Crash
Originaltitel: Crash
Produktionsland: Frankreich / Großbritannien / Kanada
Erscheinungsjahr: 1996
Regie: David Cronenberg
Darsteller: James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas, Deborah Kara Unger, Rosanna Arquette, Peter MacNeill, Yolande Julian, Cheryl Swarts, Judah Katz, Nicky Guadagni, Ronn Sarosiak, Boyd Banks
Es ist hinlänglich bekannt, dass David Cronenberg mit seinem Gesamtwerk ein Leitthema verfolgt: die Mutation im weitesten Sinne, meist mit einer Selbstzerstörung am Ende des Fadens. Die Destruktivität erfolgt jedoch einzig aus dem Grunde, weil der menschliche Körper den Veränderungen auf Dauer nicht standhalten kann; sonst ginge von Cronenbergs Filmen wohl eher die These der Unendlichkeit aus als die der Zerstörung. Aber gerade um den Körper und die Konfrontation seiner “Festigkeit” mit der Veränderung geht es ja. Seine Filme sind folglich Stromschnellen, die an den Felsen des Ufers entlanggleiten, ihnen Sandkörnchen entreißen und ihre Form damit unwiderruflich verändern.
Aus dieser Funktionalität wird meistens kein Hehl gemacht. “Crash” jedoch entpuppt sich als Wolf im Schafspelz, nimmt nämlich durch sein Sujet, den Autounfall, für sich in Anspruch, bewusst auf ein Ende zusteuern zu wollen. Doch das Ultimative des Crashs, die im Titel verankerte Sterblichkeit wird den unpersönlichen, aalglatten Protagonisten nicht zuteil; sie überleben ihren Fetisch immer wieder aufs Neue, Elias Koteas’ vernarbtes Gesicht als Beweis der Metamorphose, und dass Rosanna Arquettes Beine von Stahlgerüsten ummantelt sind, beweist nur eines: “Crash” ist mehr Mutation denn je bei Cronenberg. Es wird die bis hierhin durch eine autarke Abgrenzung gesicherte Grenze von der Welt des Biologischen in die des Mechanischen überschritten. Aber mehr als dies; parallel zum aufblühenden Zweig der Biotechnologie werden Erkenntnisse derselbigen von Koteas’ Charakter als populistischer Oberflächenreiz abgetan, der die Masse von der eigentlichen Erkenntnis ablenken soll. Dies legt den Schluss nahe, dass es bei dieser “eigentlichen Erkenntnis” eher um geistige Entitäten geht.
Tatsächlich inszeniert Cronenberg nämlich leere Menschenhülsen, die auf kurze Sicht von bloßen Impulsen gelenkt werden. Die Sexualität spielt als primärer Urtrieb die Rolle als Motivator für die Leidenschaft, sich in die Gewalt von PS-starken Metallmaschinen zu begeben. Liebe dagegen spielt nicht die geringste Rolle und alleine dieser Sachverhalt beschreibt die geradezu selbstlose Leiterfunktion von “Crash” in der Komplettfilmographie, nachdem “M. Butterfly” von 1993 noch in Liebe ertrank. Selbstlos deswegen, weil “Crash” für sich gesehen ein wenig sagender Film ist und nur eingebettet in den Gesamtorganismus funktioniert - als Adersystem, das Blut in die wichtigen Organe des Körpers leitet. Für sich gesehen ohne Funktion, eine Leitung nur der Leitung wegen.
Wenn man so will, handelt “Crash” von “Körper-Eskapismus” - es geht darum, sich aus den Fesseln der Privatheit zu befreien. Privatheit bedeutet im philosophischen Sinne Unveräußerlichkeit: kein anderer kann meine privaten Empfindungen oder Schmerzen haben; höchstens ähnliche. Und keiner kann wissen, dass ich Schmerzen habe, weil keiner außer mir sie empfindet; Außenstehende können es nur vermuten. Der hierin verborgene Solipsismus - ich kann nie sicher sein, ob es außer mir noch andere Subjekte gibt, die Empfindungen haben, ich vermute es lediglich durch äußeres Vergleichen - führt bei Bewusstwerdung in ein Körpergefängnis. Ich bin mit meinen Empfindungen in mir selbst gefangen.
Der in “Crash” dargestellte Drang, sich von der eigenen biologischen Basis in das Mechanische zu flüchten, beschreibt ein Fluchtverhalten, nämlich dasjenige vor der Einsamkeit in die gemeinsame Erfahrung mit einer anderen Existenzform. Es ist bezeichnend, dass gleich eine ganze Gruppe von Menschen in organisierter Weise seine Leidenschaft für Autocrashs - sexuell und künstlerisch begründet - teilt, und dass der Sex beinahe intervallmäßig den kompletten Film durchzieht, stets so offenherzig inszeniert wie nur möglich. Ein tragikomisches Bild, beschreibt es doch den erfolglosen Versuch, eine Vereinigung auf körperlicher Basis zu finden, wo es eigentlich der Geist ist, der um Vereinigung bettelt und sie nicht bekommt.
Doch die vermeintlichen Höhepunkte sind keine, denn anstatt die Mauern des Gefängnisses zu durchstoßen, ziehen selbige bloß Narben davon. Die Ironie ist die am Ende des Tunnels wartende Sterblichkeit: erst durch sie können die Mauern eingerissen werden, doch dann ist das, was in ihnen lebte, bereits tot.
So läuft die Erzählung permanent auf einen Dauerintervall zu, die Tristesse des Todes immer in greifbarer Nähe alleine durch die mechanische Organisation von Menschengruppen und Verkehrsnetzen, doch erreicht werden kann sie nicht. Von der dramatischen Aktinszenierung etwa der “Fliege” oder der Opernhaftigkeit von “M. Butterfly” ist “Crash” Abermillionen Lichtjahre entfernt. Ein einziges Gitarrenmotiv taucht schlackernd und wabernd immer wieder auf wie in einer Dauerschleife, und die Suche nach einem Ziel, das nicht existiert, manifestiert sich in einer zähflüssigen Geradlinigkeit der Erzählung, eben jenem Adersystem, das seine metallisch schmeckenden Blutkörperchen auf eine Reise mit einem unbestimmten Ziel schickt.
Die Funktionalität dieses für sich genommen allzu sterilen Fleisch-Metall-Amalgams ist also ausschließlich im Gesamtkontext von Cronenbergs Schaffen zu begreifen, da es sich vollends in seinen Dienst stellt. Außerhalb ist es wenig mehr wert als ein gewöhnlicher Film über ungewöhnliche sexuelle Obsessionen; innerhalb stellt es die Schienen für den Übergang vom Biologischen ins Psychologische. Als Ableitungsmaterie benötigte man Metall, dessen von Menschenhand geformte Erscheinung sich durch physikalische Kräfte wieder deformiert - eine Kunst, die strenggenommen keine ist, in einem Klimax, der ebenfalls keiner ist.
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