bild oder die Kulisse in einem Film nur das in Perfektion zeigt, was auf dem Bildschirm zu sehen ist; stattdessen muss jede Kleinigkeit präsent sein, vor und hinter den Kulissen.
Und genau dieser Aspekt erklärt Tarantinos Vorgehensweise in seinen Filmen. Erst durch die kleinen Anekdoten (in „Reservoir Dogs“ das Gespräch über Madonna und Trinkgeld sowie die Geschichte um die Polizisten auf der Toilette, in „Pulp Fiction“ u.a. die Dialoge rund um das metrische System in europäischen Burger-Ketten, Überfälle in Restaurants, Pilotfilme, Massagen und die Bedeutung amerikanischer Namen) ist die Authentizität gewährt. Tarantino erweist sich als Imitator von Gangster-Szenarien; bezeichnend ist deswegen auch, dass er sich einzelner Versatzstücke aus der Film- und Musikhistorie bedient, weil diese kein reines Imaginärprodukt des Regisseurs sind, sondern Fragmente aus der Realität. Wenn man will, kann man durch diesen Punkt das Argument der Tarantino-Kritiker entkräften, er verstehe sich einfach nur aufs Klauen und sei nicht in der Lage, etwas Eigenes zu schaffen. Fakt ist aber: er schafft etwas Eigenes, und zwar einzig und allein deswegen, weil er sich eben bei anderen bedient. Die Zitierung wird zum notwendigen Kriterium für die Erschaffung von etwas Neuem.
Aber kommen wir noch einmal auf die Szenerie um den Maulwurf zurück. Bei der Konstruktion des angeblich erlebten Vorfalls rund um eine Gruppe von Polizisten und einem deutschen Schäferhund, denen er auf einer öffentlichen Toilette in die Arme läuft, glänzt die Regie mit innovativen akustischen und optischen Spielereien. Einiges davon (die 360°-Drehung in der Toilette, während der Undercover-Cop die Geschichte erzählt und in dem Bild tatsächlich den Mund öffnet und den Off-Kommentar mitspricht – wobei sich dann auch noch herausstellt, dass er den Polizisten den Text probeweise vorgetragen hat) hat sicherlich auch Troy Duffy bei seinem „Boondock Saints“ inspiriert. Dann gibt es noch eine Szene, in der er den anderen die Story erzählt und diese mehr als einmal misstrauisch nachfragen – im übertragenen Sinne eine Parabel auf Kritiker und Zuschauer, die in Tarantinos Storykonstruktionen nach Logiklöchern suchen könnten und keine finden, weil die Story stets um zehn Ecken abgesichert ist. Tatsächlich erweist sich ausgerechnet die Logik stets als wasserdicht und kritikresistent; und das, obwohl die verschachtelte Erzählweise sich von ihrer Komplexität her beinahe schon Zeitreise-Plots annähert, die von Natur aus unlogisch sind.
Der Gewaltgrad von „Reservoir Dogs“ ist weitaus höher als in den beiden Nachfolgern (aber nicht so hoch wie in „Kill Bill: Vol. 1“); die KJ dürfte allerdings weniger auf Splatterszenen zurückzuführen sein als vielmehr, ähnlich wie in „Boondock Saints“, auf die atmosphärische Darstellung als solche. Lediglich in einer Szene wird es etwas expliziter, nämlich in der legendären Folterungsszene, die mit dem unterlegten „Stuck in the middle with you“ zu den Highlights des Films gehört. Doch selbst hier fällt das imaginäre Szenario weitaus erschreckender aus. Der 70er-Jahre-Klassiker stellt verstärkt das Assoziationsprinzip auf die Probe (nicht wenige Filmfreunde dürften an „Reservoir Dogs“ denken, wenn sie „Stuck in the middle with you“ im Radio hören) und die Furcht des Polizisten, als er mit Benzin übergossen wird, kann man förmlich nachschmecken; ebenso wie die schleichende Angst des Mr. Orange vor dem Tod, während er sich qualvoll im eigenen Blut suhlt.
Insgesamt erreicht Tarantinos Debüt noch nicht ganz die epische Bandbreite von „Pulp Fiction“, „Jackie Brown“ oder „Kill Bill“. Auch sind vereinzelte Szenen etwas zu langatmig geraten. Überhaupt schneidet der erste Film im Tarantino-internen Vergleich in nahezu jeder Hinsicht etwas schlechter ab; Dialoge, Charaktere, narrative Struktur und Plot sind noch nicht ganz so ausgefeilt. Die fehlende epische Intensität kann aber auch positiv ausgelegt werden: kurz und knackig ist die Gangsterballade unter dem Strich auf jeden Fall. Und überhaupt, gemessen am Durchschnitt ist „Reservoir Dogs“ ein starkes Stück, besonders als Debüt. Darüber hinaus ist die Darstellerriege erste Sahne. Buscemi, Keitel, Madsen und Roth sorgen für ein ausgefeiltes Psychoduell; die anderen, darunter der Meister himself als Mr. Brown, halten sich dabei dezent zurück.
Fazit: Tarantinos Erstling ist oberflächlich gesehen eine ansehnliche Collage aus verschiedenen Teilen der Filmhistorie, setzt sich tatsächlich aber zu einem eigenständigen Stück Filmkunst zusammen, das einerseits das grenzenlose Potential andeutet, das sich in späteren Werken beweisen konnte, andererseits selbst beinahe zum Meilenstein der Filmgeschichte aufsteigt. Nach wie vor hochklassige Dialoge und eine intelligent verstrickte Story machen den Film überaus sehenswert. Gerade für Freunde des Unkonventionellen.
Bild
Das beim DVD-Release bereits über ein Jahrzehnt alte Bild erstrahlt in einer überraschend guten Qualität. Würde man bei einem solchen Indie-Projekt doch zumindest ein paar Verschmutzungen vermuten, so kann man solche nicht einmal mit der Lupe finden. Die Farben sind natürlich, der Kontrast angenehm und Bildrauschen hält sich in Grenzen. Wer gerne meckert, darf sich halt an der Bildschärfe mokieren, die eher von einer leichten Weichzeichnung geprägt ist als von Detailschärfe; diese Schwäche ist zwar feststellbar, aber wer sich wirklich darüber ärgert, der versucht in seiner Freizeit vermutlich auch, Priester zu einer Schlägerei zu provozieren.
Ton
Bei der akustischen Untermalung hätte man jedoch mehr erwarten dürfen. Die deutschen Stimmen klingen etwas stumpf, während die Originalstimmen deutlich klarer aus dem Center kommen. In Anbetracht des Schauplatzes, einer großen Lagerhalle, gibt es erstaunlich wenig Tiefbasseinsatz. Auch die Rearspeaker werden viel zu selten einbezogen. Der Schusswaffengebrauch läuft fast komplett über den Center. Immerhin gibt es bei den Schießereien ein paar räumliche Hintergrundgeräusche wie Krankenwagensirenen oder Autohupen; das war's aber auch schon.
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Menüs
Die voll animierten Konzeptmenüs kommen ausgesprochen stylish rüber. Der saucoole Score des Films verteilt sich jeweils mit verschiedenen Songs auf die einzelnen Untermenüs, die fast durchgängig animiert sind. Minimalistische Printbilder im Collage-Stil dominieren das Menü-Layout, während sich Einzelbilder der „Reservoir Dogs“ zu fragmentarischen Bewegungen zusammensetzen. Die Auswahloptionen sind absolut vorbildlich geordnet, so dass man sich direkt heimisch fühlt. Das groovt dermaßen, dass nur eine Note in Frage kommt:
Extras
Die 2DVD Special Edition kommt in einem sehr coolen Digipak mit Schwarzweiß-Look und einigen roten Sequenzen. Anbei liegen vier Postkarten.
Mit Bonusmaterial wurde nicht gegeizt. Auf dem Cover steht der Hinweis „inkl. 200 Minuten Bonusmaterial mit deutschen Untertiteln“. Klingt doch nach voller Punktzahl, oder?
Disc 1
Los geht's mit den komplett deutsch untertitelten Audiokommentaren. Im ersten plaudern Quentin Tarantino, Lawrence Bender und Cast & Crew aus dem Nähkästchen. Ansonsten kann man sich Audiokommentare der Filmkritiker Amy Taubin (Film Comment), Peter Travis (Rolling Stone) und Emanuel Levy (Cinema of Outsiders) anhören, wobei jeder der Kritiker nur bestimmte Passagen kommentiert. Die Kritikerkommentare sind entweder einzeln oder gemeinsam anwählbar.
Es folgt eine Einleitung von Quentin Tarantino (9:17 Min.), hübsch anzusehen mit seinen langen Haaren und darüber sprechend, worum es im Film geht, warum er einen Gangsterfilm machen wollte, wie er Harvey Keitel an Bord bekam (dabei stellt er übrigens seine Imitationsfähigkeiten unter Beweis) und nach welchen Kriterien die restlichen Spieler bzw. die Musik ausgewählt wurden. Abgesehen vom Schlußwort, in dem Tarantino uns viel Spaß beim Ansehen wünscht, deutet allerdings nicht sehr viel auf eine Einleitung hin; vielmehr ist das schon ein normales Interview zum Film.
Weiter geht's mit den geschnittenen Szenen. Derer sind fünf Stück an Bord: „Recherche“ (4:32 Min.), „Kein Schutz“ (2:51 Min.), „Mein Job“ (2:25 Min.), „Das Ohr #1“ (0:48 Min.) und „Das Ohr #2“ (1:11 Min.). Optional auch am Stück anwählbar.
In den „Probeaufnahmen“ (11:38 Min.) kann man mit ansehen, wie die Hauptdarsteller ihre Rollentexte gegenlesen, wobei auch Tarantino selbst außerhalb seiner Rolle als Mr. Brown zum Zuge kommt.
Die auch im Film vorkommende „K-Billy Radio Show“ versorgt den geneigten Hörer mit drei etwas psychedelischen Audiotracks, die zusammen eine Lauflänge von 27:58 Min. aufweisen. Ansonsten schließt das Bonusmaterial der ersten Disc mit den Trailern zu „Reservoir Dogs“ (1:28 Min; Englisch), „Pulp Fiction“ (2:07 Min; Deutsch), „Jackie Brown“ (1:45 Min; Deutsch) und „Kill Bill“ (1:43 Min; Deutsch) ab.
Disc 2
In ebenso stylishe Menüs verpackt wie auf der ersten Disc, verteilt sich das Gros der Specials auf der zweiten Scheibe. Sechs Buttons begrüßen uns auf der Hauptseite.
Unter „10 Jahre später“ finden wir sechs Interviews, die wahlweise einzeln oder am Stück abgespielt werden können. Man hat sich deutlich bemüht, jedes Interview mit einem individuellen Gerüst zu umrahmen; die Intervieworte sind deswegen nie gleich und der Vorspann ist individuell auf jede interviewte Person abgestimmt.
Quentin Tarantino (14:45 Min.) sitzt in einem Rosengarten und begrüßt uns so, wie wir ihn kennen: wild gestikulierend, wirr, spontan aus dem Bauch heraus redend und ein bisschen wahnsinnig. Untermalt von märchenartigen Texteinblendungen mit Himmelshintergrund und altertümlicher Musik gibt Tarantino wertvolle Infos preis über die Voraussetzungen, den Film zu machen, wobei er sich vor allem auf Harvey Keitel und Lawrence Tierney bezieht. Schließlich spricht er über die Art, wie er die Dialoge schreibt und die Szenarien entwickelt sowie über den Komödiencharakter seiner Filme.
Lawrence Bender (6:07 Min.) sitzt im Produktionsstudio und fängt sogleich an, von dessen Ursprüngen mit „Dog Eat Dog“ zu reden, genauso wie über sein freundschaftliches Verhältnis zu Tarantino. Stückweise wird das Interview gewürzt mit Filmausschnitten, wo man Bender in seiner Minirolle als einer der verfolgenden Cops mit einem digitalen Pfeil markiert.
Michael Madsen (11:16 Min.) sitzt in seinem Wohnzimmer, stellt uns seine Kinder und Hunde vor und spricht dann über sein Verhältnis zu seiner Figur „Mr. Blonde“, bevor er sich Gedanken über das Älterwerden macht.
Tim Roth (9:06 Min.) treffen wir in einer Poolanlage, wo er uns über seine Schauspielmethoden aufklärt und betont, wie sehr er Vorsprechen hasst – und tatsächlich hat er seine Rolle in „Reservoir Dogs“ eher durch ein persönliches Gespräch mit dem Regisseur bekommen anstatt bei einem Vorsprechen.
Das kunstvoll aufgezogene Interview mit Chris Penn (6:52 Min.) will uns weismachen, dass es im schön ausgestatteten Laderaum eines fahrenden Trucks stattfindet. Der etwas aufgedunsen wirkende Penn spricht über verschiedene Erlebnisse bei der Produktion und schließt mit dem netten Satz „Gettin' paid is nice“.
Kirk Baltz zuletzt (6:48 Min.) wird passend zu seiner Rolle als gefolterter Cop in einer verlassenen Lagerhalle befragt und lässt sich vor allem darüber aus, wie es ist, im Kofferraum eines fahrenden Autos zu liegen.
Punkt 2, „Die Klasse von '92“, spielt an auf das Sundance Filmfestival und schwelgt in einem Interviewzusammenschnitt (8:04 Min.) in Erinnerungen an jenes Ereignis, in dem sich „Reservoir Dogs“ mit „Poison Ivy“ einen heißen Tanz lieferte. Zusätzlich gibt es mit Alex Rockwell (3:24 Min.), Chris Münch (4:06 Min.), Katt Shae (3:56 Min.), Tom Kalin (4:23 Min.) und Quentin Tarantino (5:10 Min.) noch die Komplettversionen der im Zusammenschnitt verwendeten Interviews, die auch alle komplett angesehen werden können.
Der dritte Punkt „Das Netz des Film Noir“ ist genauso aufgebaut: Es gibt wiederum einen Interviewzusammenschnitt (10:37 Min.) und einige der Interviews in kompletter Form (Mike Halges 1:32 Min; Robert Polito 1:20 Min; John Boorman 2:54 Min.; Donald Westlake 0:55 Min; Stephen Freavs 1:40 Min.). Es geht zunächst ohne direkte Bezüge zu „Reservoir Dogs“ um die Geschichte des Film Noir, welche beginnend bei den Autoren Hammond und Chandler komplett aufgerollt wird und die Einflüsse auf den Film Noir der Neunziger zurückverfolgt werden, wobei man sich auf jene Aspekte konzentriert, die schließlich auch „Reservoir Dogs“ zum Erfolg verhalfen, nämlich die Konzentration auf die Charaktere und die narrative Struktur. Im Endeffekt sei der Film Noir das beste Genre, um die Kultur zu kritisieren.
Der vierte Punkt beherbergt unter dem Sammelbegriff „Einflüsse & Anerkennung“ die meisten Unterpunkte.
„Die Widmungen“(10:42 Min.) ist ein Interview mit Quentin Tarantino, in dem er anhand der Personen Timothy Carey, Andre DeToth, Chow Yun-Fat, Jean Luc Godard, Jean Pierre Melville, Lionel White, John Woo und Lawrence Tierney erklärt, warum er sie mit einer Widmung geehrt hat. Erstaunlicherweise beginnt die Erklärung bei vielen Personen mit „I'm not really a big fan of him, but...“
In „Nachruf: Lawrence Tierney“ (14:46 Min.) sprechen Chris Gore, Quentin Tarantino, Michael Madsen, Tim Roth, Chris Penn und Eddie Bunker über die angenehmen und weniger angenehmen Seiten des 1919 geborenen und 2002 verstorbenen Schauspielers.
Im Kontrast dazu gibt sich die „Stadtrundfahrt mit Eddie Bunker“ (8:03 Min.) sehr witzig. Unter dem Titel „The Good, the bad & the Bunker“ fahren wir zusammen mit Bunker und Interviewpartnern durch seine Heimatstadt und hören uns Anekdoten an wie die, dass Bunker sich in seinen jungen Jahren nackt vor ein Fenster an der Autobahn gestellt hat und dabei dachte „Now I fuck whole Hollywood“.
In „Tribute“ zuletzt geht es um vier Personen mit besonderer Bedeutung für die Filmschaffenden von „Reservoir Dogs“: Monte Hellman (4:48 Min.), Jack Hill (5:52 Min.), Pam Grier (2:25 Min.) und Roger Corman (5:03) sprechen über sich selbst und werden von anderen besprochen.
Unter „Featurettes“, dem fünften Menüpunkt, geht es dann erstmals Richtung Unterhaltung und vor allem weg von den Interviews. „Der richtige Drehort“ (4:20 Min.) beleuchtet die Suche nach dreien im Film vorkommenden Drehorten: Die Halle, die ursprünglich eine Leichenhalle war, das Restaurant, in dem der Maulwurf seinen Informanten trifft und die Bar „The Lodge“, die sich schließlich als Schwulenbar herausstellt.
„Reservoir Dogs Style“ ist eine 21-sekündige Szenenmontage über Kleidung, Stil und stilvolles Töten – kaum ernstzunehmen, aber so cool wie der Film.
„Reservoir Dolls“ (2:16 Min.) ist ein Knaller: Die berühmte Tanzszene des Mr. Blonde, die zeitgleich auch oben links im Splitscreen eingeblendet wird, erlebt eine Neuaufführung durch Actionfiguren – wahrlich sehenswert.
In „Small Dogs“ (4:06 Min.) kommen dann auch die Macher dieser Actionfiguren zu Wort und klären uns einerseits über die Produktion der Figuren auf, andererseits über die Motivation, sie herzustellen.
Das Bonuspaket schließt mit „Cast & Crew“ ab, wo folgenden Charakteren jeweils drei Texttafeln mit Bio- und Filmografien gewidmet wurden: White (Harvey Keitel), Orange (Tim Roth), Blonde (Michael Madsen), Pink (Steve Buscemi), Brown (Quentin Tarantino), Blue (Eddie Bunker), Joe (Lawrence Tierney), Eddie (Chris Penn), Marvin (Kirk Baltz) und Cop (Lawrence Bender).
Tja... was Quantität und Qualität betrifft, sind eigentlich ganz ohne Frage 5 Punkte drin. 200 Minuten Bonusmaterial muss man erst einmal zusammenbekommen, und inhaltlich wird wirklich alles beleuchtet, von den Ursprüngen des Film Noir über die Pre- zur Postproduktion bis hin zur Herstellung der Actionfiguren ist wirklich alles dabei. Untertitelt ist das Ganze auch noch, und über die liebevolle Präsentation kann man sich auch nicht beschweren. Woran es aber hapert, das ist der Unterhaltungswert. Das Bonusmaterial besteht fast komplett aus Interviews, also aus redenden Gesichtern; das ist beileibe nicht genug Abwechslung. Natürlich sind die Inhalte interessant, aber etwas dokumentarische Aufbereitung hätte sicherlich nicht geschadet. So gibt es von mir leider einen Punkt Abzug:
Fazit
Die Zeit für diese DVD war mehr als reif. Dem regen eBay-Handel mit der zwar ungeschnittenen, aber ansonsten überaus schwachen Erstauflage, der mitunter dreistellige Beträge einbrachte, wurde ein Riegel vorgeschoben, und ein Klassiker der frühen Neunziger erfuhr endlich eine würdige Umsetzung. Das mehr als sehenswerte Gangster-Spektakel glänzt auf dem Silberling mit ganz neuem Charme, der fast einem zweiten Frühling gleichkommt. Speziell die gute Bildqualität kann überzeugen, während beim Sound noch ein Tick mehr dringewesen wäre. Die Verpackung ist spitzenklasse und das Bonusmaterial reichlich und qualitativ hochwertig. Wer Filme sammelt, der muss das Ding ganz einfach in Besitz haben.
Testequipment
TV-Gerät: Tevion 4:3
DVD-Player: Pioneer XV-DV313 5.1 Komplettsystem