“Imprint”
(Season 1, Episode 13)
Regie: Takashi Miike
Darsteller: Billy Drago, Michie Ito, Youki Kudoh, Toshie Negishi, …
[align=justify]Das Konzept der „Masters of Horror“-Reihe sieht es vor, einigen der angesehensten Genre-Regisseuren eine („Showcase“-) Plattform zu bieten sowie zugleich die Grenzen des TV-Serienformats auszuloten. Dieser Prämisse angemessen, gewährte man den handverlesenen Filmemachern volle künstlerische Freiheit bei ihren jeweiligen Projekten, was man den fertigen Werken auch deutlich (positiv) ansieht, selbst wenn man teilweise das Gefühl hat, dass einige von ihnen diese Möglichkeit primär dazu nutzten, endlich mal nackte Tatsachen ins Bild rücken zu „dürfen“ (Negativbeispiel: Dario Argento´s „Jenifer“). Trotz dieses eingeräumten Spielraums war es den Verantwortlichen (zumindest bei der US-Fernsehausstrahlung) dann aber doch nicht möglich, alles durchgehen zu lassen, weshalb letztgenannte Episode an einer Stelle (eine Frau frisst das „beste Stück“ eines Mannes, während dieser noch bei Bewusstsein ist) geschnitten werden musste. Dann reichte Takashi Miike seinen Beitrag (mit dem Titel „Imprint“) ein, und ich kann mir lebhaft vorstellen, was den sichtenden Leuten dabei so durch den Kopf ging („MoH“-Schöpfer Garris hat mal gesagt, es sei der verstörendste Film gewesen, den er je gesehen habe). Der Sendetermin wurde gestrichen, eine gewisse Legendenbildung (im kleinen Rahmen) setzte ein. Die Briten scheinen in solchen Belangen etwas liberaler zu sein, denn bei ihnen flimmerten diese inzwischen berühmt-berüchtigten (knapp) 60 Minuten ungekürzt über die Mattscheibe – und nun kann man getrost sagen: Miike hat die Format-Randbereiche nicht nur erreicht, sondern gar hinter sich gelassen, denn was man hier zu sehen bekommt, ist geschmacklos, abstoßend, äußerst schmerzhaft anzusehen – und ein klein wenig genial. Viele erinnern sich sicher noch lebhaft an den grausamen letzten Akt seines 99er Werks „Audition“ … wie sagte es Mickey Knox so schön in Oliver Stone´s „Natural Born Killers“?
„You ain´t seen nothin´yet!“
Irgendwann im 19.Jahrhundert kehrt ein amerikanischer Journalist (Billy Drago) nach Japan zurück, wo er vor einiger Zeit die Liebe seines Lebens (namens Komomo) zurücklassen musste. Nun will er sie auf jeden Fall mit in seine Heimat nehmen, um das gemeinsame Glück zu vollenden, doch inzwischen ist sie in die Prostitution abgerutscht, was ihn allerdings keineswegs von seinem Vorhaben abweichen lässt – und so sucht er ein Bordell nach dem anderen ab, immer in der Hoffnung, sie endlich ausfindig machen zu können. Aktuell führt ihn seine Reise zu einem Hurenhaus auf einer kleinen, abgelegenen Insel inmitten eines Schilfmeeres, in welchem schonmal aufgedunsene Leichen schwangerer Frauen am Boot vorbei treiben, was anscheinend keine außergewöhnliche Seltenheit für die anderen Passagiere darstellt. Im Etablissement angekommen, fragt er nach ihr, doch man (oder besser: ein Kleinwüchsiger mit einer halb verrotteten Nase) teilt ihm sogleich mit, dass die betreffende Dame dort nicht zu finden sei. Während die anderen Besucher ihre sich anpreisenden Begleiterinnen für die Nacht auswählen, fällt ihm eine junge Prostituierte (Michie Ito) auf, die im Dunkeln etwas abseits der anderen sitzt: Sie wirkt wie eine freundliche Person, und abgesehen davon, dass eine ihrer Gesichtshälften verzerrt/deformiert ist, strahlt sie eine faszinierende Schönheit aus, die nicht nur auf ihr Äußeres begrenzt erscheint. Da das nächste Boot nicht vorm Morgen ablegt, lässt er sich darauf ein, mit ihr aufs Zimmer zu gehen, denn vielleicht weiß sie ja etwas über sein Anliegen, und tatsächlich verrät sie ihm, dass Komomo hier mal gearbeitet hat – bis sie sich aufgrund ihrer Trauer um die verloren geglaubte Liebe vor rund einem halben Jahr erhängte.
Niedergeschlagen und wütend bittet er sie um die ganze Geschichte, aller geheimnisvollen Warnungen ihrerseits zum Trotz („this Island is not of the human World, it´s filled with Demons and Whores“) – diese steht untrennbar mit ihrer eigenen in Zusammenhang und ist weitaus grausamer als erstere, denn in ihr zog Komomo aufgrund ihrer Art ständig den Neid ihrer Kolleginnen auf sich, worauf jene ihr einen Diebstahl in die Schuhe schoben, was in einer extrem grausamen (Folter-) Bestrafung resultierte. Schockiert lauscht er zudem den Erzählungen aus ihrer persönlichen Kindheit, in der sie wegen ihres Aussehens immerzu gehänselt wurde, bis sie auf der Insel landete und in seiner großen Liebe eine Freundin fand, die sie respektierte und gut behandelte. Einige Fragen (sowie merkwürdige Situationen) später kommt allerdings langsam die Tatsache zum Vorschein, dass auch das nicht der ganzen Wahrheit entspricht. „Do you want to know?“, fragt sie ihn. „I need to know!“, erwidert er entscheiden. Eine ganze Reihe schrecklicher Berichte sind die Folge, welche von Inzest, Vergewaltigungen, Abtreibungspraktiken, in den Fluss geworfenen, aus dem Mutterleib gerissenen Föten sowie vielen anderen brutalen Gewaltformen (vornehmlich gegen Frauen) handeln. Sind es ihre Worte, der Reiswein – oder scheint dieser verfluchte Ort ebenfalls Einfluss auf seinen Verstand auszuüben? Als sich schließlich noch der Ursprung ihrer anhaltenden Kopfschmerzen als ein „Etwas“ entpuppt, das sich gelegentlich unterhalb ihrer Haarpracht einen Weg aus ihrem Schädel heraus zu suchen gedenkt, bricht die Grenze zwischen Realität und Wahnsinn auf den ersten Blick völlig zusammen, doch der Schrecken ist real – und die Geschichte noch lange nicht zu Ende erzählt…
Takashi Miike ist sicher ein interessanter Filmemacher, den ich jedoch letztendlich eher für einen „Masse statt Klasse“-Regisseur halte, welchem ab und an mal ein Glücksgriff gelingt, der dann wiederum die anderen, weniger guten Produktionen überstrahlt. Ich muss aber gestehen, dass mir bislang trotzdem noch kein Werk seines Oeuvres vollends zu gefallen wusste, was immerzu an verschiedenen Faktoren lag, die vom verwendeten (stumpfen) Humor bis hin zu (peinlich) plakativen Provokationen reichten … und dann kam „Imprint“: Basierend auf einer Geschichte von Shimako Iwai, adaptiert von Daisuke Tengan („Audition“), vereint das Drehbuch eine erstaunliche Vielzahl verschiedener Elemente und Motive – verlorene Liebe, Schmerz des Verlusts, tragische Kindheit, Eifersucht, Vertrauen, Verrat, Besessenheit, Begierde, Macht, Grausamkeit, Rache, Entsetzen, Irrsinn oder die Rückkehr etwaiger Schatten der Vergangenheit (etc) werden thematisiert und in Form einer Kombination aus klassischer Geisterstory,“Period Piece“,“Body Horror“,“(Torture-) Exploitation“ sowie dem asiatischen Trend, bleiche junge Mädchen als Quelle des Bösen einzusetzen, verwendet, um eine ganz eigene Umgebung zu kreieren, welche mir so bislang noch nie begegnete. Erstaunlich dabei ist, dass obwohl all diesen Punkten eine gewichtige Bedeutung zukommt, die Laufzeit von einer Stunde zu keiner Zeit gedrängt oder gar überladen wirkt – sie verschmelzen förmlich zu einem homogenen Gesamtbild, dessen Struktur sich erst nach und nach (Zwiebel-artig) vollends offenbart, je näher die Ausführungen (anhand von kleinen Details, Korrekturen oder anderen Blickwinkeln) dem entsetzlichen Kern der Sache kommen.
Die erste Hälfte, also das Eintreffen auf der Insel und die „Memoirs of a Geisha“-artigen Ausführungen, kommt vergleichsweise ruhig daher, wiegt den Betrachter in Sicherheit, liefert ihm einige groteske Momente (die im Wasser treibenden Leichen, der Zwerg) und zieht ihn unaufhörlich in seinen Bann. Im zunehmenden Verlauf häufen sich die bedrohlichen Elemente (sowohl auf inhaltlicher als auch optischer Ebene, wie etwa Bewegungen im unscharfen Hintergrundbereich des Bildes), doch sonderlich schockierend ist das Gezeigte nicht. Der Aufbau erinnert stark an „Audition“, ist allerdings wesentlich besser gelungen – und dann wird man plötzlich mit einer Szene konfrontiert, welche dem finale jenes Werks ebenfalls ähnelt, es jedoch (im Sinne des Gezeigten sowie dessen Wirkung) weit hinter sich lässt: Komomo wird beschuldigt, den wertvollen Ring ihrer „Chefin“ gestohlen zu haben. In Wahrheit hat man eine falsche Spur zu ihr gelegt, weshalb sie die Vorwürfe vehement bestreitet. Die folgende Bestrafung ist derart lang, intensiv, graphisch und realistisch, dass selbst ich in einigen Momenten kaum hinblicken konnte: Da sie in ihrem Gewerbe auf gutes Aussehen angewiesen ist, dürfen keine offensichtlichen Verletzungen entstehen – und so fängt man damit an, ihr angespitzte sowie ins Feuer gehaltene kleine Bambusstangen tief und langsam in die Achselhöhle zu drücken. Nun sind die Hände an der Reihe: Eine lange Nadel wird auf genau dieselbe Weise weit unter ihren Fingernagel gestochen – in extremer Großaufnahme, die eine Ewigkeit zu dauern scheint. Diese Prozedur wiederholt man folgend mit jedem ihrer Finger. Die empfundenen Schmerzen übertragen sich dabei unweigerlich nahtlos auf den Betrachter. Aber es geht noch weiter: Jene überlangen Nadeln werden ihr nun auch tief in den Gaumen gestoßen – entfernt werden sie nicht, sondern verbleiben im Fleisch. Zum Abschluss hängt man die junge Frau schließlich noch an einem Bein kopfüber auf, wo sie sich zudem selbst einnässt. Der Begriff „intensiv“ hat hier für mich eine neue Bedeutung gewonnen – aufgrund der langen Dauer, der Hilflosigkeit des Opfers (sie kann nichts tun, will aber auch nicht fälschlich gestehen), dem Sadismus der Peinigerin, der extrem realistischen Darstellungsweise, welche komplett ohne Musikuntermalung oder Worte auskommt. Danach ist man erst einmal sprachlos. „Oh God, I'm surrounded by Madness“, platzt es dem Journalisten heraus, doch er hat gerade erst die Spitze des Eisbergs zu sehen bekommen. Weiter geht es mit Schilderungen von schmerzhaften Geburten, Abtreibungen mit Pflanzenwurzeln, inzestuöse Vergewaltigungen, missbrauchten Frauen, Massen von toten Föten, die wie Abfall in einen Fluss geworfen werden und noch diverse andere widerliche Dinge, die in aller Deutlichkeit aufgezeigt werden. Von „Unterhaltung“ kann man nicht mehr sprechen – es ist eher eine morbide Faszination, und die verlockende Erzählstruktur (primär bestehend aus subjektiven, interaktiven Rückblenden) hält einen gefangen, denn man will wissen, wie alles am Ende ausgeht. Der Showdown kommt schließlich extrem grotesk daher (Stichwort: King´s „Stark“) und weist Miike´s merkwürdigen Sinn für Humor auf (wie z.B. aus „Gozu“ bekannt), was den realen Schrecken etwas abmildert, ohne je gen „harmlos“ zu tendieren – er ist nur eher dem „konventionellen Horror“ zuzuordnen. Gefolgt von einem netten Cliffhanger, der einige Fragen unbeantwortet lässt und zu fröhlichen Diskussionen anregt, setzt der erlösende Abspann ein (aber auch an dessen Ende kommt noch etwas), und man kann endlich wieder durchatmen.
Selbst wenn man meine Ausführungen nun gelesen hat, ist die Wirkung beim Ansehen auf diese Weise nicht vorweg zu nehmen – außerdem habe ich die zentralen Storyinhalte kaum erwähnt, so dass man keine Angst vor gravierenden Spoilern haben muss. Die Twists und Schocks sind perfekt innerhalb des konstant fortschreitenden und ansteigenden Verlaufs eingebettet, die Atmosphäre ist stimmig und dicht. Nicht nur diese Punkte unterscheiden „Imprint“ von krankem Dreck wie „Guinea Pig“, sondern auch das exquisite Drumherum: Die Ausstattung ist schön anzusehen (u.a. das Innere des Bordells), die eingefangenen Bilder ebenfalls (vornehmlich der Rückblenden, zum Beispiel Landschaftsaufnahmen), wobei gerade die Farbgebungen das Auge schmeicheln (kräftige Töne, interessante Kompositionen, wie die Gewänder und Haarfarben der Mädchen – letztere der Erzählerin ist in ihrer Kindheit und Jugend etwa blau). Dieses Gefühl, alles sei irgendwo an der Grenzlinie zwischen der realen und Geister-Welt angesiedelt, ist allgegenwärtig und kann durchweg überzeugen. Die Darsteller machen ihre Sache gut: Der für den ursprünglich angedachten Rutger Hauer eingesprungene Billy Drago (aus „7 Mummies“ oder Aja´s „the Hills have Eyes“) ist zwar kein sonderlich überragender Schauspieler, aber es gibt kaum Leute, die von Natur aus mehr „creepy“ sind als er – ihn als einen von der Liebe geleiteten Mann zu sehen, ist schon etwas gewöhnungsbedürftig, doch er fügt sich perfekt ins Gesamtbild ein, da Sätze wie „she reminded me of my dead little Sister“ einen passenden Schauder erzeugen (auch Weirdos haben Gefühle, was die „romantischen“ Szenen zwischen Komomo und Drago allerdings arg merkwürdig wirken lässt). Michie Ito (es handelt sich um ihr Filmdebüt!) ist überragend als deformierte Erzählerin, für die man Mitleid entwickelt und welche trotz ihres Aussehens noch eine gehörige Portion Erotik ausstrahlt. In einer Nebenrolle ist zudem die aus „Snow falling on Cedars“ bekannte Youki Kudoh zu sehen.
Perfekt ist diese Episode trotzdem nicht: Der Grundtenor besitzt einen tendenziell Frauen-verachtenden Charakter, denn obwohl sie zeitweise als Opfer (z.B. körperlichen Missbrauchs) ins Bild gerückt werden, ist die Art der Präsentation in manchen Sequenzen fragwürdig, ihre Motive und Handlungen erscheinen oftmals niederträchtig. Hauptsächlich wäre jedoch die Sprache zu bemängeln – alles ist auf Englisch, was aufgrund der schwächeren Kenntnisse einiger Beteiligten zu Problemen beim Verstehen sowie dem Eindruck führt, dass man so ein gewisses Maß an Authentizität eingebüßt hat. Japanisch (mit UTs) wäre zweifelsohne die bessere Wahl gewesen, doch das wäre dem Konzept als TV-Unterhaltung eines Mainstream-Senders („Showtime“) wenig dienlich gewesen, was den Kreis letztendlich schließt: Respekt, dass man Miike dieses Projekt ohne Kompromisse produziert hat! Die Format-Vorgaben wurden optimal ausgeschöpft – die Inszenierung ist hochwertig, der Aufbau erweckt Neugier sowie den Drang, bis zum Ende durchhalten zu wollen/müssen, ausgelatschte Pfade werden weitestgehend umgangen, Grenzen ausgelotet und überschritten. Wirklich unterhalten wird man zwar nicht, doch diese knappe Stunde hinterlässt selbst bei gestandenen Vielsehern noch einen prägenden Eindruck. Ein Fan des Regisseurs bin ich beim besten Willen nicht geworden – aber zum ersten Mal ziehe ich vor ihm meinen imaginären Hut. Nach langen Überlegungen bin ich (auf Basis der Wirkung, den Hintergründen sowie der technischen und visuellen Aspekte) zum dem Entschluss gelangt, dass diese 13.Folge der „Masters of Horror“-Reihe, aller abstoßenden Faktoren zum trotz, durchaus knappe
„9 von 10“ verdient.[/align]