Entstehungsdaten:
USA / D 2006
Regie:
Hal Hartley
Darsteller:
Parker Posey
Jeff Goldblum
James Urbaniak
Liam Aiken
Saffron Burrows
Elina Löwensohn
Leo Fitzpatrick
Anatole Taubmann
Thomas Jay Ryan
Jasmin Tabatabai
Sibel Kekilli
Trailer:
http://www.imdb.com/title/tt0444628/trailers
In den 90ern galt Regisseur und Drehbuchautor Hal Hartley („Simple Men”/„Amateur”) als einer der aufstrebendsten und gefeiertsten amerikanischen Indie-Filmemacher da draußen. Wenn ich an ihn bzw sein Schaffen denke, kommt mir persönlich Adrienne Shelly (sie möge in Frieden ruhen) stets unweigerlich in den Sinn – wahrscheinlich, weil sie mir in „the Unbelievable Truth“ (1989) und „Trust“ (1990) so gut gefiel. Seine Werke waren gewitzt, anspruchsvoll, bodenständig und vorbehaltlos sympathisch – ganz nach dem Geschmack des „Sundance“-Publikums, natürlich bevor der Kommerz dort immer stärker an Einfluss gewann. Im neuen Millennium wurde es allerdings merklich ruhiger um ihn: Mit seinen letzten Veröffentlichungen, zum Beispiel „No such Thing“ (2001) oder „the Girl from Monday“ (2005), vermochte nicht nur ich kaum warm zu werden – auch etliche Kritiker kündigten ihm die bis dato gehaltene „professionelle Freundschaft“…
2006 meldete sich Hartley mit dem quirligen und ansprechend besetzten Spionage-Thriller „Fay Grim“ im Rampenlicht der erwartungsvoll musternden Öffentlichkeit zurück – nicht nur angesichts des Genres eine seltsam anmutende Wahl, sondern ebenso aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem Film um eine Fortsetzung seiner in Cannes ausgezeichneten Dramödie „Henry Fool“ (1998) handelt. Damals ging es um den Herumtreiber Henry (Thomas Jay Ryan), der bei dem Müllmann Simon (James Urbaniak) sowie dessen depressiven Mutter Mary (Maria Potter) und liebeshungrigen Schwester Fay (Parker Posey), seiner späteren Gattin, im Keller einzog und dort an seinen „Geständnissen“ arbeitete, die er selbst großspurig als ein „revolutionäres literarisches Opus“ anpries. Im Zuge seines Aufenthalts brachte er Simon das Schreiben näher, der fortan ebenso seine Gedanken und Gefühle schriftlich festhielt – und nachdem diese dann im Internet veröffentlicht wurden, gelangte jener zu weltweiter Bekanntschaft, während sein Mentor mit dem eigenen Schaffen seinerseits keinen Fuß auf den Boden bekam. Der Film stellt(e) eine amüsante, treffsichere Allegorie auf die Kunst sowie Auswirkungen von Ruhm und Erfolg dar – das vorliegende Sequel hingegen bewegt sich in eine völlig andere Richtung, rückt Fay in den Mittelpunkt und stattet seine Protagonisten mit ganz neuen Hintergründen aus, welche sich so nie aus dem Vorgänger hätten ableiten oder erahnen lassen…
Rund sieben Jahre nachdem Henry auf der Flucht vor der Polizei nach Schweden geflohen ist (weswegen, das verrate ich hier nicht), Simon wegen Beihilfe seines Verschwindens zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt wurde und kurz darauf (hinter Gittern) gar den Nobelpreis gewann, setzt die aktuelle Handlung ein: Fay hat inzwischen wieder ihren Mädchennamen angenommen, schlägt sich dank der Tantiemen ihres Bruders gerade mal so durchs Leben und hat schwer damit zu kämpfen, ihren pubertierenden Sohn Ned (Liam Aiken) vernünftig großzuziehen. Letzterer scheint (vom ungebührlichen Verhalten her) mehr und mehr seinem Vater zu ähneln, was ihr zunehmend Sorgen bereitet – u.a. wird er von der Schule suspendiert, da er eine Art freizügige Orgie aufzeigendes Kaleidoskop herumreichte sowie beim Oralsex mit zwei Mädels auf der Toilette erwischt wurde. Richtig bizarr wird die ganze Angelegenheit jedoch erst, als die beiden FBI-Agenten Fulbright (Jeff Goldblum) und Fogg (Leo Fitzpatrick) eines Tages bei Fay auftauchen und ihr eröffnen, dass sich Henry seither nicht etwa in Europa versteckt halten würde, sondern schon lange tot wäre – außerdem sei er in Wahrheit ein Spion gewesen, der all seine gesammelten Informationen in jenen ominösen sechs handgeschriebenen „Geständnis“-Bänden zu Papier brachte, welche verschlüsselte Auskünfte über geheime Operationen beinhalten, deren Bekanntwerden mehrere mächtige Männer und selbst Regierungen gefährden würden. Zwei der Bücher befinden sich, sofern man weiß, im Besitz der französischen Regierung, und als Witwe sei es ihr nun möglich, diese in Empfang zu nehmen und somit fürs FBI zu beschaffen – aber nur im Austausch gegen Simon´s Freilassung, so ihre Bedingung, welche prompt in die Wege geleitet wird. In Paris eingetroffen, gerät sie umgehend in den Wirkungskreis diverser Agenten, Killer und Interessensvertreter (u.a. Elina Löwensohn und Saffron Burrows), die jeweils an die Notizen gelangen wollen und dafür auch über Leichen zu gehen bereit sind. Wem kann sie noch trauen? Und was hat es mit der türkischen Camera Obscura auf sich, von der Simon überzeugt ist, sie würde eine verborgene Botschaft aufweisen bzw beinhalten? Konstant verdichtet sich das internationale Geflecht aus Lügen, Intrigen und Verschwörungen, in dessen Zentrum sich Fay wacker schlägt – und irgendwann beginnt sich sogar abzuzeichnen, dass Henry wohl doch noch am Leben ist sowie sich im Umfeld des Top-Terroristen Jallal (Anatole Taubmann) aufhält…
Dass man für ein Sequel auf bereits etablierte Charaktere zurückgreift, ist ja beileibe keine Seltenheit – wohl aber, wenn man diese im Zuge dessen mit ganz neuen Motiven und Persönlichkeitsfacetten anreichert sowie in eine Handlung einbettet, welche selbst vom Genre her vollkommen neue Wege beschreitet. Statt hauptsächlich im New Yorker Stadtteil Queens entfalten sich die Ereignisse nun in mehreren Ländern, ein erfolgloser wie ungehobelter Schriftsteller entpuppt sich als (ehemaliger) Geheimagent, aus einem ruhigen, satirischen (Vorläufer-) Film wurde ein verspielter, vergleichsweise Tempo-reicher Thriller. Dieses interessante, reizvolle, ambitionierte Konzept markiert im Grunde inszenatorisches Neuland für Hartley, hört sich im ersten Augenblick geradezu kommerziell ausgerichtet an – doch keine Sorge, dem ist nicht so, denn er behielt bei der Umsetzung seinen gewohnten Stil konsequent bei und übertrug ihn nur auf das vom ihm selbst konzipierte Material. Unabhängig der dominierenden Schauplätze Paris und Istanbul weist das Werk ein unstrittig europäisches Flair auf, weit entfernt des Eindrucks einer gelackten Hollywood-Produktion – vielleicht liegt das mit daran, dass Hal schon seit Jahren in Berlin wohnt und sich diese Umgebung inspirierend auf sein Schaffen ausgewirkt hat.
„MacGuffin“ ist der von Alfred Hitchcock geprägte Begriff für mehr oder weniger beliebige Objekte oder Personen, die in einem Film nur dazu dienen, die Handlung auszulösen oder voranzutreiben, ohne dabei selbst von besonderem Interesse zu sein – diese bündige, schlüssige, auf der „Wikipedia“-Seite hinterlegte Erläuterung trifft im Prinzip auf die Funktion von Henry´s kodierten Manuskripten zu, hinter denen die verschiedenen Organisationen allesamt her sind. Was im Detail verschlüsselt wurde, wie belastend, bloßstellend oder gefährlich die enthaltenen Informationen tatsächlich sind, erfährt niemand, einschließlich des Zuschauers – zumindest nicht in einer konkreten Form, die über Andeutungen hinausgeht. Es ist nötig, dass Fay die Erinnerungen an ihren eher zweifelhaften Göttergatten aus einer ganz neuen Perspektive heraus betrachtet. Sie muss sich die einzelnen Puzzlestücke nacheinander mühsam erarbeiten sowie diese einen Sinn ergebend in den betreffenden Kontext einordnen – und zudem ist ja nicht erst seit gestern bekannt, dass Geheimdienste für gewöhnlich nie mit offenen Karten spielen. Ergänzt man diese Konstellation nun mit der zusätzlichen Anwesenheit von Doppelagenten, Verschwörern, Komplotte schmiedende Terroristen und den üblichen aus der „wem kann man überhaupt noch trauen“-Frage resultierenden Verwirrungen, entsteht schrittweise ein immer komplexeres, schwer zu durchschauendes Chaos, das Amüsement hervorruft – vornehmlich da man ja weiß, auf welcher wackeligen Grundlage es basiert. Dieses Anreichern von in der Realität verwurzelten Situationen mit fast absurden Beigaben ist seit jeher ein Markenzeichen Hartleys, ebenso wie der trockene, primär in hochkarätigen Dialogzeilen transportierte humoristische Touch – in jenen Momenten ist „Fay Grim“ fraglos am stärksten.
Indie-Darling Parker Posey („Personal Velocity“) ist eine ausgezeichnete Schauspielerin. Selbst in flachen Studio-Produktionen á la „Blade Trinity“ oder „Superman Returns“ verleiht sie ihren Parts noch Momentum – vor allem aber ist sie fernab des Mainstreams zuhause, wo man ihr regelmäßig fruchtbare Chancen bietet, zu glänzen und zu begeistern. In der Titelrolle liefert sie erneut, also auch unter den veränderten Voraussetzungen, schlichtweg perfekte Arbeit ab: Von einer Hausfrau, welche ihr Leben sowie die Überreste ihrer kleinen Familie so gut es geht zusammenzuhalten versucht, wandelt sich Fay im Verlauf hin zu einer deutlich selbstbewussteren, bedachter vorgehenden Persönlichkeit. Ihre zerfahrene Verbindung zu Henry lässt sie voranschreiten, ungeachtet mancher Dinge, die um sie herum passieren – wobei sie ihre eigensinnige Ader und offenkundlichen Unsicherheiten ungemein menschlich erscheinen lassen. Posey ist ausdrucksstark, was ihre markante Mimik, Gestik und gar Stimmlage mit einschließt, attraktiv und sieht einfach hinreißend in diesem edlen Mantel aus, den sie von einem Verehrer geschenkt bekommen hat und infolge dessen in Europa zur Schau trägt – sie meistert alle vorgegebenen Facetten der Figur virtuos. Gemeinsam mit ihrem Co-Star Jeff Goldblum („ID:4“/„Powder“) beherrscht sie zudem den schwierigen, sich auf perfektes Timing stützenden Rhythmus der vorgegebenen Dialoge. Vielleicht hat mir Jeff genau deshalb überraschenderweise gut gefallen – grundsätzlich mag ich ihn nämlich eher weniger gern, da er meiner Meinung nach (trotz der gegenteiligen Überzeugungsversuche eines Kumpels von mir, der bei ihm Schauspielunterricht nimmt) seine zu verkörpernden Figuren stets zu ähnlich angeht. Wie auch immer – die Besetzung setzt sich insgesamt aus einem ansprechenden wie talentierten Ensemble zusammen: Elina Löwensohn („Nadja“) tritt als exzentrische ehemalige Gespielin Henrys auf, Saffron Burrows („Deep Blue Sea“) mimt eine knallharte israelische Agentin, James Urbaniak (TV´s „Kidnapped“) agiert gewohnt minimalistisch, was keineswegs negativ gemeint ist – und darüber hinaus sind (u.a.) noch Leo Fitzpatrick („Bully“), Liam Aiken („Lemony Snicket“), Jasmin Tabatabai („Bandits“), Sibel Kekilli („Gegen die Wand“) sowie der Schweizer Anatole Taubmann („Rohtenburg“) als einen an Bin Laden erinnernden Terroristenführer in Nebenrollen zu sehen.
Nicht nur weil es sich um eine zeitgemäße Spionagegeschichte handelt, spiegelt vieles die Gegebenheit wieder, dass sich die Welt in den vergangenen Jahren unzweifelhaft verändert hat – besonders seit 9/11. In dieser Hinsicht verarbeitete Hartley eine Menge Ideen und Ansätze in seinem Skript: In Form von Henry´s Notizen geht er (kurz) auf verschiedene internationale Verstrickungen Amerikas der letzten Epochen (vor allem während der Reagan-Ära) ein, nur um den aufgezeigten Pfad in der von Misstrauen, Angst, Unsicherheit und Paranoia geprägten Gegenwart münden zu lassen, welche er dementsprechend (mehr oder minder subtil) kommentiert. Einen Anteil seiner (insgesamt leider nur mäßig ausgeprägten) Spannung generiert der Streifen aus dem Aufzeigen brisanter länderübergreifender Vernetzungen, die bekanntermaßen auf beiden Seiten der ohnehin verschwommenen Grenze zwischen Gut und Böse existieren. Fay kann man als eine clevere, mitdenkende Person betrachten, welche das Ausmaß der Verflechtungen und Stimmungen um sich herum erst dann ungläubig in vollem Umfang wahrnimmt, als sie sich selbst direkt damit konfrontiert sieht – im Alltag haben sie diese Dinge halt nie unmittelbar berührt, weshalb das Interesse einfach nicht vorhanden war, sich konkret mit ihnen zu beschäftigen. Im Prinzip parodiert „Fay Grim“ das Genre auf intelligente, nie vordergründig witzige Weise, spielt mit den gängigen Konventionen. Die Inszenierung erinnert uns permanent daran, dass wir es vorliegend mit einem waschechten Indie, keinem „Jason Bourne“-artigen Thriller zutun haben. Die nüchterne Optik mutet nie flashy an – trotz der reizvollen Entscheidung, die von Sarah Cawley Cabiya („Oxygen“) geführte Kamera meist in einem geneigten Winkel zu halten sowie zentrale Action-reichere Sequenzen sich in Gestalt von Einzelbild-Montagen entfalten zu lassen. In erster Linie verließ man sich auf die Story und ihre speziellen Stärken – also die Dialoge, Charakterzeichnungen und netten Einfälle (wie zum Beispiel der Runnig-Gag, dass es notwendig ist, ausgerechnet Geistliche verschiedener Konfessionen zu konsultieren, um das Rätsel der innerhalb des Orgien-Bildmaterials versteckten Botschaft zu lösen). Mein persönliches Highlight bildet übrigens eine köstlich dargebotene Situation, in der Fay ein Handy in ihrem Slip vor ihren Begleitern verstecken muss, auf dem just in dem Moment an einem öffentlichen Ort unverhofft ein Anruf eingeht – mit eingeschaltetem Vibrationsalarm…
Trotz der verschachtelten, teils verwirrenden Handlung funktioniert der Film über eine Stunde lang hervorragend – bis das letzte Drittel anbricht. In diesem wird das Tempo plötzlich beträchtlich heruntergefahren, die gefühlte Lockerheit weicht einer dramatischen Schwere, welche das Gesamtwerk schließlich beinahe auf Grund laufen lässt: Erst betritt Jallal, dann Henry die Bildfläche (etwas, das man als Überraschung hätte präsentieren sollen, statt bereits im Rahmen der Anfangscredits anzukündigen: „Thomas Jay Ryan as Henry Fool“), worauf die Stimmung unerwartet in Richtung eines ernsten Dramas kippt, was den zuvor aufgebauten Rhythmus wie per Einschalten eines Umkehrschubs ausbremst. Die Protagonisten werden der zu vermittelnden außen- und weltpolitischen Botschaft untergeordnet: Ein fataler Fehler. In dieser Phase hat man einige Szenen zudem unnötig lang ausgedehnt – eine Straffung der Laufzeit um (ca.) eine Viertelstunde wäre ratsam gewesen und hätte vermutlich verhindert, dass meine Bewertung schlussendlich von „gut“ auf „oberer Durchschnitt“ absinkt. Das Finale bietet außerdem die Chance auf eine weitere Fortsetzung – etliche Fragen bleiben unbeantwortet, das Potential der Figuren ist noch immer nicht vollständig ausgelotet. Mit der Realisierung dieses Projekts bewegt(e) sich Hartley definitiv entlang des richtigen Weges, zumindest über die Spanne von zwei der drei Akte hinweg, hat seine alte Form jedoch bei weitem noch nicht wiedererlangt. So bleibt „Fay Grim“ unterm Strich hinter seinen Möglichkeiten zurück – nette Unterhaltung abseits des Mainstreams, die einige grandiose Dialoge und gute Darstellerleistungen vorweisen kann, allerdings zum Ende hin inhaltlich leider zu sehr überfrachtet anmutet…