Die atmosphärische 2006er Independent-Produktion „First Snow“ stellt eine interessante Kombination aus Charakter-Drama und Neo-Noir-Thriller dar, welche sich mit Fragen bzw Themenbereichen wie der Bedeutung von Schicksal, dem Realisieren der eigenen Sterblichkeit sowie der Unausweichlichkeit des Todes beschäftigt. Das Drehbuch lieferte das kreative Gespann Hawk Ostby & Mark Fergus („Children of Men“/„Iron Man“), letzterer führte bei dem Projekt gar erstmals selbst Regie – und für die Hauptrolle konnte man den talentierten wie vielseitigen Briten Guy Pearce („the Proposition“) gewinnen, was sich unterm Strich als die wohl größte Stärke des Films entpuppt(e)…
Jimmy Starks (Pearce) ist ein klassischer Handelsreisender: Ein glatter, selbstsicherer, bedingt überheblicher sowie mit einem unverkennbaren Verkaufstalent gesegneter Typ, der (sprichwörtlich) einem Eskimo einen Kühlschrank schmackhaft machen könnte. Da ihm sein derzeitiger Job im Raum Albuquerque nicht unbedingt die persönliche Erfüllung offeriert, strebt er in Zukunft das Angehen eines eigenen Geschäfts an – nämlich das Aufziehen eines potentiell sehr lukrativen Handels mit älteren (vintage) „Wurlitzer“-Jukeboxes, ihres Zeichens nicht nur in den USA echte Liebhaberstücke. Aktuell auf einem seiner Business-Trips unterwegs, erleidet sein Wagen in einer abgelegenen ländlichen Kleinstadt eine Panne, worauf er sich dazu gezwungen sieht, einige Stunden in dem kargen Nest totzuschlagen, während der örtliche Mechaniker die betreffende Reparatur erledigt. Als er im Zuge dessen auf einen Mann namens Vacaro (J.K. Simmons) aufmerksam wird, der anpreist, am Rande der Landstraße den Leuten in seinem Trailer die Zukunft vorauszusagen, entscheidet er sich aus der Laune und Situation heraus spontan mal dafür, den Preis von 10 Dollar zu investieren und sich auf den „Spaß“ einzulassen: Vacaro berichtet ihm (u.a.) davon, dass Jimmy´s Lieblings-Basketballteam das nächste Spiel doch unerwartet gewinnen sowie dass die Finanzierung seines Vorhabens dank eines ungeahnten Geldsegens aus Dallas gesichert sein würde – beendet die Sitzung dann allerdings urplötzlich, als ihn eine Art Anfall überkommt, nach welchem er sie einfach nicht mehr weiterführen kann (oder will?)…
Da Jimmy keine vernünftige Erklärung für dieses Verhalten erhält, dafür aber sein Geld zurück, lacht er die Sache im Prinzip als „merkwürdig-lustiges Erlebnis“ ab und wendet sich wieder seinem Alltag zu – bis die ersten Wahrsagungen auf einmal Realität werden und er (spätestens infolge eines Arzttermins) doch auf einmal über den möglichen Grund des Session-Abbruchs nachzudenken beginnt. Um sich Klarheit zu verschaffen, sucht er Vacaro ein zweites Mal auf und drängt ihn schließlich dazu, das preiszugeben, was ihn (eventuell) so verstört hat. Die Antwort ist alles andere als beruhigend: Jimmy erfährt, dass sein Leben angeblich demnächst zu einem Ende kommen wird. Auf welche Weise, das ist nicht klar – aber dass er seinem Schicksal nicht entfliehen könne sowie dass er bis zum Einsetzen des ersten Schnees der Saison „sicher“ sei. Natürlich akzeptiert er diese Aussage nicht – eine Einstellung, die sein Freund und Kollege Ed (William Fichtner) zusätzlich unterstützt, der solche Dinge für puren Unsinn und die bisherigen „Zeichen“ für nichts weiter als Zufälle hält. Wenig später findet Jimmy jedoch eine Drohbotschaft in der Post und merkwürdige Anrufe gehen bei ihm ein – unsicher, ob diese von einem vermeintlich verbitterten Ex-Kollegen (Rick Gonzalez als Andy) oder seinem gerade aus dem Knast entlassenen ehemaligen Kumpel Vincent (Shea Whigham) stammen, fängt langsam Paranoia in ihm an, die Oberhand zu gewinnen, was fortan dazu führt, dass er sich zunehmend von seiner liebenvollen Freundin Dierdre (Pier Perabo) entfernt bzw entfremdet und sich zugleich immer stärker in einer regelrechten Obsession verliert, das „scheinbar Unvermeidbare“ doch noch irgendwie abzuwenden…
„First Snow“ verlässt sich in erster Linie auf seinen in nahezu jeder Szene zu sehenden Hauptdarsteller – wie gut, dass Guy Pearce ein derart hochklassiger Vertreter seiner Zunft ist. In „the Adventures of Priscilla, Queen of the Desert“ (1994) erregte er erstmals breitere Aufmerksamkeit, bevor ihm sein Part als gradliniger Cop in Curtis Hanson´s „L.A. Confidential“ 1997 den Durchbruch bescherte. Seine (zweifellos) prägnanteste Performance lieferte er allerdings im Indie-Kult-Hit „Memento“ ab – fernab von Hollywoods Mainstream-Produktionen, in denen er sich sowieso eher selten blicken lässt. In jenem verschachtelten Thriller, den Christopher Nolan im Jahre 2000 inszenierte, resultierten die Verstrickungen von Guy´s Figur aus der Gegebenheit, dass beinahe alle Kenntnisse der eigenen Vergangenheit fehlten – hier bildet das Erfahren zu vieler Informationen über die persönliche Zukunft den Ausgangspunkt einer folgenschweren Ereigniskette. Über deren Beschaffenheit kann man sich gewiss lebhaft streiten, zum Beispiel ob ihre Entfaltung in der präsentierten Form nicht ohnehin so vorherbestimmt war – oder ob die Kenntnis des finalen Glieds der Kette erst dazu geführt hat, dass dieser dorthin verlaufende Pfad tatsächlich (unbewusst) eingeschlagen wurde. Eingangs lernen wir Jimmy als einen hervorragenden Verkäufer kennen, der regelmäßig aus der Situation heraus irgendwelche Lügen (nahtlos) in seine Ausführungen einflechtet, um auf diese Weise ans anvisierte Ziel zu kommen. Das Verhältnis (selbst) zu seinen engsten Mitmenschen, also sowohl zu Dierdre als auch Ed, wirkt nie ganz so innig, wie es eigentlich jeweils sein sollte – eine gewisse Distanz zu anderen ist stets vorhanden. Nach der Begegnung mit Vacaro hält er nach potentiellen Dingen und Personen Ausschau, die wohlmöglich mit der „Prophezeiung“ in Verbindung stehen könnten: Andy wurde wegen eines geschäftlichen Vorgehens gefeuert, das er ihm beigebracht hatte, allgemein erkennt er auf einmal, dass es ja viele Wege gibt, unerwartet aus dem Leben zu scheiden, und er selbst erhält gar die ärztliche Diagnose eines angeborenen Herzfehlers, der aber angeblich „noch nicht besorgniserregend“ sei. Als er eines Tages zudem per Zufall erfährt, dass sein alter Kumpel Vince aus dem Gefängnis (auf Bewährung) freigekommen ist, sieht er darin die wahrscheinlichste Ursache des Vorausgesagten – es ist nämlich so, dass er ihn damals bei den Behörden verpfiffen hat, um zumindest seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das Ironische ist allerdings, dass seine durch Verärgerung, Schuldgefühle und Angst geleiteten Handlungen in dieser Hinsicht letztlich erst dazu führen, dass sich die Lage nun verstärkend zuspitzt: Nachforschungen, u.a. daheim bei Vincent´s Mutter (Jackie Burroughs) sowie im Zuge eines Einbruchs in dessen Bleibe, resultieren in einem neuen Aufflammen der Wut, damals von Jimmy hintergangen worden zu sein – und an einer Stelle muss jener schließlich entsetzt erkennen, dass er diesen fatalen Stein unter Umständen selbst ins Rollen gebracht hat…
Während das Schicksal allgemein als eine Art „höhere Macht“ angesehen wird, welche die menschliche Existenz ohne Zutun leitet und beeinflusst, sind viele darüber hinaus aber ebenso der Meinung, dass es trotzdem in gewissen Maßen veränderbar ist, also dass man es durchaus in die eigene Hand nehmen und demzufolge lenken kann. In diesem Zusammenhang wird übrigens innerhalb des Verlaufs, in einem nicht ganz ernst gemeinten Kontext eingebettet, eine spezielle Option angesprochen, bloß nicht weiter verfolgt (Stichwort: Fernreise). Davon ausgehend, dass meist diverse Schicksale miteinander verwoben sind, gibt sich Jimmy gegen Ende (ehrlich gemeinte) Mühe, eine Aussöhnung mit all jenen in seinem direkten Umfeld herbeizuführen, denen er zuvor irgendwelches Leid zugefügt hat, um so das sich nähernde finale Ereignis vielleicht doch noch aufschieben bzw abwenden zu können. Bis dato durchläuft er verschiedene Ausprägungen der im Angesicht des Todes zutage tretenden Verhaltensstufen (Wut, Leugnung, Resignation etc) – und genau dieser Weg ist das eigentliche Ziel des Films, nicht der Ausgang. Wie reagiert er auf dieses einschneidende Wissen? Handelt es sich dabei um einen reinen Fluch – oder kann man der Situation gar positive Aspekte abgewinnen? Selbstzweifel treten hervor, vermengen sich mit Furcht und nähren gemeinsam mit der unvermeidlichen Verzweiflung eine stetig anwachsende Paranoia, die irgendwann sein Denken und Tun völlig beherrscht. Pearce vermittelt diesen einnehmenden wie verzehrenden Zustand sehr gut – nur bietet ihm das Skript (partiell) leider keinen genügenden Umfang qualitativ hochwertigen Materials, weshalb das ersichtliche Potential seiner Leistung nicht umfassend ausgeschöpft wird. Primär resultiert das aus der Tatsache, dass der Protagonist „Jimmy Starks“ nicht reichhaltig genug ausgearbeitet wurde – der Zuschauer vermag keine intensivere Verbindung auf emotionaler Ebene zu ihm herzustellen. Er ist einem zwar keinesfalls egal, nur verhindert so manch eine oberflächliche Facette der vorliegenden Charakterzeichnung ein durch Verbundenheit forciertes Mitfiebern. Seine mentale Entwicklung, im Einklang mit den untrennbar damit verknüpften psychologischen Komponenten, fand ich persönlich viel interessanter als einige Subplot-Ausgestaltungen, die zu sehr von dem substanziellen Kern des Themas ablenken…
Die von Fergus und Ostby gewählte Annäherung ist absolut in Ordnung, reizvoll und unzweifelhaft unterhaltsam – allerdings hätte ich alles in allem eine etwas kopflastigere Ausrichtung bevorzugt, um so die an sich gute Story, welche die Genres Drama und Thriller gekonnt miteinander verflechtet, auf die nächstbessere Stufe zu heben. Das erste Drittel ist schlichtweg hervorragend, und augenblicklich wird man sich der evident vorhandenen Wirkungsfähigkeit der Geschichte bewusst, bevor sich das Mittelstück etwas zu sehr auf Vincent´s Involvierung konzentriert, statt den ungleich anziehenderen seelenkundlichen und moralischen Fragen nachzugehen, welche zuvor in den Raum gestellt wurden. Auf diese Weise keimt ein eher konventioneller geartetes Krimi-Feeling auf, das den Aufmerksamkeitsfokus zu gewichtig auf sich zieht, ohne eine konkrete inhaltliche Steigerung zu erzielen, und zugleich unglücklich von der anschwellenden Bedrohung des sich mit jedem Tag nähernden Moments des ersten Schnees ablenkt. Genauso schade empfand ich es, dass die (nicht unbedingt gehaltvoll konzipierten) Nebenfiguren im zunehmenden Verlauf noch stärker als ohnehin schon an den Rand des Geschehens gedrängt werden – aus der exzellenten Besetzung hätte man deutlich mehr herausholen können. J.K. Simmons, bekannt u.a. aus TV´s „the Closer“ oder Raimi´s „Spider-Man“-Franchise, kommt aus jenen Reihen eindeutig am besten weg – seine Szenen werden nie überreizt, und er verleiht dem ehrlichen wie ruhigen Vacaro eine optimal charismatische Ausstrahlung, weit abseits der gängigen Wahrsager-Klischees. Jackie Burroughs´ (TV´s „Road to Avonlea”) Cameo ist herzlich und William Fichtner (TV´s „Prison Break“/„Armageddon“) reißt seine eingeschränkte Screen-Time genüsslich an sich – im Grunde rein in Gestalt von locker-freundlichen Gesprächen mit Jimmy. Ähnlich verschenkt hat man die unheimlich süße Piper Perabo („Coyote Ugly“/„the Cave“), die gut agiert, aber selbst mit ihrem markanten Charme nicht gegen die einengenden Grenzen ihrer Rolle ankommt, welche sie darauf reduzieren, innerhalb des entsprechenden Nebenhandlungsstrangs die ihre Beziehung gern weiter festigen wollende Freundin zu spielen sowie später angesichts der Entwicklung des Verhaltens ihres Partners die standesgemäße Besorgnis zu äußern. Bei Shea Whigham („Wristcutters”/„Lords of Dogtown”) gefiel mir die gewollte Diskrepanz zwischen dem äußerst beunruhigenden Klang seiner Anrufe und dem letztendlichen Auftreten des Ex-Cons im dritten Akt. Trotz ihrer tendenziell eindimensionalen Parts geben die Schauspieler durch die Bank weg gefühlte einhundert Prozent, wodurch diverse Verfehlungen und ungenutzte Chancen in diesem Bereich zumindest zum Teil kaschiert werden.
In der Position des Regisseurs beweist Mark Fergus ein nicht unerhebliches Talent – jedoch sieht man seinem Werk in mancherlei Hinsicht auch an, dass er noch nicht über ein ideales Maß an Erfahrung verfügt. Einige stilistische Entscheidungen sind nett, muten allerdings im Kontext nicht sonderlich inspiriert an – hauptsächlich beziehe ich mich da auf die Einbindung einiger Flashbacks, Vorwegnahmen sowie (insbesondere) einer „es war bloß nur ein Traum“-Einstellung. Der Schluss an sich dürfte die Geister scheiden: Er ist unkonventionell, im Ansatz schön ironisch und stützt sich weitestgehend auf einen Off-Kommentar im leise nebenbei laufenden Radio – nur mangelt es ihm an Nachhaltigkeit, so als hätten sich die Verantwortlichen irgendwie aus der Sache herauswinden wollen (obgleich auf eine relativ kreative Weise). Das allgemeine Tempo ist insgesamt recht ruhig und angenehm unüberhastet – dennoch entsteht im Kernstück der Eindruck kleinerer Längen. Eine Straffung um eine Viertelstunde (oder so) hätte dem Fluss gut getan, zumal gelegentlich zu viele unnütze Details ins Bild gerückt werden, wie als Jimmy Vincent´s Mutter besucht und die Kamera mehrfach Einrichtungsgegenstände fixiert, die weder zur Story noch aktuell vorherrschenden Stimmung etwas beitragen. Leicht enttäuscht war ich zudem, dass beim Sichten nie echte Hochspannung aufkam. Auf der anderen Seite kann man sich aber nichtsdestotrotz an etlichen wirklich gelungenen Sequenzen erfreuen – wie an einer mögliche Todesarten im Alltag (unaufdringlich) veranschaulichenden Montage, dem Höhepunkt von Jimmy´s Paranoiaphase in einem Hotelzimmer oder als er während des ersten Schneefalls aus dem Gebäude hinaus in diesen tritt. Cinematographer Eric Alan Edwards („Cop Land”) lieferte, unterstützt von Cliff Martinez´s („Traffic”) melodischen Score, die zur unübersehbaren Neo-Noir-Prägung passenden Images: Weite, karge Landschaften, verlassene Highways – in den isolierten Gegenden New Mexikos kann man beinahe alles bereits aus der Entfernung erkennen, was dienlich mit dem Inhalt harmoniert und eine trostlos-kühle, selbst bei Sonnenschein unheimlich düster wirkende Atmosphäre heraufbeschwört. Strahlendweißer Schnee, der sonst eher für Reinheit steht, markiert hier den Vorboten des Todes. Unwissenheit ist oftmals ein Segen – soll heißen: Grundsätzlich sollte man sich mehr aufs Leben als aufs Sterben konzentrieren…
Fazit: „First Snow“ ist ein stimmungsvoller, unterhaltsamer, thematisch anregender sowie erstklassig gespielter dramatischer Thriller, der allerdings aufgrund einiger Drehbuchschwächen leider nicht an die im Vorfeld eigentlich unweigerlich heraufbeschworenen hohen Erwartungen heranreicht – ungeachtet dessen können Fans von abseits des Popcorn-Kinos aus Hollywood zu verortenden Indies jedoch getrost mal einen (nach Möglichkeit unvoreingenommenen) Blick riskieren…