Anatomie einer Entführung (2004)
OT: The Clearing
Technische Daten
Vertrieb: 20th Century Fox Home Entertainment
Regionalcode: 2
Laufzeit: 90:33 Min.
Regie: Pieter Jan Brugge
Darsteller: Robert Redford,
Willem Dafoe,
Helen Mirren,
Matt Craven,
Alessandro Nivola,
Melissa Sagemiller,
Wendy Crewson,
John Richard Fairchild,
Peter Gannon,
Sarah Koskoff,
Blake Law,
Noah Law,
Geoff McKnight,
Ken Meverden,
Matt Miller
Bildformat: 1,85:1 (anamorph / 16:9)
Sprachen: DD 5.1 Deutsch, Englisch, Spanisch
Untertitel: Deutsch, Englisch, Spanisch, Deutsch für Hörgeschädigte
Freigabe: FSK 12
Film
Für den Liebhaber klassischer Narration, bedeutungs- und stimmungsvoller Bilder und großen Schauspielkinos lesen sich die Vorgaben des Regiedebüts von Produzent Pieter Jan Brugge (“The Insider”, Michael Manns “Miami Vice”) hervorragend. In den Hauptrollen eine Helen Mirren, die für das Ungeschminkte, Ehrliche steht; ein Robert Redford, der abseits seines Schmonzetten-Images aus den Neunziger Jahren nun im Alter durchaus die Möglichkeit hat, sich auch beim vorurteilsbehafteten Publikum mit Independentrollen wieder eine Lobby zu verschaffen; und ein Willem Dafoe, den man trotz mancher Fehlgriffe in Sachen Rollenauswahl aufgrund seiner leidenschaftlichen, von der Bühne geprägten Leistungen doch immer wieder gerne sieht. Die Handlung aus dem Script vom Regisseur selbst und von Justin Haythe gibt sich denkbar einfach - die Entführung eines Geschäftsmannes aus augenscheinlich monetären Gründen wird erzählt. Die Passivität dieser Handlung soll es ermöglichen, auf einer übergeordneten Ebene ein zwischenmenschliches Kammerspiel zu vollführen, ein psychologisches Hin und Her: Zwischen dem Geschäftsmann Wayne Hayes (Redford) und seiner Frau Eileen (Mirren), zwischen der Frau und den Kindern (Alessandro Nivola, Melissa Sagemiller), zwischen der Frau und dem ermittelnden Agenten Ray Fuller (Matt Craven), zwischen der Familie Hayes und dem Entführer Arnold Mack (Dafoe) und nicht zuletzt zwischen Entführer (Dafoe) und Entführtem (Redford).
Es wird schnell ersichtlich, dass Brugge nicht darauf aus ist, einen Thriller zu konzipieren. Er lässt sich mit jeder Szene viel Zeit, bringt lange, schnittfreie Schwenks auf den Garten der Hayes, lässt die tristen Bilder wirken. Die Darsteller handeln mehr durch Gestik und Mimik als durch die dünn gefächerten Dialoge. Insofern versteht der Regie-Newcomer sein Handwerk durchaus, denn die latent verborgenen zwischenmenschlichen Probleme scheinen immer wieder durch die normalisierte Fassade hindurch, wenn etwa Wayne Hayes auf die leicht bissige Forderung seiner Frau, er solle doch bitte spätestens um sechs Uhr wieder zu Hause sein, mit einem verwirrten Stocken in seinem Bewegungsablauf reagiert und sich unsicher nochmals erkundigt: “Um sechs.”
Von Beginn an macht der Film also keinen Hehl daraus, eher ein psychologisches Drama denn ein Entführungsthriller zu sein, und wer hofft, das Tempo könne sich ja durchaus noch steigern, der sei ernüchtert: Das Pacing bleibt bis zum Ende auf einem Niveau. Denn der Regisseur, obgleich er sicherlich in der Lage dazu gewesen wäre, sieht offenbar keine Veranlassung dazu, die Entführungsstory nach filmtechnischen Kriterien anzutreiben. Worauf es ihm sichtbar ankommt, ist die übergeordnete Ebene, der Meta-Dialog zwischen den einzelnen Charakteren.
Das hat wenigstens auf die schauspielerischen Leistungen durchweg positive Auswirkungen. Speziell das durch die Entführung getrennte Ehepaar Hayes läuft durch das penible Vermeiden von Overacting zur Hochform auf. Es mag manchem gar wie “Underacting” erscheinen, so minimalistisch lassen Robert Redford, vor allem aber Helen Mirren ihrer Darstellung von Emotionen freien Lauf. Kritik ist hier also durchaus auch vorstellbar; mit ihrem teilnahmslosen Blick in diversen Szenen könnte Mirren auf Teile des Publikums den Eindruck erwecken, sich doch gar nicht wie eine Frau zu verhalten, deren Mann entführt wurde und der vielleicht schon tot sein könnte. So etwa, wenn der einjährige Geburtstag des Enkels gefeiert wird, wenn am Tisch über alte Zeiten geschmunzelt wird oder wenn sie ihre Bahnen durch den Swimmingpool zieht. Mir hat aber gerade diese kaum zu erkennende Anteilnahme an der Situation hervorragend gefallen, weil so erst zwischen den Zeilen deutlich wird, was die wahren Emotionen dieser Frau sind, welche ja durch die nicht ganz reine Vergangenheit ihres Mannes noch zusätzlichen Pfeffer bekommen. Das macht Mirren ganz klasse und ist meiner Meinung nach positiv herauszuheben.
Dabei steht Redford dem kaum in etwas nach. Er sollte sich öfters mal in ungewöhnlichere Gefilde bewegen, wenn dabei Leistungen wie diese herauskommen. So glänzt er besonders durch kleinere Gesten, die ihn äußerst menschlich erscheinen lassen und nicht zum für das unausweichliche Schicksal prädestinierten Opfer machen - die Reaktion auf den Moment der Geiselnahme durch das Vorhalten einer Waffe bestätigt diesen Eindruck - still, leise, fast ungläubig.
Das mentale Katz- und Maus-Spiel zwischen Täter und Opfer ist nun leider schon ein erster Wermutstropfen. Zwar ist es interessant zu verfolgen, wie Hayes langsam das Vertrauen seines etwas leichtgläubigen Peinigers gewinnt und es gegen ihn ausspielt, doch im Vergleich mit dem bodenständigen Realismus der sonstigen Inszenierung wirkt die Täter-Opfer-Beziehung hier fast schon wieder etwas over the top. Mitunter würde man sich nämlich ein etwas weniger entgegenkommendes Verhalten des Entführers wünschen, der durch seine übermäßige Sorge bereits etwas an der Glaubwürdigkeit des Filmes kratzt. Darunter leidet dann auch die eigentlich wieder sehr gute Leistung Dafoes, der aber nur bedingt selbst etwas dafür kann. Als Schauspieler ist er in jedem Fall eine Bereicherung für den Film.
Das könnten auch Antagonisten wie die von Alessandro Nivola und Melissa Sagemiller gespielten (erwachsenen) Kinder sein, doch deren Charakterentwicklung wird vom Drehbuch leichtfertig ins Nichts geführt und dort nicht weiter verfolgt. Nach einem vielversprechenden Aufbau etwa von Nivolas Charakter sehen wir diesen letztmals beim exzessiven Joggen, wo ihn irgendwann die Tränen übermannen - an dieser Stelle endet seine Charakterentwicklung und wird damit total verschenkt.
So geht es leider vielen Charakteren im Film. Unter anderem müssen sich an diesem Vergehen gegen ihre Filmfiguren auch Matt Craven aufhalten, der den ermittelnden Agenten in der Entführungssache spielt, und Wendy Crewson, die kurzzeitig ins Spiel gebracht wird, um Hayes’ Vergangenheit aufzurollen und dessen Frau Eileen damit zu konfrontieren. In beiden Fällen profitiert zwar Helen Mirrens Figur davon, im Gegenzug werden die anderen jedoch nach Gebrauch unentwickelt wieder zurück ins Wasser geworfen.
Weiterhin hätte dem Film in Hinblick auf die parallelgerichtete Narrationsstruktur etwas mehr Raffinesse durchaus gut getan. Bei allem Respekt vor der gemächlichen Erzählweise, das Hin- und Herschwenken zwischen der Situation bei der Familie vor Ort und dem Weg von Entführer und Opfer mit zwischenzeitlich eingebauten Rückblenden macht noch lange keine “Anatomie einer Entführung” aus. Dazu bleibt der Aufbau des Films auch gerade dramaturgisch zu seicht. Es hätte ja kein schnellschnittiger Actionthriller werden müssen, nur will man das Interesse an der psychologischen Metaebene erhalten, so sollte man darauf achten, die eigentliche Handlung nicht zu vernachlässigen. Das geschieht hier leider allzu oft, denn handlungstechnisch wie dramaturgisch bleibt der Film praktisch eine Nullnummer.
Und selbst auf der übergeordneten Ebene ist “Anatomie einer Entführung” nicht das, was er gerne sein würde. Sieht man mal von dem tollen schauspielerischen Transport der Informationen ab, die hier hervorgebracht werden sollen, so bleibt es leider mehr oder minder bei den guten Ansätzen. Durch die Trennung der einzelnen Charaktere erlebt jeder seine eigene Erkenntnisgewinnung, in den Dialog zu treten vermögen sie kaum. Das mag auch nicht im Interesse des Films gestanden haben, wie das Ende beweist; so, wie es schließlich ausgefallen ist, reicht es aber nicht, um der Geschichte nachhaltig Substanz zu verleihen. Infolge dieser Umstände verpufft auch die Wende zum Finale hin, welche man sowieso schon zehn Meilen gegen den Wind riechen konnte, ohne zwangsläufig Filmexperte zu sein.
Sicher, rein optisch gestaltet sich Brugges Film für Freunde des Erzählkinos durchgehend interessant. Wettersymbolik ist vorhanden und das gräulich gefilterte Bild ist auch nicht frei von Bedeutung. Das Waldszenario der Entführung gestaltet sich spätestens nach Einsetzen von Regen auch sehr attraktiv, erinnert von der Wirkung der Bilder her fast an die “Stunde des Jägers”. Nur erstickt das Werk im Grunde genommen an den eigenen Ambitionen. “Anatomie einer Entführung” war zweifellos darauf angelegt, zu einem subtilen Meisterwerk des Psychodramas zu werden, dieses Ziel sieht man ihm in jeder Pore an, und es wird in Sachen Schauspielerei fast ganz und in Sachen Bildkomposition zumindest streckenweise erreicht. Ohne eine ordentliche Dramaturgie, geschicktes Verknüpfen von Handlungssträngen und miteinander verflochtenen Charakterwandlungen ist das aber alles wertlos. Brugges Debüt bleibt zu unkreativ in seiner Ausführung und verliert dadurch enorm an Wirkung, die mit Sicherheit auch hätte erreicht werden können, wäre man in gewissen Bereichen einen anderen Weg gegangen.
Bild
Sehr vereinzelt blitzen kleinere Artefakte auf. Vor allem aber macht sich über die gesamte Laufzeit ein dezentes Rauschen breit, das jedoch insgesamt nur bedingt stört. Zudem zeigt sich in dunkleren Passagen, von denen es im Film doch einige gibt, manchmal Bildflackern. Die Bildschärfe ist auch nicht perfekt, aber keines der Defizite nimmt Überhand, so dass der Film problemlos konsumierbar bleibt. Auf der Haben-Seite steht die Farbgebung, die zwar recht trübe daherkommt, dies aber mit Absicht, wodurch die Wirkung der Bilder zumindest diesbezüglich optimal wiedergegeben wird.
Ton
Bedenkt man, dass es sich hier keineswegs um einen rasanten Thriller, sondern vielmehr um ein Kammerspiel handelt, so kann man tonal nicht wirklich viel erwarten. Und die Vermutungen bestätigen sich. Das meiste spielt sich über den Center ab, während in Passagen mit Musik manchmal die Frontspeaker einbezogen werden. Der Bass muss aber ebensowenig wie die Rears wohl irgendwann Arbeitslosenhilfe beantragen, wenn er nur mit DVDs wie dieser gespeist wird.
Menüs
Leute, die blind und taub zugleich sind, werden wahrscheinlich keinen Unterschied feststellen; alle anderen werden sich an den eingefrorenen und musikfreien Menüs stören. Das gilt fürs Hauptmenü ebenso wie für die Kapitelanwahl, die nur Standbilder zu den jeweiligen Kapiteln zeigt. Zumindest die Menüführung ist logisch...
Extras
Auf dem DVD-Cover ist zunächst einmal ein Audiokommentar von Regisseur Pieter Jan Brugge, seinem Co-Autoren Justin Haythe und Cutter Kevin Tent angeführt; dieser bezieht sich aber nicht etwa auf den Hauptfilm, sondern auf die sechs unveröffentlichten Szenen, die im Bonusmaterial angeführt sind [Szene 90: Agent Duggan erhält Waynes Schuhe (1:45 Min.); Szene 107: Fuller interviewt Jill und Tim (1:33 Min.); Szene 112: Tim überprüft Eileen und ihren Flashback (2:57 Min.); Szenen 155 - 157: Misslungene Zustellung und alternative Version der Fluchtszene (5:10 Min.); Szene 187: Extra Subway (1:21 Min.); Szene 214: Waynes Mord (2:39 Min.)]. Ein “Inside Look” aus dem Programm von Fox (“Kinsey”, 0:53 Min.) Beendet auch schon die magere Ausbeute, die wohl Zeuge des kommerziellen “Erfolgs” des Filmes ist.
Fazit
Wenn man allgemein ruhige Dramen mit großer Schauspielerei und psychologischen Ambitionen mag, sollte man ruhig mal sein Glück versuchen. Zumindest die Darsteller überzeugen in diesem ansonsten recht drögen und einfallslosen Werk, das weit mehr erreichen wollte, als es zu schaffen imstande war. Die DVD von Fox ist auch kein richtiger Kaufgrund, gleicht sie doch einer beliebigen Backkatalog-Ausstattung - weder Bild noch Ton noch Menüs noch Extras lassen das Sammlerherz wirklich höherschlagen. Eine DVD, die man haben kann, aber beim besten Willen nicht muss.
Testequipment
TV-Gerät: Tevion 4:3
DVD-Player: Pioneer XV-DV313 5.1 Komplettsystem