Craig Brewer´s „Black Snake Moan“ wird gewiss nicht jedem gefallen, denn es handelt sich hierbei um ein sehr spezielles Werk, das unter anderem von Anfang an mit den Erwartungen der Zuschauer spielt. Wer glaubt, den genauen Verlauf sowie Ausgang zügig vorhersehen zu können, irrt sich vermutlich, und außerdem werden einige überrascht feststellen müssen, dass sie das verbreitete Promo-Material weitestgehend auf eine falsche Fährte gelockt hat: Das vortreffliche Poster wirbt mit der zweideutigen Tagline „Everything´s hotter down south“ und präsentiert uns ein Motiv, das provokant an 70er-Jahre Exploitation-Flicks erinnert, der geschickt zusammengestellte Trailer hingegen suggeriert eher eine schwarze Komödie. Zwar lassen sich Elemente beider Ausrichtungen definitiv im Film an sich wiederfinden, nur nehmen sie einen vergleichsweise untergeordneten Stellenwert ein. In erster Linie handelt es sich nämlich um ein mehrschichtiges, zeitweise augenzwinkerndes Drama, das sein geneigtes Publikum auf die eine oder andere (unkonventionelle) Weise anzusprechen und zu unterhalten beabsichtigt – mit großem Erfolg, wie ich finde.
Im Grunde verkörpert Rae (Christina Ricci) exakt das, was man allgemein als „White Trash“ bezeichnet: Eine junge, sexuell aufgeladene, stets aufreizend gekleidete Dame ohne finanzielle Rücklagen oder einer weiterführenden Schulbildung, die mit ihrem Freund Ronnie (Justin Timberlake) in einem Trailer wohnt und sich auf der Basis ihres Verhaltens innerhalb der Kleinstadt längst den Ruf eines Flittchens erworben hat. Was die wenigsten wissen, ist dass gerade letzteres im Grunde auf einen permanenten inneren Kampf zurückgeht: Basierend auf den psychischen Narben schlimmer Kindheitserlebnisse, etwa dass sie von (mindestens) einem Freund ihrer Mutter missbraucht wurde, flüchtete sie sich über die Jahre förmlich in diesen charakteristischen Zustand, in dessen Rahmen sie ihre eigene Sexualität offensiv einsetzt bzw immerzu von einem überwältigenden Drang danach heimgesucht wird, sobald sie ein Stück Kontrolle in ihrem Leben zu verlieren droht. Dem verständnisvollen Ronnie ist es in jüngster Zeit allerdings gelungen, ihr in Gestalt seiner Nähe und Zuneigung die ersehnte, schützende Stabilität zu bieten – bloß muss er nun fort, denn er hat sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet, um sie mit seinem Sold künftig gemeinsam über die Runden zu bringen, ihnen also eine gesichertere Zukunft bieten zu können. Kaum ist er weg, fällt sie jedoch prompt zurück in die alten Gewohnheitsmuster, welche ihre Angst kompensieren: Alkohol-, Drogen- und Sex-Eskapaden sind die Folge. Am Ende eines Abends, schwer betäubt von diversen zu sich genommenen Substanzen, verhindert allein ein Ego-treffender Spruch, dass ein vermeintlicher Freund sie in seinem Pick-Up vergewaltigt – stattdessen verprügelt er sie „nur“, wirft sie anschließend irgendwo außerhalb der Ortschaft halbnackt aus dem Wagen und lässt sie dort besinnungslos am Straßenrand zurück…
In seiner Auffahrt liegend, findet sie am nächsten Morgen der Farmer Lazarus (Samuel L.Jackson), ein ehemaliger Blues-Sänger, der kürzlich erst von seiner Frau verlassen wurde, die nun mit seinem Bruder zusammen ist. Fürsorglich trägt er sie in sein Haus, macht es ihr auf der Couch gemütlich und besorgt ihr gar ein Mittelchen aus der örtlichen Apotheke, da sie nicht nur selten bei Bewusstsein ist, sondern auch unter einem schweren Fieber leidet. Warum er die Option, sie in ein Krankenhaus zu bringen, kategorisch ausschließt? Nun ja: Ein älterer Afroamerikaner, der wohl gerade nicht unbedingt gut auf Frauen zu sprechen ist, eine misshandelte Weiße, und das alles im tiefen, ländlichen Süden – seine Bedenken sind also begründet. Dennoch hört er sich etwas in der Stadt um und erfährt so, dass Rae scheinbar unter diesem speziellen „Itch“ leidet, das sie in Wallung bringt – quasi eine „Krankheit“, die sich von ihrem Kopf aus hinunter bis zwischen ihre Beine ausbreitet. Selbst in der Vergangenheit beileibe kein Heiliger, fasst Lazarus daraufhin einen zielstrebigen Entschluss – er fesselt ihren zarten Körper mit einer schweren Eisenkette an seine massive Heizung und eröffnet ihr seinen Plan: „
I aim to cure you of your Wickedness!“ Um das zu erreichen, unabhängig ihrer Gegenwehr sowie den eindeutigen „Sex gegen Freiheit“-Angeboten, liest er ihr aus der Bibel vor und verwickelt sie in aufarbeitende Gespräche, die ihr einen positiven Pfad für die Zukunft aufzeigen sollen. Von dieser inneren Reise in Richtung Heilung und Hoffnung profitieren beide zunehmend – nur wächst stetig der Druck von außen, da die Leute langsam über sie zu tuscheln beginnen und etliche Personen gar von den Details der Situation erfahren. Als dann auch noch Ronnie, inzwischen aufgrund von Panikattacken für untauglich befunden, zurückkehrt und sich mit einer Waffe in Händen auf die Suche nach seiner Liebsten begibt, nachdem man ihm davon berichtete, was während seiner kurzen Abwesenheit so alles vorgefallen ist, spitzt sich die Lage vollends zu…
„Black Snake Moan“ – spirituell, melancholisch, von seinem geographischen Schauplatz geprägt, mit all seinen vom Leben gezeichneten Charakteren, vornehmlich untreue Frauen und betrogene Männer – ist das filmische Equivalent eines Blues-Songs. Regisseur und Skriptautor Craig Brewer nutzte diesen betreffenden Stil vorliegend in derselben Art wie den Hip-Hop im Rahmen seines 2005er Durchbruchs „Hustle & Flow“, nämlich als Spiegelbild der Innenleben seiner Figuren sowie zum Verstärken der heraufbeschworenen Atmosphäre. Es wird viel gesungen, die auserwählten Stücke passen vollendet zu den jeweiligen Szenen und Stimmungslagen – wer die englischen Texte nicht versteht, dem entgeht zwangsläufig eine Menge (selbst Subs, falls vorhanden, würden nur unweigerlich ablenken). Der Titel geht zurück auf einen Song von Blind Lemon Jefferson aus dem Jahre 1927, die Einleitung besteht aus einer Archivaufnahme, in welcher der Blues-Sänger Son House über von der Liebe ausgelöste Leiden berichtet, gewidmet wurde das Werk dem Musiker R.L.Burnside, dessen Umfeld Samuel L.Jackson das Beherrschen der Gitarre beibrachte. Die einzelnen Stücke wurden hervorragend in den Verlauf eingebunden – die Räume dazwischen füllt der Score von Scott Bomar ebenso dienlich aus.
Ein Film wie dieser lebt zweifellos von seinen darstellerischen Leistungen, muss sich hundertprozentig auf sie verlassen können – und perfektes Casting sowie sich äußerst engagiert einbringende Akteure sichern ihm in diesem Bereich die volle Punktzahl. Nach einer ganzen Reihe durchschnittlicher Auftritte in der jüngsten Vergangenheit, siehe z.B. „Freedomland“ oder „the Man“, trumpft Jackson hier mit einer der besten Performances seiner Karriere auf. Das nuancenreiche Spiel, die getroffene Balance zwischen Entschlossenheit und Verletzlichkeit – er verschwindet rückstandslos in seiner Rolle: Stimme und Erscheinung passen optimal, so als hätte man sie ihm bis ins Detail maßgeschneidert. Wütend und enttäuscht bietet das Schicksal Lazarus eine „ablenkende“ Aufgabe, die ihm simultan auch selbst zurück ins Leben verhilft, nachdem ihn seine Frau verlassen und gar das gemeinsame Kind abgetrieben hat. Aus seinem Glauben heraus schöpft er Kraft, aber mit der Zeit entwickeln sich ebenfalls unübersehbare väterliche Gefühle für dieses vom rechten Weg abgekommene Geschöpf, das zwar aus derselben Stadt, jedoch einem rundum anderen Milieu stammt. Rae ist ein Opfer der Umstände, eine geschädigte, nichtsdestotrotz starke Persönlichkeit, die einem, unabhängig so mancher Entscheidung und Tat, nie egal ist – man fühlt mit ihr und hofft, dass sie es am Ende schafft. Christina Ricci („Sleepy Hollow“/„Monster“) war schon immer eine Indie-Prinzessin, die ungewöhnliche Rollen zu schätzen wusste – sie trifft genau die richtigen Töne: Nach außen hin roh und ungeschliffen, nach dem Abtragen der schützenden Fassade zerbrechlich und sich nach Geborgenheit sehnend. Ricci ist evident begnadet, extrem sexy, besitzt eine makellose Figur und gibt sich ungewohnt freizügig – so hat man sie noch nie zuvor gesehen, nie war sie besser. Beide Leads überziehen ihr Spiel in bestimmten Momenten leicht, selbstverständlich mit Absicht, überqueren allerdings nie die Grenze gen Albernheit – besonders im Falle von Rae´s „Zuständen“ eine schwierige, obgleich gemeisterte Gradwanderung. Unterstützt werden sie von einer mehr als soliden Nebendarsteller-Riege: Allround-Talent Justin Timberlake („Alpha Dog“) liefert erneut eine gute Leistung ab, weshalb ich gar nicht erst Begriffe wie „überraschenderweise“ verwende – seine Auftritte sind begrenzt, aber er meistert die an ihn gestellten Anforderungen souverän. Darüber hinaus hinterlassen der charismatische John Cothran Jr. („Kiss the Girls“) als eingeweihter Priester sowie S.Epatha Merkerson (TV´s „Law & Order“) als beseelte Apothekerin jeweils ertragreiche Eindrücke – letztere teilt sich mit Samuel übrigens einige zart-herzliche Szenen, die einen gewollten Kontrast zu der launisch-instabilen Beziehung des jungen Pärchens bilden.
Sich lose an einige Klassiker anlehnend, vgl. Faulkner´s „Sanctuary“ oder „Baby Doll“ von Tennessee Williams, stützt sich Brewer´s cleveres, vielschichtiges, Hollywood-untypisches Drehbuch hauptsächlich auf seine dreidimensional gezeichneten Charaktere und ist in sich rundum homogen – selbst wenn einige das, etwa angesichts verschiedener Genre-Überschneidungen oder fehlgeleiteter Vermutungen, gewiss abweichend sehen. Die zentrale Beziehung überstrahlt alle anderen Faktoren – da fällt es dementsprechend verminderter ins Gewicht, dass die vorhandenen Sub-Plots (im Vergleich) weniger reichhaltig ausgefallen sind und bestimmte Nebenfiguren verhältnismäßig simpel gestrickt anmuten. Mit fortschreitender Dauer entfernt sich der Verlauf zunehmend von seinem vordergründig-provokanten „Exploitation“-Ansatz hin zu einem emotional aufgeladenen Drama: Ausgefuchst hat Brewer, u.a. mit Hilfe des Posters, Trailers, speziellen Mechanismen und Schlüsselsequenzen, das Publikum in eine falsche Richtung gewiesen – bis zur Schlusseinstellung ist der Ausgang absolut ungewiss, im Prinzip gar noch weit darüber hinaus. Wer sich an dieser inhaltlichen Entwicklung stört, hat selbst Schuld – schließlich wurde nirgends behauptet, dies wäre ein waschechter „Grindhouse-Flick“. Es ging den Beteiligten um das Aufzeigen echter Menschen unter dem Einfluss verschiedener Gegebenheiten (Religion, Gemütszustände, Erlebnisse der Vergangenheit etc) – und das ist ihnen definitiv geglückt. Wichtig dafür war das Etablieren einer gefühlten Form der Authentizität (unabhängig der Idee, per Anketten an einen Heizkörper das Heilen von Nymphomanie zu forcieren und daraus quasi einen dualen Exorzismus entspringen zu lassen) – in engagierter Zusammenarbeit gelang der Cast&Crew dieses Bestreben auf ganzer Linie. Angesiedelt im ländlichen Tennessee, funktioniert das Werk zwar nicht ohne diesen geographischen Bezug, könnte aber durchaus vor 10, 20, vielleicht sogar 30 Jahren spielen, das in jener Region anzutreffende Sprachverhalten wurde seitens des Skripts adäquat erfasst und wird von der Besetzung ebenso vermittelt, Cinematographer Amelia Vincent („the Caveman's Valentine“) rückte alles ins rechte Licht, die Kostüme von Paul A.Simmons sitzen wie angegossen, das rustikale Produktionsdesign wirkt nie irgendwie künstlich, halt so wie aus dem Leben gegriffen – und all dies verschmelzt der Blues miteinander zu einer waschechten, keineswegs nüchtern erzählten „Dirty South“-Story, der es selbstredend nicht an einer Message mangelt.
In seiner Funktion als Regisseur verlässt sich Brewer überwiegend auf die Ausdruckskraft seiner selten subtilen, teils reich an Symbolik daherkommenden Einstellungen, um die betreffenden Botschaften zu vermitteln – das Waschen von Wunden oder Musizieren bei Gewitter sind nur zwei solcher Momente. Rae trägt über weite Strecken ein altes T-Shirt mit dem Motiv einer Konföderiertenfahne auf der Vorderseite, die Grundzüge der Sklaverei werden vertauscht, Lazarus (ein nicht von ungefähr gewählter Name) spricht von sich aus die blutige Rassenvergangenheit des Landes an, welche noch immer in den Köpfen vieler Menschen herumspukt – allerdings wird dieser Ansatz nie mit der Ausübung sexueller Gewalt verknüpft, denn jene findet strikt innerhalb einer Rassenzugehörigkeit statt. In verschiedenen Ausprägungen bestimmt die Sexualität (inklusive aller Auswirkungen) die gesamte Handlung: Nach dem Prolog wird unmittelbar mit einem stürmischen Liebesakt eröffnet, diverse Beischlaf-Szenen und Verführungsversuche Raes folgen – sie schafft es gar, inzwischen in Ketten gelegt, einen unschuldigen minderjährigen Knaben zu „bespringen“. Nymphomanie wird als selbstzerstörerische Krankheit präsentiert, unfreiwillige Abstinenz wie ein kalter Entzug. Dennoch wird die menschliche Sexualität an sich nie verteufelt: Sex ist etwas Natürliches, sollte allerdings nicht fremdbestimmt werden – egal ob nun von anderen Personen oder unbewussten schadhaften Auswirkungen der eigenen Psyche ausgehend. Die wohl schweißtreibendsten Augenblicke bilden eindeutig Aufnahmen der tanzenden Rae in einem Club – und das nach ihrer „Behandlung“. Während Lazarus andauernd standhaft blieb, wurde man als Zuschauer angesichts der verlockenden Ricci schwach, weshalb das zuvor Gezeigte viel mit Voyeurismus zutun hatte – bloß dieser eine schweißtreibende Tanz im letzten Drittel, der ist pure, geballte, einhundertprozentige Erotik, ganz ohne nackte Tatsachen oder aus fehlgeleiteten Motiven heraus resultierend.
„Black Snake Moan“ lässt sich in keine Schublade stecken: Dieser atmosphärisch dichte Film besitzt einen seltsamen Sinn für Humor, ist jedoch keine Komödie, bedient sich offensiven Bildern und greift unangenehme Thematiken direkt auf, ist aber kein Exploitation-Werk. Viele verschiedene Emotionen werden heraufbeschworen, die Entwicklungen der Protagonisten berühren einen, da sie überzeugend dargeboten werden. Wenn Rae gegen Ende mit ihrer zarten Stimme „This little Heart of mine“ singt, ist das keineswegs unfreiwillig komisch, sondern fügt sich makellos in den facettenreichen Kontext ein. Eine Geschichte über den Kampf zweier willensstarker Persönlichkeiten gegen ihre inneren Dämonen, die sich selbst sowie ihren Platz in dieser Welt suchen – ein ungewöhnliches Drama über den Blues, die Liebe, das Leben und die Hoffnung … eine kleine cineastische Perle, und mir daher auf jeden Fall knappe „9 von 10“ wert.