Die Torremolinos Homevideos
Die Torremolinos Homevideos zeigen auf, dass es vom privaten Heimvideo hin zum großen Kinofilm kein allzu großer Schritt sein muss. Der Film entpuppt sich als Quasi Making Of eines angeblich megaerfolgreichen Pornos, der allerdings bisher nirgends aufgefunden werden konnte …
Originaltitel: Torremolinos 73
Herstellungsland: Dänemark / Spanien
Erscheinungsjahr: 2003
Regie: Pablo Berger
Darsteller: Javier Cámara, Candela Peña, Juan Diego, Malena Alterio, Fernando Tejero, Mads Mikkelsen u.a.
Alfredo Lopez arbeitet im Spanien der 70er Jahre als Vertreter von Enzyklopädien. Leider läuft das Geschäft inzwischen suboptimal. Die Beilagen normaler Tageszeitungen zu Themen wie dem spanischen Bürgerkrieg zerstören dem Verlag von Alfredos Arbeitgebern den Markt. Das macht sich auch für Alfredo direkt bemerkbar, der mit seiner Ehefrau in ärmlichsten Verhältnissen lebt. Da lädt ihn sein Chef zu einem Kongress des Verlages ein. Alfredo, der eigentlich befürchtet hatte, gefeuert zu werden, fasst neuen Mut und nimmt seine unlängst gekündigte Frau Carmen gleich mit zu dem Kongress. Hier erfahren sie von ihrem Chef, wie er den maroden Montoya Verlag retten will. Mit privaten Sexvideos, die man in Skandinavien verkaufen will. Hier hat nämlich die sexuelle Revolution bereits stattgefunden und die Skandinavier sind heiß auf "wissenschaftliche Aufklärungsfilme" aus dem Ausland. Dementsprechend werden die Anstrengungen des Montoya Verlages nämlich auch von dem skandinavischen Institut für Erotikkunde unterstützt!
Zunächst reagieren Alfredo und Carmen genau wie Alfredos Vertreterkollegen eher pikiert auf das unmoralische Angebot, doch die Aussicht auf 50 000 Peseten pro Film lässt zumindest Alfredo und Carmen schwach werden. Man stimmt dem Projekt zu, auch weil eine dickere Geldbörse vielleicht Carmens Kinderwunsch zugute kommt. Denn immerhin war Alfredo vor allem aus finanziellen Gründen immer gegen ein gemeinsames Kind. Carmen bekommt nun von einem dänischen Pärchen beigebracht, was es heißt, den Ehemann einmal so richtig heiß zu machen, während dieser dank einer Einführungsstunde in die Arbeit mit einer Super 8 Kamera seine Liebe zum Film entdeckt! Unter diesen Voraussetzungen ist das erste erotische Heimvideo von Alfredo und Carmen bald im Kasten und viele weitere folgen.
Die Sexvideos der Beiden werden zu gigantischen Kassenschlagern in Dänemark, doch Carmens Kinderwunsch bleibt wegen der Unfruchtbarkeit ihres Mannes genauso unerfüllt wie Alfredos Wunsch nach dem Drehen anspruchsvollerer Filme. Als Carmen in ganz Skandinavien zum Sexstar aufgestiegen ist, stimmen die Montoyaverlagschefs endlich einem Drehbuch von Alfredo zu, immer in der Hoffnung, den verquasten Kunstquatsch, den er ablieferte, mit heißen Sexszenen von Carmen aufzupeppen. Und auch Carmen erhofft sich von dem Dreh mit einem hoffentlich fruchtbaren Darsteller mehr als nur eine gute Zusammenarbeit … Torremolinos 73 geht in Produktion …
"Wenn du mal nicht weiter weißt, kopier einfach Ingmar Bergman."
Dieser Satz mutiert im Laufe dieser Ode an den Sexfilm einer längst vergangenen Epoche mehr und mehr zum Credo des wirklich herzzerreißend sympathischen Hauptcharakters Alfredo. Diesen Biedermann, der eigentlich gar nicht weiß, dass er nichts anderes als pornografische Filme abliefert und damit einen entstehenden Massenmarkt bedient, muss man dank seiner sehr naiven, manchmal recht tumben Art einfach in sein Herz schließen. Grandios verkörpert von dem spanischen Darsteller Javier Cámara entsteht vor dem Auge des Zuschauers eine wirklich greifbare, beständig zwischen Komik und Tragik hin und herlavierende Figur, der man gerne durch den Film folgt.
Gleiches gilt für die Figur der Carmen, die sich in Torremolinos vom grauen und verschüchterten Mäuschen (grandios die Szene, in der sie während ihres ersten Stripteases mehr darauf achtet, dass sie die abgelegten Sachen tadellos zusammenlegt, anstelle irgendeine Form von Erotik zu transportieren) zur begehrenswerten Heldin „unzüchtiger“ Filme mausert, bei der man durchaus nachvollziehen kann, wieso ihr die Skandinavier im Film allesamt verfallen sind. Mehr und mehr mutiert dabei die Figur der Carmen und damit ihre Darstellerin Candela Peña zum eigentlichen Highlight des Filmes. Verzaubert sie den Zuschauer doch mühelos mit ihren großen braunen, immer ein wenig traurig wirkenden Augen. Und wie ihr Kollege Javier Cámara meistert Candela Peña den schmalen Grat zwischen Komik und Tragik hervorragend und das ist auch wichtig.
Denn Torremolinos beginnt ganz anders, als er endet. Zunächst steigt er als leise Komödie ein und transportiert einen gar wunderbaren, trockenen, teilweise auch recht schwarzen Humor, der es leicht macht in den Film und seine Figuren hineinzufinden. Hier hat Torremolinos Homevideos dann auch seinen echten Höhepunkt, denn insbesondere die Heimvideos der beiden Hauptfiguren sind amüsante Verballhornungen gängigster Sexfilmklischees. Da kommt die Krankenschwester auf Doktorspielchen vorbei, muss der Klempner ein Rohr verlegen und wird sich einmal quer über alle Haushaltsgeräte geliebt. In diesen Momenten beweist vor allem die Hauptdarstellerin Candela Peña viel Mut zur Nacktheit, während Javier Cámara mit erfrischender Uneitelkeit punktet. Hier macht Torremolinos einfach nur riesigen Spaß.
Doch ungefähr nach 45 Minuten, wenn die absurde Ausgangssituation um Pornos drehende Allerweltsmenschen installiert ist, mischen sich teils recht düstere Untertöne in den Film. Der verzweifelte Kinderwunsch Carmens führt fast zum Zerbrechen der liebenswerten kleinen Familie, denn Alfredo bemerkt gar nicht, dass es seiner Frau immer schlechter geht und er eigentlich daran schuld ist. Auch der Moment, wenn Carmen von einem anhänglichen skandinavischen Fan verfolgt wird, wird von Alfredo weitgehend verkannt und nicht richtig eingeschätzt. Wäre da nicht die Chance auf den gemeinsamen „anderen“ Film, man wüsste nicht, ob Alfredo und Carmen das Ende des Filmes gemeinsam erleben werden. Ab diesem Moment findet dann der Film auch wieder zurück in leichtere Gefilde, denn wenn Ingmar Bergman Fan Alfredo einen eigenen Film auf 35 mm und mit echten Schauspielern dreht, dann darf man hier nicht viel weniger erwarten als einen „Das siebte Siegel“ mit Alfredo Touch, was den fortan bebilderten Dreharbeiten einen vollkommen absurden Anstrich verleiht und für Filmfans ein kleines El Dorado an Anspielungen auf Bergmans Oeuvre liefert (in "Das siebente Siegel" des weltweit hochgeschätzten Regisseurs Ingmar Bergman (manche sehen in ihm den besten Regisseur der Welt!) geht es um einen Ritter, der gemeinsam mit dem Tod ein Schachspiel um sein Leben bestreitet). Und spätestens, wenn auf einmal der Tod hinter Carmen in der Achterbahn hockt, hält sich der Filmfan nur noch den Bauch vor Lachen.
In dieser Episode findet dann auch der bekannteste Name von Torremolinos Homevideos in den Film. Es handelt sich um den beliebten dänischen Darsteller Mads Mikkelsen, der als Magnus zum personifizierten Eifersuchtsziel Alfredos mutiert. Immerhin durfte bisher nur Alfredo seiner Carmen vor der Kamera und allgemein nahe sein. Doch nun soll dies ein großgewachsener, blonder Däne übernehmen, der obendrein hundertprozentig bessere „Schwimmer“ in der „Hinterhand“ hat als Alfredo! Dass Mikkelsen, der unlängst als Bond Gegenspieler in Casino Royale dem Agenten mit der Lizenz zum Töten die Testikel malträtierte, in diesem Streifen mitspielt, kann schon als eine Art Ritterschlag gesehen werden, obendrein wenn man bedenkt, wie abseitig seine Rolle geraten ist. Immerhin spielt er in seinen Auftritten den Tod, der Carmen durch das „anspruchsvolle“ Projekt ihres Mannes verfolgen soll und dabei so herrlich überzogen chargieren darf, dass es eine wahre Freude ist.
Doch nicht nur im Bereich der Darsteller, der Figurenzeichnung und in seinem formalen Aufbau weiß Torremolinos zu gefallen, nein auch technisch ist der Film eine wahre Freude. Über weite Strecken trimmte ihn Regisseur Pablo Berger nämlich auf die Filme der damaligen Zeit. Die Farben wirken ausgeblichen, hier und da gibt es Helligkeitsschwankungen zu verzeichnen und von gelackten Großproduktionen hat die Optik seines Streifens nicht viel. Erst die schwarz-weiß Aufnahmen der Dreharbeiten von Torremolinos 73 strahlen unendlich viel Stil und Atmosphäre aus. Vorher bestimmte immer die Stimmung des Streifens die Optik. Denn zu Beginn, als es für Alfredo und Carmen noch gar nicht gut läuft, präsentiert sich der Film in unglaublich fahlen und kalten Bildern, die extrem trist und vor allem hoffnungslos daherkommen. Mit dem Aufschwung der beiden Figuren und dem Erfolg ihrer Filme wird die Farbpalette lebendiger, wärmer und stößt einen nicht mehr von dem Film fort, sondern zieht ins Geschehen hinein und lässt einen mit den Figuren verwachsen. Am Drehort von Torremolinos 73 dominieren dann wieder kalte und trostlose Farben und das, wo der Ort selber eigentlich ein echtes Feriendomizil ist (genauer: einer der damals bekanntesten und mondänsten Glamour Badeorte Spaniens/Europas!). Doch da Carmen als auch Alfredo hier wissen, dass sie nie gemeinsame Kinder haben werden und eine Adoption bei ihrem "Beruf" im prüden Spanien so gut wie unmöglich ist, schwebt über beiden eine dunkle Wolke, die sich eben auch ihren Weg in die Stilmittel bahnt und wieder ein unglaublich kaltes Bildertableau zur Folge hat. Hier leistest Regisseur Berger wirklich ganze Arbeit und nutzt die Menge an Stilmitteln wirklich ausnahmslos im Dienste seines Streifens.
Ansonsten achtete er auf eine stimmige und im Zeitkolorit gehaltene Ausstattung, die zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig erscheint und die Siebziger fernab von Schlaghosenklischees detailverliebt wieder auferstehen lässt. Alleine die grässlichen Tapeten in den Wohnungen der Protagonisten können bei empfindlichen Personen dank ihrer Muster durchaus Migräne verursachen.
Dennoch schafft es Torremolinos nicht über die gesamte Laufzeit hinweg den Zuschauer bei der Stange zu halten. Gerade im letzten Drittel schleicht sich vor allem für Zuschauer, die mit Bergmans Oeuvre nicht so vertraut sind, die eine oder andere Länge ein und auch sonst ist das Timing des Streifens nicht immer perfekt. Auch die Stimmungsumschwünge könnten den einen oder anderen Zuschauer nach dem ungemein leichtfüßigen Einstieg durchaus auf dem falschen Fuß erwischen.
Für den Rest bleibt ein Film fernab vom Mainstream, der über weite Strecken hervorragend unterhält und einen augenzwinkernden Blick auf eine lange vergangene Epoche und ihre sexuelle Neugier wirft. Ganz nebenbei werden auch die Nöte eines Regisseurs bei der Arbeit an seinen „Babys“ abgehandelt, denn freilich darf auch ein Alfredo Lopez lange nicht soviel selbst entscheiden, wie er möchte. Egal ob Komödienfan oder Dramafan, hier wird eigentlich jeder Zuschauer dank hervorragender Hauptdarsteller sehr ordentlich bedient. Im Übrigen basiert dieser Film angeblich auf einer wahren Begebenheit. Der Film Torremolinos 73, der als „Die Abenteuer und Unglücke einer geilen Witwe“ für volle dänische Kinokassen gesorgt haben soll, konnte allerdings zur Belegung dieser „Tatsache“ bisher nicht aufgetrieben werden.
Die DVD "Die Torremolinos Homevideos" präsentiert den Film in einer ansprechenden und an den Film angepassten Qualität. Die fahlen Farben, manche Helligkeitsschwankung und dergleichen mehr sind Stilmittel, die man der DVD nicht ankreiden kann. Der Sound ist genrebedingt eher verhalten. Dialoge dominieren das Geschehen und sind klar und deutlich zu verstehen. Räumlich wird nur die eine oder andere Musiknummer aufgezogen. Die Extras der DVD sind leider nicht allzu umfangreich, aber mit einem Videoclip, einem relativ kurzen Making Of, diversen Bildergalerien und Trailern zum Film bei einem Streifen dieser Größenordnung mehr als beachtenswert.
In diesem Sinne:
freeman